Deutschland braucht eine proaktive und kohärente Wirtschaftssicherheitspolitik, die speziell auf die eigenen Abhängigkeiten und Stärken ausgerichtet ist. |
Eine neue Nationale Sicherheitsstrategie sollte das Thema Wirtschaftssicherheit als Leitlinie festlegen und eine Wirtschaftssicherheitsstrategie konkrete Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene benennen. |
Die neue Bundesregierung muss Wirtschaftssicherheit auch in ihren Strukturen verankern und die Analysekapazitäten deutlich ausbauen. |
Dazu sollte sie ein Gremium für Wirtschaftssicherheit einführen und ein Instrument zur Prüfung der Abhängigkeiten von Auslandsmärkten in strategischen Sektoren. |
Einleitung: Deutschland im geoökonomischen Umfeld
Die Welt befindet sich in einer geoökonomischen Epoche, in der Staaten versuchen, ihre wirtschaftliche Resilienz und Prosperität sowie ihre Sicherheitsinteressen durch Wirtschaftssicherheitsmaßnahmen zu schützen. Dazu zählen Handels- und Investitionsbeschränkungen, Innovationsförderung und Maßnahmen zur Stärkung der Industriebasis sowie Wirtschaftsdatenanalysen. Das Ziel dieser Maßnahmen ist es, Risiken zu verringern und eigene wirtschaftliche und technologische Stärken auszubauen. Besonders die USA und China setzen im Rahmen ihrer geoökonomischen Rivalität aktiv Wirtschaftssicherheitsmaßnahmen ein, um ihre (sicherheits-)politischen und wirtschaftlichen Interessen voranzutreiben.
Deutschland ist als drittgrößte Volkswirtschaft besonders auf den Export angewiesen und stark von der Rivalität zwischen USA und China betroffen. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt lag in den letzten zehn Jahren kontinuierlich über 40 Prozent, es gibt enge Handelsbeziehungen mit beiden Staaten. Die Exportquote der größten Volkswirtschaften und der G7 liegt zum Teil deutlich darunter, während gleichzeitig kein EU-Mitglied eine derart hohe Exportquote nach China aufweist wie Deutschland. Weiterhin beheimatet Deutschland viele Unternehmen, die in ihren technologischen Sektoren führend sind, muss aber darauf achten auch in Zukunftssektoren eine starke Position einzunehmen. Auf der Importseite ist besonders die gestiegene Abhängigkeit von chinesischen Importen vor dem Hintergrund eines angestrebten De-Risking eine Herausforderung.
Vor diesem Hintergrund muss Deutschland eine proaktive und kohärente Wirtschaftssicherheitspolitik entwickeln, die speziell auf den eigenen Abhängigkeiten und Stärken basiert.
Die große Gefahr für Deutschland ist es, zwischen die Fronten der USA und der Volksrepublik zu geraten und dabei die eigene Position nicht aufrechterhalten zu können, während die Welt zunehmend in wirtschaftliche und regulatorische Sphären aufgeteilt wird. Zwar gehen etwas mehr als die Hälfte der deutschen Exporte in EU-Mitgliedstaaten, jedoch bleiben die USA und China auch in absehbarer Zukunft die beiden größten Handelspartner Deutschlands. Die USA unter Trump greifen die offene Handelspolitik direkt an. Der chinesische Markt wird immer herausfordernder für deutsche Unternehmen, die bei Innovation und Marktzugang starker Konkurrenz gegenüberstehen.
Das Ziel einer deutschen Wirtschaftssicherheitspolitik sollte es sein, die eigene Position in weltweiten Lieferketten zu bewahren und Stärken in strategischen Sektoren abzusichern, um global handlungsfähig zu bleiben und Europa zu stärken. Dazu sind folgende vier Bereiche entscheidend:
(1) Bestehende Stärken müssen durch eine modernisierte Investitionsprüfung und Exportkontrolle abgesichert werden.
(2) Einseitige Importabhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen und strategischen Vorprodukten sollten reduziert werden. Gleichzeitig gilt es Exportkonzentrationen zu beobachten und wenn nötig zu diversifizieren.
(3) Technologie- und Innovationstrends in globalen Märkten müssen stärker beobachtet werden und in eine geopolitische Strategie einfließen.
(4) Darauf aufbauend ist die Forschungs- und Entwicklungspolitik (F&E) strategisch zu unterstützen.
Die EU als Rahmen, die USA als unberechenbarer Partner
Auf nationaler Ebene wurden von der Ampelkoalition bereits die Nationale Sicherheitsstrategie und die China-Strategie entwickelt, die Risiken für Deutschland identifiziert haben. Diese Strategien gehen dabei konkret auf die Bereiche 1,2 und 4 ein. Während vor allem die China-Strategie konkretere Handlungsempfehlungen enthält, sind Kompetenzen auf nationaler Ebene fragmentiert und verzögern häufig eine proaktive Herangehensweise. Darüber hinaus sollte eine kohärente Wirtschaftssicherheitspolitik alle Staaten einbeziehen, was derzeit nicht der Fall ist.
Auf EU-Ebene veröffentlichte die EU-Kommission im Juli 2023 eine Wirtschaftssicherheitsstrategie, die stark auf Risiken eingeht und zu wenig die Entwicklung von wirtschaftlichen Kapazitäten behandelt. Die im Januar 2024 darauf aufbauenden Initiativen betreffen die Bereiche 1 und 4.
Diese Maßnahmen sind wichtig. Jedoch liegen viele Instrumente im nationalen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Somit kann die EU zwar als Impulsgeberin fungieren, nationale Maßnahmen koordinieren und Gesetze vorschlagen. Eine effiziente Wirtschaftssicherheitspolitik auf europäischer Ebene funktioniert aber nur, wenn die Mitgliedstaaten sie individuell umsetzen und von der Notwendigkeit neuer Initiativen überzeugt sind.
Die USA vertreten einen deutlich breiteren Ansatz, der auch den Aspekt der Wohlstandserhaltung oder -maximierung beinhaltet. Dabei wird Wirtschaftssicherheit als Instrument in einem geopolitischen Machtkampf um Technologien, militärische Fähigkeiten und wirtschaftlichen Wohlstand gesehen. Insbesondere unter Präsident Trump wurde es bereits 2017 in der „National Security Strategy“ und erneut im „Presidential Memorandum America First Investment Policy“ vom 21. Februar 2025 auf den Punkt gebracht: „Economic security is national security.“
Technologie- und Innovationstrends in globalen Märkten müssen stärker beobachtet werden und in eine geopolitische Strategie einfließen
Eine Kooperation ist in den meisten Bereichen zu diesem Zeitpunkt schwierig. Die US-Politik zu Export- und Investitionskontrollen wird unter der Trump-Administration bisher ohne Absprache mit Verbündeten gestaltet. Langfristig sollte dennoch weiterhin eine transatlantische Zusammenarbeit in beiderseitigem Interesse angestrebt werden.
Als Antwort auf die Entwicklungen in der EU und den USA sollte eine neue Nationale Sicherheitsstrategie das Thema Wirtschaftssicherheit als Leitlinie verankern und die angekündigte Wirtschaftssicherheitsstrategie konkrete Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene benennen. Ein Anfang wären Maßnahmen, die das strategische Denken stärken, dessen Übertragung in eine kohärente Politik über alle Ressorts hinweg vornehmen sowie rechtliche Möglichkeiten für die Umsetzung schaffen.
Empfehlungen für Wirtschaftssicherheit in der Bundesrepublik auf nationaler Ebene
Wirtschaftssicherheit als Stabsthema aufbauen und ein Gremium dafür bilden (alle Bereiche)
Um die genannten vier Bereiche zu stärken, wäre es sinnvoll, dass die Regierungskoalition ein Gremium für Wirtschaftssicherheit innerhalb eines Nationalen Sicherheitsrats einrichtet – mit den Ministern der Wirtschaft, des Äußeren, der Finanzen, der Forschung sowie den Nachrichtendiensten unter Leitung des Bundeskanzlers. Um eine bessere Arbeitsroutine zu ermöglichen, könnte ein Arbeitsgremium Wirtschaftssicherheit auf Abteilungsleiterebene aus den genannten Ministerien eingerichtet werden, das an den Nationalen Sicherheitsrat berichtet und Empfehlungen ausspricht.
Gleichzeitig muss die Bundesregierung ihr strategisches geoökonomisches Denken deutlich schärfen und in Bundesstrukturen reflektieren. Die Integration von Wirtschaftssicherheit in den zentralen Ministerien, konkret Außen-, Wirtschafts- und Finanzministerium, sowie dem Bundeskanzleramt, sollte den realen Gegebenheiten angepasst werden: Wirtschaftssicherheit muss als referatsübergreifendes Gebiet betrachtet und als Stabsthema auf Abteilungsebene gehoben werden.
Kapazitäten für geoökonomischen Analysen ausbauen (Bereich 3)
Der Bundesregierung fehlen ausreichend personelle Kapazitäten, um technologiespezifische Lieferketten, sektorspezifische Auslandsinvestitionen und Innovationstrends in Drittstaaten zu analysieren. Die notwendigen Positionen können in gemeinsamen Fachreferaten des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Kanzleramts aufgebaut werden. Hierin könnten ausgewählte Beamte und externe Experten mit technologischem und wirtschaftlichem Fachwissen Analysen für das Arbeitsgremium und Gremium für Wirtschaftssicherheit erstellen. Ebenso wäre es anzuraten, die Möglichkeit einer Nutzung von angepassten Auslandsinvestitionsdaten der Bundesbank, Zolldaten und Daten des Statistischen Bundesamts durch rechtliche Anpassungen zu ermöglichen.
Kontinuierlichen Austausch mit der Wirtschaft fördern (Bereich 2)
Die Basis einer moderneren Außenwirtschaftspolitik muss ein gemeinsames Verständnis von Politik und Wirtschaft über die Risiken und Möglichkeiten von Wirtschaftsbeziehungen in einer geopolitisch volatilen Lage sein. Ein halbjährlicher Austausch der zuständigen Staatssekretäre des Bundesministeriums für Wirtschaft, der Finanzen und des Auswärtigen Amts und Abteilungsleitung im Bundeskanzleramt mit Vertretern der Wirtschaft sollte in physischer Anwesenheit in abhörsicheren Räumlichkeiten der Bundesregierung stattfinden. Die hier geteilte Lageeinschätzung muss dementsprechend auf der Arbeit des Gremiums für Wirtschaftssicherheit beruhen. Dadurch könnten Informationsabfragen besser eingeordnet und vorbereitet werden. Daneben wäre es wichtig, Single-Points-of-Contact für die Wirtschaft einzuführen: im Bundeskanzleramt für die allgemeine Richtung der Wirtschaftssicherheitspolitik und in den Ministerien für die jeweiligen Bereiche. Ebenso wären gesonderte Outreach-Maßnahmen mit dem Mittelstand denkbar.
Instrumente schärfen (Bereich 1 und 2)
Deutschland ist bei den Exportkontrollen von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck bereits gut aufgestellt. Die Bundesregierung muss aber weiterhin die Beschleunigung und Modernisierung der Genehmigungsverfahren vorantreiben.
In Bereich 2 sollte ein Instrument zur Prüfung von Abhängigkeiten von Auslandsmärkten in strategischen Sektoren eingeführt werden. Bisher fehlt ein rechtlicher Rahmen, um Risikoeinschätzungen durch erweiterte Datenbeschaffung zu unterstützen. Ebenso muss es bei erfolgter Risikobewertung die Möglichkeit geben, in Härtefällen Maßnahmen zu ergreifen, die eine Reduzierung von Abhängigkeiten beschleunigen.
Deutschland braucht für die Herausforderungen der kommenden Jahre eine eigenständige Wirtschaftssicherheitspolitik.
Dazu gehören die Erweiterung der Allgemeinen Auskunftspflicht zur Erhebung von notwendigen Daten zur Außenwirtschaftsanalyse. In absoluten Härtefällen könnte eine (zusätzliche) Einschränkung von Investitionsgarantien oder Exportkrediten erfolgen. Darüber hinaus müssen Ausfallkompensationen in Betracht gezogen werden. Das Instrument könnte in erster Linie dem Wirtschaftssicherheitsgremium notwendige Analysemöglichkeiten einräumen und nur auf Beschluss der Bundesregierung einschränkende Maßnahmen oder Kompensationen ermöglichen. Eine Ex-ante-Einschränkung der Investitionstätigkeit soll hierdurch nicht geschaffen werden.
Empfehlungen für die Bundesrepublik im Umgang mit der EU und anderen Partnern
Bei Exportkontrollen sollte Deutschland – nach der kürzlich erfolgten Novellierung der nationalen Liste – in Europa eine Führungsrolle übernehmen. Die Bundesregierung kann etwa auf eine Koordinierung der nationalen Exportkontrolllisten drängen, hin zu einer gemeinsamen Kontrollliste für Zukunftstechnologien. Die Arbeit rund um die Reform der EU-Verordnung zu Gütern mit doppeltem Verwendungszweck in diesem Jahr wäre der geeignete Moment für eine proaktive deutsche Rolle. Für das Monitoring zu Auslandsinvestitionskontrollen sollte die Bundesregierung ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stellen und eine Ausweitung der Analyse von Investitions- und Lieferkettendaten fördern.
Im Verhältnis zu Partnern wie Japan oder dem Vereinigten Königreich muss Deutschland offen für mehr Koordinierung von Exportkontrollen sein und eigene Initiativen vorschlagen.
Forschungs- und Entwicklungspolitik strategisch ausgestalten (Bereich 4)
In F&E verfügt Deutschland über große Potenziale und ist in der Gesamtforschung einer der globalen Spitzenreiter. Es mangelt jedoch häufig noch an einer Abstimmung zwischen mittel- und langfristigen Zielen sowie einer Koordinierung zwischen verschiedenen Zielen, die einer Transformation in Zukunftstechnologien den nötigen Anstoß geben würden. Deshalb sollten Analysen der Wirtschaftssicherheit auch in die F&E Förderung einfließen.
Auch bei der F&E-Politik auf EU-Ebene wird seit geraumer Zeit gefordert, den Fokus stärker auf disruptive Technologien im Frühstadium zu legen, um neue Innovations- und Wachstumspotenziale freizulegen, und weniger auf bestehende Stärken (wie etwa den Automobilsektor). Hier kann Deutschland ebenfalls für die Vereinfachung der Koordinierung von Maßnahmen eintreten.
Schlussfolgerung
Deutschland braucht für die Herausforderungen der kommenden Jahre eine eigenständige Wirtschaftssicherheitspolitik. Die Rivalität zwischen den USA und China wird weiterhin den geoökonomischen Handlungsraum bestimmen. Damit Deutschland nicht zwischen die Fronten gerät und seine außenwirtschaftliche Souveränität wahren kann, sollte die neue Bundesregierung Wirtschaftssicherheit in ihren Strukturen verankern und die eigenen Strategie- und Analysekapazitäten sowie die dafür nötigen Instrumente ausbauen. Diese Entwicklungen gilt es schließlich, in einem zweiten Schritt auf europäischer Ebene deutlich strategischer als bisher voranzubringen.