Seit Juli 2013 verhandeln die Europäische Union und die USA über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP. Es ist das bislang größte Freihandelsprojekt der EU, und bei erfolgreichem Abschluss würde der weltweit größte Wirtschaftsraum entstehen. Gerade die Bundesregierung drängt seit Jahrzehnten auf ein solches Abkommen mit den USA. Bislang erfolglos. In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Gipfeltreffen und Gremien ins Leben gerufen (zuletzt 2007 der „Transatlantic Economic Council“), die jedoch alle nur mäßig erfolgreich waren. Infolge der Finanzkrise und der anhaltenden Wirtschaftsschwäche waren im Jahr 2011 zum ersten Mal auch die Amerikaner an einem solchen Projekt interessiert. TTIP gilt nun auf beiden Seiten des Atlantiks als einmalige Chance für ein ehrgeiziges transatlantisches Abkommen.
Doch nach der anfänglichen Begeisterung verlaufen die Verhandlungen recht zäh und in der europäischen Bevölkerung – insbesondere in Deutschland – regt sich immer mehr Widerstand gegen das Projekt. Befürworter wie die EU-Kommission und die europäischen Regierungen verweisen vor allem auf das Wachstumspotenzial und die Wohlfahrtsgewinne durch den Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen. Gleichzeitig wird TTIP als Chance bewertet, in neuen Regelungsbereichen wie Investitionen, Energie und elektronischem Handel Regeln aufzustellen, die auch zu einem späteren Zeitpunkt in das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) integriert werden könnten. Zuletzt soll TTIP die strategische Partnerschaft zu den Amerikanern stärken und deren Hinwendung nach Asien („pivot to Asia“) durch die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ausgleichen.
Große Teile der Bevölkerung in Europa – vor allem in Deutschland – sehen indes in TTIP ihre Werte und Lebensweisen bedroht. Da in vielen Studien (u.a. vom Londoner Centre for Economic Policy Research, CEPR, aus dem Jahr 2013) darauf hingewiesen wird, dass rund 80 Prozent der Gewinne von TTIP aus dem Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen, sprich Standards und Normen, stammen würden, weckt dies Befürchtungen, dass TTIP auf eine Absenkung der Standards hinauslaufen wird. Grundsätzlich wird den Amerikanern – vor allem auch seit dem NSA-Skandal und der Snowden-Affäre – mit Misstrauen entgegengesehen. Auf europäischer Seite wird eine gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung von Standards mit niedrigeren beziehungsweise schlechten Standards gleichgesetzt. Dabei werden Befürchtungen laut, dass nun das berüchtigte Chlorhuhn und Hormonfleisch importiert und gegessen werden müssen und gentechnisch veränderte Nahrungsmittel in Europa Einzug halten.
Daneben konzentrieren sich die Ängste auch zunehmend auf das umstrittene Investor-Staats-Schiedsgerichtsverfahren. Viele NGOs und auch Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen und die SPD befürchten, dass Unternehmen an den Gerichten vorbei durch geheime Schiedsgerichtsverfahren die Demokratie aushöhlen und die von der Regierung gesetzten Standards in den Bereichen Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz durch die Hintertür aushebeln könnten. Die Wochenzeitung Die ZEIT fragte auf ihrer Titelseite vom Juni 2014: „Beherrschen uns bald die Amerikaner?“ – und sprach dabei vielen Kritikern aus dem Herzen.
Die EU-Kommission, die dieses Abkommen lange Zeit als „Win-win-Situation“ wertete, hat spät auf diese Kritik reagiert und hofft nun, mit neuen Gesichtern (seit November 2014 ist Cecilia Malmström aus Schweden die neue EU-Handelskommissarin) und einer Transparenz offensive die Stimmung umkehren zu können. Im Herbst 2014 wurde das Mandat veröffentlicht, und Positionspapiere und Verhandlungstexte werden zunehmend einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Gleichzeitig versichern Kommission und die Bundesregierung, dass das hohe europäische Schutzniveau bei EU-Normen zum Schutz der Verbraucher, Umwelt und Gesundheit nicht gesenkt wird, die Rechtsvorschriften für gentechnisch modifizierte Organismen (GMOs) nicht geändert werden, öffentliche Dienstleistungen nicht angetastet werden etc. All dies überzeugt die TTIP-Gegner bisher kaum. Im Gegenteil, es wird erwidert, dass TTIP ein „Geheimabkommen“ sei, die Versprechen somit keine Glaubwürdigkeit hätten und nur die Interessen der Großkonzerne (und Amerikaner) berücksichtigt würden.
Das zentrale Problem ist somit die Glaubwürdigkeit. Wie kann in einer solchen Situation, in der kein Vertrauen in die EU-Kommission, die Globalisierung (bzw. den Freihandel) und in die Amerikaner besteht, reagiert werden, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen? Die Situation ist schwierig, doch folgende Punkte könnten zu einer Annäherung führen:
- Die EU-Kommission begründet TTIP auf ihrer Webseite mit den wirtschaftlichen Vorteilen des Abkommens. Dies basiert vor allem auf den makroökonomischen Studien des CEPR (2013) beziehungsweise des ifo Instituts (2013), die in sehr ambitionierten Szenarien (deren Annahmen teilweise über Binnenmarktniveau hinausgehen) relativ geringe Wohlfahrtsgewinne errechnen. Die EU-Kommission muss auf diese Ergebnisse eingehen und eindeutig aufzeigen, welche Industrien und Sektoren durch TTIP gewinnen können und wo auch Probleme liegen. Die einseitige Betonung auf positive wirtschaftliche Auswirkungen wirkt ansonsten unglaubwürdig.
- Vor allem Nahrungsmittelstandards stehen im Zentrum der Kritik. Auch hier reicht es nicht, immer wieder zu betonen, dass unser „right to regulate“ nicht aufgehoben werde und der Schutzstandard erhalten bleibe. Das Misstrauen in die Zielsetzung des Abkommens ist vorhanden und kann nicht durch allgemeine Beteuerungen abgebaut werden. Die Verhandlungsführer müssen konkreter werden: Wo kann man sich beispielsweise im Agrarbereich Liberalisierungen und Kompromisse konkret vorstellen (z.B. im Abbau von Zöllen und Subventionen, oder in der Anerkennung von Testverfahren), und welche Bereiche sind nicht verhandelbar (Gefahreneinschätzungen)? Es gibt bereits seit 1999 ein Veterinärabkommen zwischen der EU und den USA. Auch dies kann als Beispiel dafür dienen, wo gegenseitige Anerkennung möglich ist und wo nicht. Gleichzeitig sollte immer wieder betont werden, dass amerikanische Standards auch im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit grundsätzlich sehr hoch sind. In Bereichen wie Rohmilch oder Aromastoffen sind die Amerikaner sogar noch strenger.
- Daneben sind vor allem die Schiedsgerichte Stein des Anstoßes. Bei der Befragung durch die Europäische Kommission über dieses Thema waren die Rückmeldungen überwiegend negativ. Auch wenn rund 97 Prozent der 150 000 Antworten über verschiedene Onlineplattformen übermittelt wurden, deren negative Antworten vorformuliert waren, muss die Kommission dieses Ergebnis berücksichtigen. Wenn Schiedsverfahren Teil von TTIP sein sollen, muss die Bevölkerung auch von ihren Vorteilen überzeugt werden. Dabei muss man erstens auf die aktuelle Situation bei den Schiedsverfahren eingehen: Wie häufig wird geklagt? Welche Kosten entstehen? Wurde das Recht der Regierung, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu erlassen, eingeschränkt? Welche Missbrauchsfälle gab es? Wie sahen Lösungsmöglichkeiten aus? Auch die beiden öffentlichkeitswirksamen (aber noch nicht abgeschlossenen) Fälle – Vattenfall gegen Deutschland (Energiewende) und Philip Morris gegen Australien (Zigaretten-Einheitsverpackung) – müssen berücksichtigt werden. Zweitens müssen die hier aufgezeigten Mängel und Gefahren Folgen für das geplante Schiedsverfahren in TTIP haben. Die EU-Kommission muss klare Reformvorschläge machen, die dann auch als unverhandelbar vorgestellt werden. Dazu gehören unter anderem Ausnahmeklauseln in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz sowie klare und transparente Verfahren und Revisionsmöglichkeiten.
- Die Bundesregierung muss wiederum deutlich machen, dass die Debatte und Opposition gegen TTIP sich teilweise um nationale Bedenken und Empfindlichkeiten in Deutschland dreht. Die Europäische Kommission verhandelt im Namen von 28 EU-Mitgliedstaaten. Und vor allem die Peripherieländer, die am stärksten von der Eurokrise betroffen waren, stehen dem Abkommen grundsätzlich sehr viel positiver gegenüber. Wenn in Deutschland damit argumentiert wird, dass keine Schiedsverfahren benötigt würden, weil das deutsche Gerichtssystem ausreiche, wird verkannt, dass die Situation in den neuen, weniger entwickelten EU-Mitgliedstaaten anders ist. Es sind bereits neun bilaterale Investitionsabkommen (BITs) zwischen den USA und EU-Mitgliedstaaten in Kraft (u.a. mit Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien und Tschechien). Gerade diese Länder versprechen sich durch anerkannte Schiedsverfahren eine steigende Attraktivität für Investitionen in ihre Länder.
- Insgesamt muss auch die Transparenzinitiative noch sehr viel weiter geführt werden. Mit der neuen EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström weht bereits ein neuer Wind in dem Verhältnis zwischen Kommission und Öffentlichkeit. Dies kann noch gesteigert werden. Und dann besteht auch die Möglichkeit, das verlorengegangene Vertrauen in den Nutzen des Abkommens wiederzugewinnen.
Dieser Standpunkt erschien am 2. März als Gastbeitrag bei Cicero.