Memo

24. Sep 2024

Transformation am Scheideweg – Was in den USA zur Wahl steht und wie es Europa betrifft

DGAP Memo Nr. 10, 24.09.2024, 7 S.
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Kamala Harris und Donald Trump bieten ihren Wählerinnen und Wählern sehr unterschiedliche Zukunftsvisionen für die industrielle Entwicklung Amerikas an. Unter dem Motto „Außenpolitik für die Mittelschicht“ weitete die Biden-Administration Schutzzölle gegenüber China aus und punktete damit im ­industriellen Herz des Landes. Durch das Investitionspaket des „Inflation Reduction Act“ vollzog Biden in den USA eine klimapolitische Kehrtwende, verbunden mit der Fortsetzung protektionistischer Wirtschaftspolitik seines Vorgängers. Eine zweite Amtszeit Trumps hätte jedoch noch schwerwiegendere ­Folgen für Standorte in Deutschland und Europa.  

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Ausgangslage  

Die anstehende Präsidentschaftswahl in den USA wird wegweisend für die industrielle Transformation sein: Bleibt das Land im Zeitalter der fossilen Industrien stecken oder wird eine Erneuerung eingeleitet, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht? Der industrielle Wandel ist durch das globale Bestreben nach Dekarbonisierung und den technologischen Fortschritt von Digitalisierung und KI zur dringlichen Aufgabe von Regierungen weltweit geworden. Die EU stellte die Weichen für den grünen Wandel mit dem „Green Deal“ (zunächst ca. 250 Milliarden Euro), gefolgt vom „Net-Zero Industry Act“ und „Critical Raw Materials Act“. Das Gesamtinvestitionsvolumen beläuft sich auf eine Billion Euro bis 2030. In den USA leiteten die Demokraten mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA), einem Investitionspaket mit 369 Milliarden Euro Volumen, sowie dem „CHIPS Act“ oder dem „Infrastructure Investment and Jobs Act“ durch massive Subventionen für Elektromobilität und erneuerbare Energien eine industrielle Erneuerung ein: Das Gesamtinvestitionsvolumen umfasst rund 1,6 Billionen Euro.   

Im Gegensatz dazu versucht die republikanische Partei insbesondere emissionsintensive Industrien vor Veränderungen zu schützen. Die US-Industriezentren, die sogenannten Industrial Heartlands des produzierenden Gewerbes, beheimaten wichtige Wählerschaften der Mittelschicht. Als Rückgrat der Wirtschaft und nationalen Energieversorgung sind Reformen für diese Regionen ein heikles Thema. Wahlumfragen dort gelten vielfach als entscheidendes Stimmungsbarometer, auch weil viele Industriezentren in Swing States, den wahlentscheidenden Bundesstaaten, liegen. Wie bedeutend die Industrial Heartlands sind, zeigt sich an den ernannten Vizekandidaten in beiden Lagern.   

Szenarien  

Gemeinsam mit Europa oder disruptiv  

Unabhängig vom Wahlausgang im November ist davon auszugehen, dass beide möglichen Administrationen protektionistische Maßnahmen, etwa Zölle, zugunsten ihrer unterschiedlichen Industriepolitiken nutzen werden. Unter einer Präsidentin Harris wären diese wahrscheinlich vorhersehbarer und würden entlang gemeinsamer Interessen mit der Europäischen Union, zum Beispiel in Bezug auf die Nachhaltigkeitstransformation, ausgerichtet und im Bestreben einer liberalen internationalen Ordnung umgesetzt werden. Unter einer zweiten Amtsperiode Donald Trumps könnten die Veränderungen weitaus disruptiver für Deutschland und Europa werden, da geopolitische Aspekte, wie das Wertebündnis mit der EU oder Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, wohl wenig Berücksichtigung in der Ausrichtung und industriepolitischen Partnerwahl spielen würden. In Anbetracht bestehender Gerichtsverfahren gegen den Ex-Präsidenten ist zudem anzunehmen, dass private Geschäftsinteressen eine übergeordnete Rolle spielen könnten.   

Harris 1.0 & Tim Walz 

Kamala Harris war als Senatorin ambitionierter in den Bereichen Dekarbonisierung und Klimaschutz als die Politik, die während ihrer und Bidens Administration umgesetzt wurde. So stellte sie sich hinter den „Green New Deal“, der ein weitaus ehrgeizigerer, aber gescheiterter Vorläufer des IRA war. Im Gegensatz zu Joe Biden unterstützte sie im Wahlkampf 2019 ein Fracking-Verbot; eine Position, die sie jedoch jüngst revidierte. Im aktuellen Wahlkampf verknüpft sie vor allem Arbeitsmarkt- und Gerechtigkeitsthemen mit industrieller Transformation.  Eine potenzielle Fortsetzung der in Teilen protektionistischen Wirtschaftsphilosophie der „Bidenomics“ könnte durch Wettbewerbsverzerrungen Auswirkungen auf die deutsche und europäische Wirtschaft haben. Ein möglicher Subventionswettlauf wäre für hiesige Standorte kaum zu gewinnen. 

Wie ambitioniert Harris‘ Wirtschaftspolitik im Klimaschutz sein wird, hängt auch maßgeblich von den Mehrheitsverhältnissen im US-Kongress ab. Erreichen die Republikaner Mehrheiten im Repräsentantenhaus und/oder Senat, könnte dies die Möglichkeiten für entsprechende Gesetzesvorhaben der Demokraten deutlich einengen, weil diese in dem Fall auf republikanische Stimmen angewiesen wären. Unter Umständen auch, um die Akzeptanz für grüne Politik in den Industrieregionen zu steigern, wählte Harris den Demokraten Tim Walz als Running Mate. Er bringt Erfahrung im Umgang mit den Heartlands in ihre Kampagne. Insbesondere mit Blick auf die regionale Wirtschafts- und Industriepolitik lohnt sich somit ein Blick auf den Vizekandidaten.  

Vignette Tim Walz    

Tim Walz wird 1964 in Nebraska geboren und wächst in einem Dorf mit 400 Einwohnern auf. Dieses „Small Town America“ ist geprägt von eng verbundenen Dorfgemeinschaften, einem langsameren Lebensrhythmus und traditionelleren Werten. „Hier lerne man, aufeinander aufzupassen“, so Walz bei seiner Nominierungsrede. Was von manchen despektierlich „Flyover Country“ genannt wird, gereicht Walz zum identitätsstiftenden Markenkern, der ihn später auch in den Industriezentren stark machen wird. 

Walz geht zur Nationalgarde, studiert auf Lehramt, verbringt unter anderem ein Jahr in China, wo er Englisch unterrichtet und Mandarin lernt. Zurück in den USA beginnt er, als Geografielehrer und Footballcoach im ersten Distrikt von Minnesota zu arbeiten. Für Minnesota zieht er 2006 in den US-Kongress ein. 2019 wird Walz zum ersten Mal Gouverneur, 2023 wird er wiedergewählt. Walz mobilisiert Milliardeninvestitionen in die marode öffentliche Infrastruktur, kürzt Studiengebühren und stärkt Arbeitnehmerrechte. Klimapolitik ist eines seiner  Kernthemen. Basierend auf seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Farmern und Unternehmern kann er Schlüsselakteure als Mitstreiter gewinnen und so eine Mehrheit von den wirtschaftlichen Vorteilen der Transformation überzeugen. Dadurch setzt er ambitionierte Ziele für Minnesota: 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2040, die dort Strom produzieren sollen, wo zuvor fossile Anlagen standen. Klimaneutralität verspricht er bis 2050. 

Industrial Heartlands

Industrial Heartlands sind industrielle Kerngebiete, wie das Ruhrgebiet, Teile Mitteldeutschlands oder die Lausitz. In den USA beschreiben sie etwa den sogenannten „manufacturing belt“ beziehungsweise inzwischen auch abfällig „rust belt“ genannten Industriezentrum in den USA. Dieser Rostgürtel umschließt Teile der Bundesstaaten Wisconsin, Illinois, die Orte der Reifen- und Automobilproduktion in Michigan und Ohio, die Stahl- und Kohlegebiete Pennsylvanias und West Virginias und reicht bis nach New Jersey und New York an der Ostküste. Diese Regionen profitierten in der Vergangenheit vom Reichtum natürlicher Ressourcen wie Kohle oder Erz, innovationsfreudigen Unternehmern, konstanter Immigration und hart arbeitenden Menschen. So wurden sie zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.

Während der Industriellen Revolution erlebten die Industrial Heartlands ein beträchtliches Wachstum.  Als die Globalisierung und der Aufstieg von Dienstleistungs- und Wissensindustrien zu Arbeitsplatzverlusten in der verarbeitenden Industrie führten, sahen sich die Heartlands mit wirtschaftlichem Niedergang und demografischen Veränderungen konfrontiert. Jetzt erleben sie einen dritten Übergangsprozess, hin zu einer grünen Wirtschaft, was aufgrund ihrer Abhängigkeit von fossilen Ressourcen und Energieintensität eine weitere Herausforderung darstellt. Trotz ihres Transformationspotenzials mangelt es ihnen oft an der notwendigen Infrastruktur, um sich vollständig an diese Veränderungen anzupassen.  

Ein Fünftel der Autos auf Minnesotas Straßen soll bis 2030 elektrisch angetrieben werden. Flankiert wird Walz‘ Klimapolitik von Steuererhöhungen für Besserverdienende und auf Benzinpreise sowie von Steuersenkungen für ärmere Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus scheint Walz kompromissbereit beim Umgang mit Freihandel. Ein kürzlich geschlossenes Landwirtschaftsabkommen zwischen Minnesota und der Chernihiv-Region in der Ukraine zeugt vom geopolitischen Abwägen seiner Entscheidungen.  Bottom line: Ein Kandidat, der mit regionaler Authentizität viele unentschlossene Wählerinnen und Wähler fernab der liberalen Küsten anspricht. 

Ein Blick in die Zukunft: Das ­„Renewable Heartland“ unter Harris und Walz 

Die Wählerinnen und Wähler in den USA stehen vor verschiedenen Entwicklungsszenarien für die Industrial Heartlands. Im Folgenden stellen wir ein mögliches „renewable“ Heartland einem „fossilen“ gegenüber. 

Das „Renewable Heartland“ wird zu einem der innenpolitischen Schwerpunkte von Harris und Walz. Durch Synergieeffekte zwischen Halbleiterproduktion und grünen Industrien kann die Region einen Weg in die Zukunft finden, während sich die Automobilindustrie oder der Stahlbau in der Region neu aufstellen. Eine starke Universitätslandschaft übt Sogkraft auf junge Talente aus. Wichtige Hochschulstandorte (viele der größten Universitäten in den USA sind in der Region beheimatet) sowie viele kleinere Satellitenstandorte helfen in der Fläche. Die Great Lakes – eines der größten Süßwasservorkommen der Welt – werden integraler Bestandteil von Wasserstoffstrategien und erneuerten Transportwegen. Auch klimatisch günstigere Bedingungen im Vergleich zum sogenannten Sun Belt und Staaten wie Arizona, wo unter anderem Wassermangel und Hitze die Nachhaltigkeit von Investitionen grundlegend in ­Frage stellen, machen die Region attraktiv. Hier gilt es, für europäische und deutsche Unternehmen, Synergien in den Bereichen Technologieentwicklung und Außenhandel zu identifizieren und mittel- und langfristige Potenziale zu realisieren.  

Trump 2.0 & J.D. Vance 

Im Szenario Trump 2.0 könnten durch Transformationsverzögerungen die Heartlands im Zeitalter der fossilen Industrien stehenbleiben – durch die Ausweitung von protektionistischen Maßnahmen würde dies auch den Marktzugang für deutsche Green Tech Unternehmen erschweren.  

„Drill, baby, drill!“, tönt es von Donald Trump und seinem kürzlich auserwählten Vizekandidaten Vance — „Bohr, ­Baby, bohr!“ Sie wollen Energiedominanz ausüben, anstatt Energieabhängigkeit zu erleiden. Dem „Grünen Betrug aus Washington DC“ möchte er am ersten Tag seiner neuen Amtszeit ein ­Ende bereiten, proklamiert Trump auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner in Wisconsin. Die Subventionen auf Elektroautos werde er umgehend streichen und zugleich 100 oder gleich 200 Prozent Importzölle auf Autos aus Übersee erheben. „Build in America and only in America“ soll die Devise seiner zweiten Amtszeit lauten.  Dies würde dann etwa auch die deutschen Autoexporte in die USA betreffen, sodass ein essenzieller Absatzmarkt bedroht wäre.  

Um die Inflation zu bekämpfen, plant Vance Steuersenkungen, etwa die Senkung der Körperschaftssteuer von 21 auf 15 Prozent. Finanzieren will er seine Versprechen mit der Förderung von „Liquid Gold,“ was in Form von Erdöl und Gas unter Amerikas ­Böden schlummere. Dabei ignoriert er, dass in Anbetracht des verbleibenden Emissionsbudgets der wissenschaftliche Konsens besagt, dass der weit überwiegende Teil verbleibender fossiler Reserven nicht mehr gefördert werden darf.  

Eine Abkehr von der Innovationsagenda Bidens für die Industriezentren bedeutet eine standortschädliche Verzögerung der nicht mehr aufzuhaltenden Transformation.

Kurzfristig bauen Trump und ­Vance dennoch auf den Reiz der Bewahrung des fossilen Amerikas und der Rückkehr in eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Diesem Vorhaben liegt jedoch ein Trugschluss zugrunde, denn Entwicklungen in China und Europa, aber auch an den wirtschaftsstarken demokratisch regierten US-Bundesstaaten an den Küsten, werden den Transformationsdruck in den Heartlands im kommenden Jahrzehnt erhöhen. 

Eine Abkehr von der Innovationsagenda Bidens für die Industriezentren bedeutet somit eine standortschädliche Verzögerung der nun nicht mehr aufzuhaltenden Transformation. Hinzu kommen wirtschaftsschädliche Planungsunsicherheiten – insbesondere in den Heartlands. Die daraus resultierende Verzerrung von Marktprozessen, die Disruption im Autobau durch Rücknahme von Subventions- und Förderprogrammen, hätte wiederum negative Auswirkungen auf Wertschöpfungsketten. Der größte Wettbewerber der USA, die Volksrepublik China, könnte diese Verschleppung für sich nutzen und ihre Marktdominanz in vielen grünen Technologien weiter ausbauen – zum erneuten Nachteil der Heartlands und vieler Menschen dort. Nimmt die Transformation global an Fahrt auf, könnte es sogar Nachfrageeinbrüche bei den fossilen Industrien geben und Investitionen zu „Stranded Assets“ werden. 

Auf globaler Ebene würde eine zweite Amtszeit Trumps traditionelle sicherheitspolitische Bündnisse destabilisieren, was auch wirtschaftspolitische Konsequenzen für die Heartlands nach sich ziehen würde. Denn seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der darauffolgenden Energiekrise in europäischen Ländern, spielen sicherheitspolitische Erwägungen in Handelsfragen eine zunehmend wichtige Rolle.  

Schwerwiegende ­Extremereignisse verhindern zudem die Rückkehr in eine Vergangenheit, in der die Nutzung fossiler Rohstoffe für eine Generation scheinbar konsequenzenlos möglich war. Dies betrifft auch die internationale Klimapolitik. Ein amerikanisches Versagen der industriellen Transformation würde zu globalen Verwerfungen mit Partnern führen, die auch zunehmend wirtschaftliche Einbrüche durch Klimafolgen verzeichnen.  

Während seiner ersten Präsidentschaft gelang es Trump auch durch seine Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens nicht, den globalen Konsens zur Notwendigkeit der Emissionsreduktion ins Wanken zu bringen. Gleichwohl würde eine zweite Amtszeit erneut substanzielle Risiken bergen. Denn das verbleibende globale Emissionsbudget für die Einhaltung der Ziele von Paris ist inzwischen durch den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen so weit geschrumpft, dass nur ein engagiertes Vorantreiben die Ziele noch in Reichweite halten wird. Jede weitere Verzögerung könnte desaströse Folgen für das Erdsystem haben.  

Vignette: James David Vance  

Geboren wurde Vance in Middletown, Ohio. Der heute 39-Jährige wuchs unter sogenannten „Hillbillies“, Menschen, die er zu den „Vergessenen Amerikas“ zählt, in den Appalachen des östlichen Kentuckys auf. Einfache (weiße*) Leute, die „mit ihrer Hände Arbeit“ und „Gottes- und Vaterlandsliebe“ Amerika aufgebaut hätten.  

Auf globaler Ebene würde eine zweite Amtszeit Trumps traditionelle sicherheitspolitische Bündnisse destabilisieren ...

Von den Hillbillies der Appalachen ging es für Vance auf der sozialen Leiter steil aufwärts hinein in die Elite Amerikas. Er trat den Marines bei und studierte an der Ohio State University, an einer der sogenannten Public Ivies, die zu den leistungsstärksten öffentlichen Einrichtungen der USA zählen. Danach bereitete er sich auf die Law School der Eliteuniversität Yale für eine Karriere an der Wall Street vor. Die Rückbesinnung auf seine Wurzeln unter den von Globalisierung und liberaler Wirtschaftspolitik „Vergessenen Amerikas“ erfolgte mit seinem Bestseller „Hillbilly Elegy“, der ihm 2016 erstmals zu internationaler Aufmerksamkeit verhalf und seinen Weg in die Politik ebnete   

2022 wird Vance Senator im Bundesstaat Ohio. Unterstützt wird er ­dabei von Donald Trump, einem Mann, den Vance wenige Jahre zuvor noch als „amerikanischen Hitler“ bezeichnet hatte. Aber insbesondere seine wirtschaftspolitischen Ideen scheinen sich zunehmend mit Trumps Narrativen zu decken. Die herrschenden Eliten ­Washington DCs hätten lieber Handelsabkommen geschlossen, als sich um die hartarbeitenden Amerikaner zu sorgen und junge Männer wie ihn in die Kriege in Irak und Afghanistan geschickt. Während Vance als Banker noch in grüne Technologien investierte, versteifte er sich als Senator auf den Schutz der Kohleindustrie und machte sich für intensiveres Fracking stark. Das machte Vance auch zu einem Liebling der Kohle- und ­Gaslobby, die in großem Umfang für seinen Senatswahlkampf spendete.   

Dementsprechend zentral für ­Vances energiepolitische Arbeit in Ohio ist sein Engagement gegen zeitlich definierte fossile Ausstiegsziele. Laut Vance würde das verstärkte Fördern fossiler Energie zu sinkenden Energiepreisen und wirtschaftlichem Wiedererstarken der Heartlands führen. Er setzt sich ein für den Ausbau von Pipelines und gab neue Flächen für Fracking frei. Trotz seiner gegenwärtig so polarisierenden ­Wahlkampagne hat Vance als Heartlands-Senator auch wiederholt mit vermeintlichen Widersachern wie der progressiven Elizabeth Warren zusammengearbeitet, etwa als es um eine Bankenreform ging. Während er im Rahmen des Wahlkampfs gegen gewerkschaftlich organisierte Arbeit mobilisiert, zeigt er sich in Interviews auch hier deutlich differenzierter. Seinen Protektionismus begründet er unter anderem mit Ungerechtigkeiten des Freihandels zu Ungunsten von Arbeitern in Ohio, Pennsylvania, West Virginia oder Eastern Kentucky. 

Außenpolitisch versteht er Trumps politische Ansätze inzwischen als ­visionär. Man sei in einer Ära der um sich greifenden Multipolarität angekommen. Dementsprechend opportunistisch müsse man außenpolitisch vorgehen. Trumps Entscheidung für Vance zeigt, dass er versucht, an das Momentum des „Populismus der Arbeiterklasse“ von 2016 anzuknüpfen. Vances Einlassungen zu Frauenrechten und seine regressive Abtreibungspolitik sind Minuspunkte bei vielen unentschlossenen Wählerinnen in den Vorstädten Amerikas. Bottom Line: Er ist ein „Heartlands“-Kandidat, der fossile Energie- und protektionistische Industriepolitik priorisiert.  

Das „fossile Heartland“ ­unter Trump und Vance: 

Beim Szenario „fossiles Heartland“ tritt ein verzögerter Niedergang der fossilen Industrien etwa in West Virginia oder Kentucky durch fehlende Transformationsanreize ein. Dadurch entstehen erhebliche Pfadabhängigkeiten. Der Weg des vermeintlich geringeren Widerstands würde in eine ökonomische Nische und mittelfristig in eine Sackgasse führen, während andere Länder den globalen Markt dominieren. Parallel dazu würde die fortschreitende Automatisierung zahlreicher Förder- und Umsetzungsprozesse die Rückkehr von Jobs verhindern. Der demografische Wandel, der bereits zu den größten Problemen der ­Heartlands zählt, würde sich weiter verschärfen. Die politische Polarisierung wird extremer, zunehmende Extremwetterereignisse vergrößern die ökonomische Ungleichheit. Deutschland und Europa würden einen wichtigen systemischen Alliierten bei der Transformation zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft verlieren. Absatzmärkte würden durch die bereits angekündigten Zollverschärfungen stark eingeschränkt. Auch außenpolitisch wäre die neuerliche Willkür nachhaltig schädigend, da mit einer zunehmenden Erosion der regelbasierten internationalen Ordnung zu rechnen wäre. 

Empfehlungen 

Transformation durch Kooperation 

Die Industrial Heartlands sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten stehen an der Spitze des industriellen Wandels und zeichnen sich durch große Möglichkeitsräume aus. Ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung weist auch auf Erfolgsgeschichten im Rahmen struktureller und politischer Umbrüche. Schließlich leben dort Bevölkerungsgruppen, die über umfangreiche Transformationserfahrung verfügen und wertvolle Erkenntnisse zu gegenwärtigen Veränderungsprozessen einbringen können.   

Unabhängig davon, ob Harris oder Trump ins Weiße Haus gewählt werden – die USA, Deutschland und Europa profitieren von einer starken und verlässlichen Beziehung zueinander, nicht zuletzt, um das gemeinsame Ziel der industriellen Transformation umzusetzen. Selbst im Falle einer Harris-­Administration blieben Unsicherheiten, insbesondere in Bezug auf die Zusammensetzung von Senat und Kongress. Dementsprechend lohnt es sich für die Regierenden in Berlin, aktiv den Blick auf regionale und lokale Ebenen zu richten. Ziel muss es sein, durch eine stärkere Kooperation die Transformation voranzutreiben und gemeinsam Druck auf andere Länder auszuüben, um schließlich das Pariser Abkommen global einhalten zu können und im Zuge dessen die regelbasierte Ordnung zu stärken. 

Den dafür notwendigen Wandel für möglichst viele Menschen vorteilhaft gestalten – und so auch die gemeinsame Zukunft als liberale Demokratien zu sichern –, ist eine entscheidende Aufgabe des transatlantischen Bündnisses.  

Bund und Länder sollten Regionalpartnerschaften aufbauen und Städtepartnerschaften mit Industriezentren in den USA stärken, sodass ein Ideenaustausch zwischen Regionen mit Transformationsexpertise, wie etwa Ostdeutschland, der Lausitz oder dem rheinischen Revier und dem Manufacturing Belt in den USA, zustande kommen kann. Dabei sollte die aktive Auseinandersetzung mit industriellem Erbe und Zukunftsperspektiven initiiert werden, um so einen konstruktiven Umgang zu ermöglichen, der Identität stiftet und souveränen Umgang mit populistischen Alternativversprechen fördert.  

Deutschland sollte das Engagement deutscher Auslandsvertretungen in US-Bundestaaten mit Industriezentren stärken. Das deutsche Konsulat in Chicago ist derzeitig alleinig für 13 Bundesstaaten und 70 Millionen Menschen zuständig. Insbesondere in den Bundesstaaten Wisconsin, Ohio und Michigan haben viele Amerikaner deutsche Wurzeln. Daran ließe sich für die Öffentlichkeitsarbeit und die gemeinsame Bearbeitung von Transformationsthemen anknüpfen.   

Dieser verstärkte Austausch muss Berufsschüler, Facharbeiter, aber auch Handwerker und andere Wirtschafts- und Dienstleistungsbereiche einbinden. Ebenso sollte der kulturelle und politische Austausch der Zivilgesellschaft erhöht werden. Hier braucht es neue umfangreiche Stipendienprogramme für Fachhochschulen, Berufsschulen und weitere öffentlich zugängliche Bildungsträger. Bestehende Programme wie das Fulbright ETA oder das CBYX-Programm können hier als Vorbild dienen.  

Das philanthropische Engagement in den Heartlands sollte weiter gefördert werden, um neue Finanzierungswege für genannte Programme in strukturschwachen Gebieten zu finden. Wirtschaft und Politik haben hier überschneidende Interessen und können das Engagement stärken und vernetzen. Außen- und Regionalpolitik können als ein Teilerfolg des Austauschs verstärkt zusammengedacht und mittels Bürgerkonsultationen weiterentwickelt werden. So wird Akzeptanz für Veränderung durch Teilhabe gestärkt und Leistungs- und Innovationsfähigkeit unterstützt – Faktoren in beiden Gesellschaften.  

Unter einer Präsidentin Harris würde der „Trade and Technology Council“ (TTC) voraussichtlich weiter bestehen bleiben. Hier könnten regionale Transformation und Kooperation verankert werden. So kann auch die zwischenstaatliche und interregionale Ebene besser vernetzt werden, etwa über Expertenbriefings  zwischen den USA und der EU. 

 

Die Autorin und der Autor sind Teil des transatlantischen Dialogs zu den ­„Industrial Heartlands“ https://www.industrial-heartlands.com/ 

Bibliografische Angaben

Vinke, Kira, and Friedrich Opitz. “Transformation am Scheideweg – Was in den USA zur Wahl steht und wie es Europa betrifft .” DGAP Memo 18 (2024). German Council on Foreign Relations. September 2024.
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