Die Regierungsumbildung in Polen und die Wahl Mateusz Morawieckis zum neuen Premierminister lässt zwei Dinge vermuten: Erstens geht es der PiS darum, die Partei zumindest optisch in Richtung Mitte zu rücken und neue Wähler zu gewinnen, was sich unmittelbar ausgezahlt hat: Die Umfragewerte der Regierungspartei liegen inzwischen bei über 45 Prozent. Es scheint, als würde die PiS-Partei in Warschau stabiler denn je im Sattel sitzen, mit der Aussicht, ein weiteres Mandat dazuzugewinnen und bis mindestens 2023 die Geschicke der Regierung zu lenken.
Zweitens wollte Kaczynski das Image der PiS-Regierung in Europa verbessern und positive Signale nach Brüssel senden. Angesichts des im Dezember 2017 eingeleiteten Sanktionsverfahrens nach Art. 7 des EU-Vertrags und den anstehenden Verhandlungen über den nächsten EU-Haushalt schlägt Warschau gegenüber Brüssel und Berlin neue, freundlichere Töne an. Darauf deutet auch der frühe Besuch des neuen polnischen Außenministers Czaputowicz Mitte Januar in Berlin hin, am kommenden Freitag wird Morawiecki in Berlin Angela Merkel treffen. Die PiS-Regierung ist sichtbar bemüht, den Dialog mit der Bundesregierung wiederzubeleben und den Kollisionskurs zu entschärfen. Gleichzeitig hält sie an ihrer Politik im Kern fest.
Warschau und Berlin haben eine unterschiedliche Erwartungshaltung. Für Polen hat Marek Cichocki, Professor am Collegium Civitas in Warschau, dies in seinem Debattenbeitrag für den Tagesspiegel, sehr deutlich gemacht: Keine Kritik an der polnischen Politik war dort zu lesen; sondern der Appell an die Deutschen, die ökonomische Bedeutung und die sicherheitspolitischen Anstrengungen Polens für die Bundesrepublik anzuerkennen und stärker zu würdigen sowie vom deutschen normativen Ross herunterzukommen. Cichocki beklagte vor allem das Fehlen einer „gemeinsamen europäischen Agenda“ beider Länder, die es immer noch nicht gebe, obwohl seit der Osterweiterung schon viele Jahre vergangen seien.
Aus deutscher Perspektive war diese „gemeinsame europäische Agenda“ Deutschlands und Polens allerdings bereits Wirklichkeit. Die deutsch-polnischen Beziehungen galten – gerade auch im europäischen Kontext – unter der proeuropäischen Bürgerplattform (PO) bis vor der Machtübernahme durch die PiS im Herbst 2015 als so gut wie nie zuvor. Mit der Brille Berlins betrachtet, hat sich Polen unter der PiS-Regierung von einem pro-europäischen Kurs verabschiedet und stellt mit der Justizreform als letztem Höhepunkt einer Reihe umstrittener innenpolitischer Maßnahmen denjenigen gesamteuropäischen Wertekonsens infrage, auf den sich das Land bei seinem Eintritt in die EU vertraglich verpflichtet hat.
Der Handlungsspielraum ist begrenzt. Polen legt den Schwerpunkt auf die bilaterale, Deutschland auf die EU-Agenda.
Jede Wiederannäherung von Warschau und Berlin muss daher aus deutscher Sicht polnische Zugeständnisse und guten Willen auf der EU-Ebene beinhalten, die über einen bloßen Wandel in der Rhetorik hinausgehen. Demgegenüber erwartet Warschau von Berlin mehr Akzeptanz, Anerkennung und Verständnis, ohne die Notwenigkeit einer substanziellen Änderung der bestehenden Politik zu sehen. Während also beide Seiten großes Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen haben, erwarten sie voneinander, dass sich der jeweils andere zuerst bewegt. Gleichzeitig ist der politische Handlungsspielraum für beide Länder sehr begrenzt. Polens strategischer Fokus liegt auf seiner nationalen und damit auch bilateralen Agenda, Berlin schaut auf die EU-Ebene. Diese Dynamiken und Perspektiven werden sich auch unter der neuen polnischen Regierung nur schwer verändern, zumal sich der Konfrontationskurs gegen Deutschland und Brüssel bislang für die PiS innenpolitisch ausgezahlt hat.
Es ist gut, dass der Entwurf für einen deutschen Koalitionsvertrag den Wert der deutsch-polnischen Beziehungen betont.
Für die neue Bundesregierung ist dies eine außerordentlich schwierige Situation. Einerseits hat die Kanzlerin sehr deutlich gemacht, ein „Zusammenhalt unter Preisgabe der Rechtsstaatlichkeit“ sei „nicht mehr die Europäische Union“. Andererseits hat Berlin keinerlei Interesse an einer noch tieferen Spaltung der EU in Ost und West. Gerade für Deutschland ist die EU ohne Polen und die Länder Mittel- und Osteuropas undenkbar. Im nun vorgelegten Entwurf für einen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wird der Wert der deutsch-polnischen Beziehungen nun im Europa-Kapitel prominent hervorgehoben: „Von besonderer Bedeutung ist für uns ebenfalls die deutsch-polnische Partnerschaft“, heißt es dort. Man wolle die Zusammenarbeit mit Polen ausbauen, besonders mit der polnischen Zivilgesellschaft. Und: „Wir werden die Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen im Weimarer Dreieck intensivieren.“ Das ist eine Verbesserung im Vergleich zum Ergebnis der Sondierungen – dieses Papier erwähnte Polen gar nicht.
Beide Seiten sollten versuchen, das Sanktionsverfahren nach Art. 7 zu isolieren und eine Eskalation zu verhindern.
Berlin hat die Aufgabe, den Zusammenhalt innerhalb der EU zu sichern und die mittel- und osteuropäischen Staaten auch mit Blick auf die anstehenden europäischen Reformprozesse an Bord zu halten. Polen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Bundesregierung sollte jeden Ansatzpunkt für mehr Dialog und Zusammenarbeit mit Warschau nutzen und die ausgestreckte Hand der neuen Regierung ergreifen – schon allein, weil sie auf absehbare Zeit keinen besseren Ansprechpartner in Polen finden wird. Sie sollte der neuen polnischen Regierung signalisieren, dass eine konstruktivere polnische Rolle im EU-Kontext ihr viele Türen öffnen würde. Beide Seiten sollten versuchen, das Sanktionsverfahren nach Art. 7 zu isolieren und eine Eskalation zu verhindern, die jede Wiederannäherung per se unmöglich machen würde. Gerade lässt Polen sein Potenzial nicht nur als wichtiger europäischer Partner für Deutschland, sondern auch für Länder wie Schweden oder Tschechien ungenutzt. Dabei wäre es eigentlich dafür prädestiniert, als Anwalt der Staaten außerhalb der Eurozone aufzutreten.
Die Morawiecki-Regierung sollte versuchen, Berlin wieder als Partner zu sehen und in Brüssel konstruktiv sein.
Wenn die Morawiecki-Regierung Einfluss auf die Europapolitik der nächsten Bundesregierung nehmen möchte, sollte sie versuchen, Berlin wieder als möglichen Partner zu sehen, den sie für ihre Projekte und Ideen gewinnen möchte. Dazu bietet der Besuch des polnischen Premierministers am 16. Februar eine hervorragende Gelegenheit. Gleiches gilt für die EU-Ebene. Denn wer die anstehenden wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft der EU mitbestimmen möchten, muss in Brüssel konstruktiv sein und darf sich nicht in seinen nationalen Schrebergarten zurückziehen. Der Schlüssel dafür liegt in Warschau und in Berlin.