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07. Aug. 2012

Prozess gegen die Band Pussy Riot

Das harte Vorgehen der russischen Behörden gegen die Musikerinnen zeigt die Hilflosigkeit des Regimes

Der Protest gegen das russische Regime nimmt immer kreativere Formen an. Gegenüber der Kirchen-Performance der Punkrockerinnen im Februar zeigt sich der Staat nun unerbittlich. Die drei Frauen wurden wegen Rowdytums angeklagt, ein Delikt, auf das bis zu sieben Jahre Haft stehen. Russland-Experte Stefan Meister über die Bedeutung des Falls für die Protestbewegung und die Verflechtung von Politik, Justiz und Kirche in Russland.

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Warum reagiert die russische Justiz so hart auf die drei Frauen?

Das Vorgehen gegen Pussy Riot ist vor dem Hintergrund des derzeitigen Machtgefüges in Russland zu sehen und hat zwei Funktionen: Einerseits soll es der Abschreckung von Oppositionellen dienen, die den russischen Präsidenten und das System Putin kritisieren; daher die lange Untersuchungshaft der drei Frauen, ihre schlechte Behandlung im Gefängnis und die Androhung von bis zu sieben Jahren Haft.

Andererseits versucht das Regime, den patriotisch gesinnten Teil der Gesellschaft hinter sich zu vereinen. Dazu schürt der Kreml die in der russischen Gesellschaft latent vorhandene Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und verunglimpft die drei Frauen als „unrussisch“.

Mit dem harten Vorgehen gegen kritische Gruppen betreiben der Präsident und sein Umfeld also in erster Linie Machterhalt. Putin war ja im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen durch Massendemonstrationen unter Druck geraten, die Kritik an ihm in Russland wächst. Der Fall Pussy Riots ist Teil der Gegenmaßnahmen des Regimes.

Repräsentiert Pussy Riot eine breitere Stimmung in der russischen Bevölkerung?

Nein, es handelt sich um eine kleine Minderheit in den großen Städten, die auf künstlerischem Weg Kritik am System übt. Unterstützung erfährt diese Gruppe aus intellektuellen und liberalen Kreisen der Bevölkerung und sicher auch aus Teilen der neuen Mittelschicht. Aber eine breite Mehrheit der Bevölkerung lehnt solche Aktionen ab und kann damit nichts anfangen.

Umfragen des anerkannten Meinungsforschungsinstituts Levada zeigen aber auch: Obwohl eine Bevölkerungsmehrheit den Auftritt der drei Frauen ablehnt (47 Prozent sind der Meinung, dass sie die öffentliche Moral grob verletzt haben), halten 43 Prozent der Befragten eine harte Bestrafung für nicht angebracht.

Diese Umfrage zeigt die Spaltung der Gesellschaft, in der eine knappe Hälfte das Vorgehen des Staates gegen seine Kritiker ablehnt. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Putin kürzlich in einem Interview eine milde Strafe für die drei Frauen gefordert hat. Er musste feststellen, dass die Härte der Behörden eher zu einer kritischen Stimmung gegenüber Regierung und Justiz führt.

Stärkt der Fall Pussy Riot die russische Protestbewegung?

Das hängt davon ab, welches Urteil am Ende gefällt wird. Pussy Riot ist vor allem Ausdruck eines wachsenden Pluralismus politischer und künstlerischer Opposition in Russland. Dass diese Gruppe so viel Aufmerksamkeit erhält, liegt auch am aggressiven Vorgehen von Justiz und Politik, die sie regelrecht zu Märtyrern gemacht haben. Die drei Frauen stehen für eine neue Generation junger Russen, die keine Angst vor dem System haben und sich politisch engagieren, indem sie durch freche Auftritte das Regime herausfordern.

Die Behörden aber haben klassisch sowjetisch reagiert: mit Verhaftung, Diffamierung und der Androhung massiver Sanktionen. Derart gegen eine künstlerische Aktion vorzugehen, zeigt letztlich die Hilflosigkeit des Staates, mit neuen gesellschaftlichen Ausdrucksformen umzugehen.

Zudem fördert diese Überreaktion die Entfremdung zwischen einem Teil der Bevölkerung und dem System Putin. Gehen die Behörden weiter hart gegen Protestgruppen vor, könnte das zu einer wachsenden Polarisierung in der Bevölkerung führen, wie Demonstrationen sowohl für als auch gegen Pussy Riot bereits gezeigt haben.

Wie abhängig ist die russische Justiz von Zurufen des Kremlchefs?

Es gibt eine Fülle von Beispielen, die deutlich machen, dass die russische Justiz weiterhin stark von der Politik abhängig ist. Der eklatanteste Fall bleibt der von Michail Chodorkowski, der zweimal wegen des gleichen Sachverhalts verurteilt worden ist. Er gilt dem Regime als politisch gefährlich und muss daher im Gefängnis bleiben.

Sobald es um Machtfragen geht, gibt es keine Rechtsstaatlichkeit in Russland. Das zeigt sich regelmäßig bei Wahlen, wo Gerichte dazu benutzt werden, politische Gegner auszuschalten. Hohe Richterämter werden von der politischen Führung besetzt. Somit ist die russische Justiz keinesfalls eine unabhängige Institution, sondern direkt von der Exekutive abhängig.

Welche Rolle spielt die orthodoxe Kirche im russischen Machtgefüge? Immerhin hatte der russisch-orthodoxe Patriarch zur Wahl Putins aufgerufen...

Die russisch-orthodoxe Kirche ist seit jeher eine Staatskirche, besonders ihre Führung war den Herrschern gegenüber immer loyal. In Russland gab es nie eine kirchliche Opposition wie in der DDR. Mit dem Ende der Sowjetunion wurde die Kirche als Machtinstrument wiederentdeckt. Die Präsidenten Jelzin, Putin und Medwedew zeigten sich regelmäßig mit hohen kirchlichen Würdenträgern. Der russische Staat gab der Kirche eine große Zahl ihrer enteigneten Güter zurück und förderte finanziell den Kirchenbau. Entsprechend zeigt sich der orthodoxe Patriarch mit Loyalitätsbekundungen und Wahlaufrufen für Putin erkenntlich.

Gleichzeitig ist die orthodoxe Kirche ein Hort des Konservativismus und wendet sich aggressiv gegen Andersdenkende, andere Religionen oder Homosexualität; Auftritte in ihren Einrichtungen wie den von Pussy Riot lehnt sie als blasphemisch ab. Im Fall der Punkrockerinnen lässt sich die Kirche zudem von der Staatsmacht zur Bekämpfung einer kritischen Gruppe instrumentalisieren.

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Prozess gegen die Band Pussy Riot.” August 2012.

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