Die EU ist mit zehn Millionen Barrel pro Tag neben China weltweit der größte Nettoimporteur von Erdöl. Noch - denn ab 2030 werden im Zuge der EU-Klimapolitik die europäischen Einfuhren stark zurückgehen. Für Petro-Staaten kann dies drastische wirtschaftliche Folgen haben. Als Ein-Sektoren-Ökonomien eröffnen sich ihnen kaum Alternativen im Export, und der Umbau der heimischen Wirtschaft hin zu einem nicht-fossilen Modell ist im besten Falle eine langfristige Option - zu stark sind die Pfadabhängigkeiten jahrzehntealter Rentenökonomien.
Dies betrifft weniger Saudi-Arabien oder Russland, also reiche oder ausreichend diversifizierte Volkswirtschaften. Diese können die notwendigen Investitionen stemmen und die Folgen abfedern - sofern sie es politisch wollen. Das Problem liegt in Staaten wie Algerien oder Nigeria, in denen fragile Sozialverträge mit einer wenig wettbewerbsfähigen heimischen Wirtschaftsstruktur zusammenfallen. Der absehbare Wegfall des zentralen Exportsektors wird diese Länder hart treffen. Die politische Verantwortlichkeit dafür liegt klar bei den dortigen Regierungen. Die EU hat jedoch ein Interesse daran, dass der soziale Friede in Petro-Staaten nicht infolge europäischer Klimapolitik bricht.
Entwicklungsländer brauchen einen Zugang zu Zukunftstechnologien
Dazu stellt sich ein strukturelles Problem: Die meisten Nicht-OECD-Länder weisen zu geringe Investitionen in erneuerbare Technologien und Klimatechnologien auf, gemessen an ihrem Entwicklungs- und Energiebedarf. Sie stellen also nicht schnell genug auf eine klimafreundliche Zukunft um. Insbesondere die energieintensiven Exportprodukte dieser Staaten werden damit schwieriger Absatzmärkte in großen Wirtschaftsblöcken finden. Denn die EU wird ab Mitte der 2020er-Jahre einen sogenannten CO₂-Grenzausgleich einführen. Dieser kommt einem Preisaufschlag gleich, sobald ein Importgut einen höheren CO₂-Fußabdruck hat als ein äquivalentes EU-Produkt. Damit soll angesichts steigender CO₂-Preise und ambitionierter Klimaziele eine schleichende Deindustrialisierung Europas verhindert werden.
Das Know-how der notwendigen Klimatechnologien liegt in den Industrieländern und China. Aufgrund zu geringer Investitionen in Entwicklungsländern jedoch findet nicht der notwendige Technologietransfer statt. Bislang steht die EU auf dem Standpunkt, dass intellektuelle Eigentumsrechte technologische Innovation anreizen und Technologietransfer über Investitionen gesteuert werden sollte. Wenig Beachtung findet dagegen die Frage, welche Folgen mangelnder Zugang zu Zukunftstechnologien für die wirtschaftliche Prosperität der "Dekarbonisierungs-Nachzügler" hat - und in der Folge auch für den Sozialvertrag.
Die neue Bundesregierung muss sich dafür starkmachen, die in Brüssel bereits angedachte Green-Deal-Diplomatie mit Leben zu füllen.
Im Übrigen wird auch eine sich dekarbonisierende deutsche und europäische Wirtschaft weiter Energieimporte benötigen. Denn eine Abdeckung des immensen grünen Energiebedarfs im Bereich Elektrizität, Wärme und Mobilität über rein heimische Quellen ist angesichts des Flächenverbrauchs und des steigenden Widerstands gegen große Windparks politisch kaum durchsetzbar. Für den für die Industrie wichtigen grünen Wasserstoff setzen Deutschland und die EU daher auf internationale Partnerschaften, um in ausgewählten Lieferländern wie Chile, der Ukraine oder Marokko die Produktion von auf Erneuerbaren basierten Gasen oder Flüssigkraftstoffen aufzubauen.
Neben der Sicherung der europäischen Versorgung besteht auch das Ziel, die Energietransition in den Lieferländern zu fördern. Allerdings stellt sich bei den für die Erzeugung benötigten "Power-to-X"-Technologien die Frage, ob diese in den angedachten Herstellungsländern auf ein ausreichend entwickeltes Innovations-Ökosystem treffen. Denn dies ist die Bedingung für eine erfolgreiche Integration des ausländischen Know-hows in die heimische Wirtschaftsstruktur. Ist dies nicht der Fall, bleibt wenig Wertschöpfung im Land, und der forcierte Ausbau von Erneuerbaren dient letztendlich primär dem Exportsektor statt der nachhaltigen Entwicklung.
Damit der Green Deal erfolgreich wird, sind drei Punkte wichtig
Was der EU Green Deal daher braucht, ist eine klar definierte, komplementäre Energiewende-Außenpolitik. Diese muss drei Dinge leisten:
Zum Ersten muss sie die möglichen Nebeneffekte der Dekarbonisierung in den Blick nehmen. Zentral ist es hier, die sicherheitspolitischen Implikationen der Energiewende zu adressieren, vor allem in EU-nahen Regionen. Europa hat ein genuines Interesse an stabilen und prosperierenden Ländern in der östlichen Partnerschaft ebenso wie in Nordafrika.
Zweitens muss sie Außen-, Klima- und Entwicklungspolitik zusammen denken. Diese Politikfelder folgen - trotz aller Bekenntnisse der Entscheidungsträgerinnen und -träger, dass Klimapolitik ja im Kern Außenpolitik sei - ihren eigenen Partikularlogiken. Ein holistischer Ansatz wendet den EU Green Deal weg von einem exklusiven Rennen der Klima-Spitzenreiter und hin zu einem partnerschaftlichen Dekarbonisierungsprojekt - für alle, die sich entscheiden mitzumachen.
Drittens müssen die beiden ersten Punkte durch robuste Angebote im Bereich Finanzierung und Know-how-Transfer untermauert werden. Europäische Unterstützung bei Investitionen in Erneuerbare - die EU ist weltweit bereits eine der wichtigsten Quellen von Klimafinanzierung - muss hier im Tandem erfolgen mit einer Stärkung administrativer Kapazitäten und des heimischen Innovationspotenzials. Dies ist letzten Endes auch ein Gebot der Verteilungsgerechtigkeit an den Kosten und Nutzen der Energiewende, die damit zur außenpolitischen Norm erhoben wird.
Als größte europäische Volkswirtschaft profitiert Deutschland nicht nur vom Erfolg der EU-Klimapolitik. Es spürt auch überproportional die Folgen, wenn die richtige Intention - den Klimawandel abzuwenden - zur Quelle von neuer Ungleichheit und Konflikt wird. Die neue Bundesregierung muss sich daher dafür starkmachen, die in Brüssel bereits einmal angedachte Green-Deal-Diplomatie mit Leben zu füllen. Dies muss ein zentraler Teil ihrer klimapolitischen Agenda sein. Gelingt dies, so sind Deutschland und die EU gut positioniert, das Transitions-Megaprojekt Dekarbonisierung nach innen und außen zu meistern.