Kommentar

16. Aug. 2018

Merkel und Putin im Dialog

Die Rückkehr des Pragmatismus

Die Begegnung zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin am Samstag in Meseberg markiert einen Wendepunkt in den deutsch-russischen Beziehungen. Obwohl der Ukraine-Konflikt ungelöst ist, erfordern Themen wie Nord Stream 2, der Krieg in Syrien, das Iran-Abkommen und die US-Handelspolitik unter Präsident Donald Trump eine pragmatische Interessenpolitik auf beiden Seiten. Das Treffen ist eine Chance, das deutsch-russische Verhältnis auf der Arbeitsebene zu normalisieren, ohne grundsätzliche Differenzen aufzugeben.

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Nach einem Treffen zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin im Mai in Sotchi und Merkels Gesprächen mit Außenminister Lawrow und Generalstabschef Gerassimow Ende Juli kommt es am Samstag in Meseberg zu einem weiteren Treffen auf höchster Ebene zwischen Deutschland und Russland. 

Wachsende Interessenüberschneidungen zwischen Deutschland und Russland machen eine persönliche Abstimmung zwischen Merkel und Putin immer wichtiger: Dazu zählen neben dem Ukraine-Konflikt Themen wie die Zukunft von Nord Stream 2, die US-Sanktionen gegenüber Russland, das Iran-Abkommen sowie die Zukunft Syriens.

Ein Treiber des neuen Dialogs zwischen Moskau und Berlin ist auch die US-Politik unter Donald Trump: Am 8. August kündigte das State Department nicht nur eine Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland mit Wirkung ab dem 22. August an. Washington drohte zudem zusätzliche Wirtschaftssanktionen innerhalb von 90 Tagen an, sollte die russische Führung sich weigern, bei der Aufklärung des Giftgasanschlages auf den Doppelagent Sergei Skripal und dessen Tochter im März dieses Jahres mehr Unterstützung zu zeigen und auf den Einsatz biologischer und chemischer Waffen zu verzichten. 

Diese zusätzlichen Sanktionen könnten dann auch direkt das von Russland nach Deutschland durch die Ostsee geplante Pipelineprojekt Nord Stream 2 treffen, das der US-Regierung ein Dorn im Auge ist.  US-Präsident Trump bezeichnete Deutschland vor dem NATO-Gipfel unter Verweis auf die deutsch-russische Gas-Pipeline als „Gefangenen“ Moskaus. Überhaupt nutzt er das Thema gerne als Verhandlungsmasse, um einen besseren „Deal“ im Handel mit Deutschland und der EU durchzusetzen. Merkel hat Trump bisher zu besänftigen versucht, indem sie feste Zusagen aus Moskau für zusätzliche Gasmengen anstrebte, die trotz des Baus von Nord Stream 2 künftig durch die Ukraine fließen sollen.

Putin hat ein großes Interesse daran, dass Deutschland und die EU die erneuten US-Sanktionen nicht unterstützen. Die russische Wirtschaft steht massiv unter Druck; gleichzeitig sinken die Zustimmungsraten des russischen Präsidenten und seiner Regierung auch aufgrund einer kürzlich angekündigten Rentenreform. Mit Blick auf die innenpolitischen Folgen kann die russische Führung weitere wirtschaftliche Einbrüche nicht verkraften, welche weitere US-Sanktionen unweigerlich bedeuten würden. In dieser Situation verspricht eine Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland und der EU einen innenpolitischen Nutzen für Moskau. 

Für Merkel ist vor allem das Thema Syrien wichtig: Deutschland ist in wachsendem Maße bereit zu akzeptieren, dass der von Russland unterstützte Präsident Baschar al-Assad Teil einer Nachkriegslösung sein wird. Die Bundesregierung hat ein innenpolitisches Interesse daran, syrische Flüchtlinge wieder in ein stabiles Syrien zurückschicken zu können. Dafür braucht sie die Kooperation Assads und erhofft sich von Putin hierfür Unterstützung. Moskau wiederum wünscht sich die Hilfe  Deutschlands und der EU, um den Wiederaufbau des zerstörten Syrien zu finanzieren.

Das Treffen in Merseburg – wie auch die Begegnung von Merkel und Putin in Sotchi im Mai – markieren einen Kurswechsel in den deutsch-russischen Beziehungen: Nachdem der der Konflikt um die Ukraine lange alle anderen Themen überschattet hat, sind sich Angela Merkel und Wladimir Putin nunmehr einig, dass sie auch über andere Themen reden müssen. Die US-Politik unter Donald Trump ist ein wichtiger Treiber dieser Annäherung, die sich bereits abgezeichnet hatte, als sowohl die deutsche wie auch die russische Führung ihr Festhalten an dem von den USA aufgekündigten Iran-Atomabkommen erklärten. 

Der aus politischem Pragmatismus gespeiste neue Dialog bedeutet jedoch nicht, dass es zu einer neuen strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland kommen wird. Angela Merkel wird ihre harte Haltung mit Blick auf den Krieg in der Ostukraine und die Sanktionen gegenüber Russland nicht aufgeben. In dieser neuen Phase deutsch-russischer Beziehungen werden beide Seiten ihre Interessen vertreten, ohne zu viele, insbesondere grundsätzliche Kompromisse zu machen. Ein Durchbruch im Konflikt in der Ostukraine ist ebenso wenig zu erwarten wie eine konkrete Festlegung Putins auf die Durchleitung größerer Gasmengen durch die Ukraine nach dem Bau der Nord Stream 2-Pipeline. Jedoch werden beide auf dem Treffen das Signal in Richtung Washington aussenden wollen, dass sie sich nicht von US-Präsident Donald Trump erpressen lassen.

Dieses Treffen ist eine Chance, das deutsch-russische Verhältnis auf der Arbeitsebene zu normalisieren, ohne Abstriche bei grundlegenden Positionen zu machen. Deutschland und Russland brauchen einander bei Themen wie Energiesicherheit, der Migration aus dem Nahen Osten und der Stabilität in der Nachbarschaft. Putin wird in Meseberg jedoch hart verhandeln: Trotz der derzeitigen Spannungen in den transatlantischen Beziehungen sollte die Bundesregierung Moskau gegenüber keine Konzessionen machen, die ihren Interessen, etwa im Verhältnis zu ihren EU-Partnern, entgegenlaufen. Pragmatische, interessengetriebene Gespräche zwischen Berlin und Moskau sind aber in der derzeitigen angespannten internationalen Lage sinnvoll für Deutschland und auch die EU.

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan. “Merkel und Putin im Dialog.” August 2018.

DGAPstandpunkt 19, 16. August 2018, 2 S.

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