„America is back!“, versicherte US-Präsident Joe Biden Anfang des Jahres nach seiner Amtsübernahme. Doch derzeit diskutieren die europäischen Partner wieder darüber, wie sehr sie sich auf die USA verlassen können. Spätestens durch den unkoordinierten Abzug aus Afghanistan fühlen sie sich von der US-Regierung übergangen. Doch auch bei anderen Themen wie zuletzt der Entscheidung zu einem neuen Verteidigungsabkommen zwischen den USA, Australien und Großbritannien, der sogenannten „Aukus“-Allianz, blieb man in Europa brüskiert zurück.
Rahmenbedingungen: Zwei Säulen der US-Außenpolitik
Um seinem Land erneut die Führungsrolle einzuräumen und die US-Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, stützt sich Biden aktuell auf zwei Säulen, die jedoch zunehmend Risse bekommen und somit seine außenpolitische Handlungsfähigkeit einschränken.
Gesellschaftlicher Wiederaufbau im Innern: US-Präsident ist überzeugt, dass Außenpolitik zu Hause beginnt. Denn nur so können die USA mit gutem Beispiel in der Welt führen. Angesichts der zahlreichen innenpolitischen Baustellen dominiert die Idee eines demokratischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Wiederaufbaus seine Agenda. Zudem soll außenpolitisches Handeln gemäß seiner „Foreign Policy for the Middle Class“-Strategie zunächst der eigenen Bevölkerung dienen.
Wiederbelebung der Allianzen: Biden ist dennoch kein Isolationist, sondern Pragmatist. Er ist sich dessen bewusst, dass die USA globale Herausforderungen annehmen müssen und dass sie dies angesichts Chinas wachsendem Einfluss in der Welt nicht alleine können. Auch weiß er, dass die Bereitschaft der US-Bevölkerung, allein für die Kosten der globalen Sicherungsmacht aufzukommen, schrumpft. Daher will er gleichgesinnte, demokratische Partner hinter sich versammeln und mit vereinten Kräften den größten strategischen Herausforderungen entgegentreten.
Herausforderungen: Primat der Innenpolitik
Innenpolitisch scheint Bidens Strategie des demokratischen Wiederaufbaus dennoch nicht zu fruchten. In vielen Staaten wurden demokratische Grundrechte in den letzten Monaten weiter eingeschränkt. Texas ist hier nur das jüngste Beispiel. Dort wurden kürzlich Abtreibungen ab der sechsten Woche verboten. Kurz danach unterschrieb der texanische Gouverneur eine umstrittene Wahlrechtsreform, die besonders Minderheiten das Wählen erschweren wird. Das Gesetz ist nur das aktuellste in einer langen Liste ähnlicher Initiativen in mehr als 40 Bundesstaaten. Ein Umstand, der es schwer macht, die moralische Führung in der Welt zu übernehmen.
Bidens Bemühungen, die internationalen Allianzen zu stärken, wirken unbeholfen. Er ließ etwa die Sanktionen für Nord Stream 2 fallen und verärgerte damit die Osteuropäer. Kürzlich führte der zuvor erwähnte U-Boot-Deal mit Australien und dem Vereinigten Königreich zu einem diplomatischen Eklat mit Frankreich. Auch weitere Maßnahmen haben die Allianzen auf die Probe gestellt. So wurde europäischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern 18 Monate unter dem Vorwand der Pandemieeindämmung die Einreise in die USA verwehrt, weil Biden innenpolitisch zu zögerlich im Kampf gegen das Virus war. Ebenso hielt der Präsident an seinen Abzugsplänen aus Afghanistan fest – entgegen den Warnungen seiner europäischen Verbündeten. Doch Zustimmung bei seinen politischen Gegnern erntet er dafür trotzdem nicht. Auch nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 erkennen etwa 55 Prozent der Republikaner Joe Biden noch immer nicht als legitimen Präsidenten der USA an und große Teile der Republikanischen Partei sähen aktiv Misstrauen gegenüber dem demokratischen Prozess. Das sind schlechte Aussichten für die Zwischenwahlen im nächsten Jahr und die außenpolitische Handlungsfähigkeit des Präsidenten.
Denn ein US-Präsident, der immer wieder Brände zu Hause löschen muss, kann sich außenpolitisch nur auf das Notwendigste und innenpolitisch auf das Unstrittigste fokussieren. Biden konzentriert sich daher hauptsächlich auf China. Hier sieht er die größte Bedrohung für sein Land und es ist eines der wenigen Themen, bei dem ihm auch Republikaner zustimmen. Die USA könnten es sich nicht leisten, sich in endlosen Konflikten zu verstricken, die nicht im US-amerikanischen Kerninteresse liegen. Für Europa bedeutet das: Es muss mit einer sehr viel fokussierteren US-Außen- und Sicherheitspolitik rechnen und dürfte es schwer haben, die Amerikaner für andere Themen, Konflikte und Regionen zu interessieren.
Empfehlungen: Allianzen stärken, Agenden voranbringen
Die Bundesregierung sollte sich verstärkt für gemeinsame europäische Positionen einsetzen, um zu vermeiden, sowohl von Feinden als auch von Freunden gegeneinander ausgespielt zu werden. Die amerikanisch-deutschen Austauschformate der Washington Declaration wie der Wirtschaftsdialog sollten zum Beispiel für andere europäische Partner geöffnet werden, um zukünftigen Konflikten vorzubeugen. Dabei ist es essenziell, dass Europa seine eigenen Interessen – besonders beim Thema Sicherheit im Indo-Pazifik – klar definiert, sich abstimmt und geschlossen auftritt. Nur so kann es sicherstellen, dass seine Kernthemen in Washington ernst genommen und nicht als Partikularinteressen abgetan werden.
Europa muss zudem die amerikanische Innenpolitik stärker in den Blick nehmen und außenpolitische Politikfelder dahingehend prüfen, ob sie in den USA umstritten sind. Dies würde ein abgestimmtes und strategisches Handeln gegenüber den USA deutlich erleichtern und sowohl Berlin als auch Brüssel sprach- und verhandlungsfähiger machen. Den strategischen Fokus der Biden-Regierung auf China sollten sich Deutschland und die EU zunutze machen und beispielsweise die neue Indo-Pazifik-Strategie der EU schnell konkretisieren, um konstruktiv und effizient mit den USA zusammenzuarbeiten.