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27. Nov. 2012

Grenz- und Grundrechtsschutz sind zwei Seiten einer Medaille

Klaus Rösler, Abteilungsleiter für Einsätze bei Frontex, über neue Migrationsrouten und Kritik an der Grenzschutzarbeit

Im Mittelmeerraum wächst der Zustrom von Flüchtlingen. Außerdem sind die Zuwanderungswege unberechenbarer geworden. „Was uns Sorge bereitet ist die Unsicherheit darüber, wie sich die Migrationsströme in Richtung EU entwickeln werden“, sagt Klaus Rösler von der EU-Grenzschutzagentur. Im DGAP-Interview spricht er darüber, wie die neue Frontex-Verordnung die Koordinierung des Grenzschutzes an den EU-Außengrenzen erleichtert und den Grundrechtsschutz verbessert.

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DGAP: Herr Rösler, vor einem Jahr hat die EU die Rechts- und Arbeitsgrundlage Ihrer Agentur, also die Frontex-Verordnung, erweitert. Was hat sich für die Einsatzführung verbessert?

Rösler: Die Rolle von Frontex für die Koordinierung von Grenzschutzeinsätzen ist durch die erweiterte Verordnung gestärkt worden. Frontex und die Mitgliedstaaten erarbeiten Einsatzpläne nun gemeinsam. Das macht sie verbindlicher, für beide Seiten. Frontex wird zudem formal ermächtigt, die Umsetzung beschlossener Einsätze sicherzustellen – was der Agentur erlaubt, nötigenfalls Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, beispielsweise wenn vereinbarte Patrouillenfahrten nicht stattfinden. Frontex hat also heute eine aktivere Rolle und kann seine Aufgabe besser erfüllen.

Zudem ermöglicht uns die Neufassung des Mandats, den Grundrechtsschutz noch stärker zu berücksichtigen. Der Kern unserer Aufgaben aber hat sich nicht geändert: Auf Grundlage von Risikoanalysen koordinieren wir Grenzschutzeinsätze und unterstützen die Mitgliedstaaten darin, bei der Grenzschutzarbeit einen umfassenden Ansatz zu verfolgen, also die Zusammenarbeit beteiligter nationaler Behörden wie Polizei und Zoll zu verbessern; und schließlich fördern wir zielgerichtetes und harmonisiertes Training, das in unserem Auftrag in den Mitgliedsländern stattfindet.

DGAP: Grenzsicherung ist traditionell Sache der Mitgliedstaaten – für die EU-Außengrenzen ist seit einigen Jahren Frontex mitverantwortlich. Belasten unklare Zuständigkeiten Ihre Arbeit?

Rösler: Die Akzeptanz der Arbeit von Frontex bei den EU-Mitgliedern und den anderen Ländern des Schengener Abkommens ist in den sieben Jahren unseres Bestehens immer weiter gestiegen. Dies ist ein Beleg für die langjährige gute Zusammenarbeit. Nach wie vor beteiligen sich die Mitgliedstaaten gut an unseren Vorhaben und leisten ihre Beiträge, beispielsweise zu gemeinsamen Verstärkungseinsätzen oder Fortbildungen.

Die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt: Zuständig für Grenzüberwachung und grenzpolizeiliche Kontrollen sind eindeutig die Mitgliedstaaten. Frontex hat dabei eine koordinierende Funktion und muss gewährleisten, dass gemeinsame Einsätze auch durchgeführt werden. Diese Aufgabe wird durch die neue Verordnung gestärkt – die rechtliche und taktische Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Einsätze aber im Kern nicht verändert.

DGAP: Frontex-Operationen stützen sich auf mitgliedstaatliche Kräfte, also nationale Beamte und nationales Gerät. Wie weit ist Frontex auf dem Weg von einer koordinierenden Stelle zu einer einheitlichen EU-Grenzschutztruppe?

Rösler: Unsere Hauptaufgabe wird auch künftig in der Koordinierung bestehen. Grenzschutz ist ja ein nationales Hoheitsrecht, das von den Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres aufgegeben wird. Frontex-Einsätze sollen aber einen Mehrwert für die Mitgliedstaaten schaffen: Wir setzen die Erfahrung und Fachkompetenz von 30 Ländern und noch mehr Behörden zum Nutzen aller um.

Die geänderte Verordnung hilft uns dabei, unseren Koordinierungsmechanismus weiter zu verbessern. Während bisher Grenzschutzbeamte nur für einzelne Einsätze entsandt wurden, kann die Agentur nun aus einem virtuellen Personalpool, den die Mitgliedstaaten für die Teilnahme an Frontex-Einsätzen gebildet haben – den sogenannten „European Border Guard Teams“ – für einen Zeitraum von sechs Monaten Beamte bekommen und diese in Absprache mit den Mitgliedstaaten an verschiedenen Brennpunkten flexibel einsetzen.

Indem Experten aus unterschiedlichen Mitgliedsländern bei Frontex-Einsätzen zusammenarbeiten, bildet sich natürlich ein gemeinsames Verständnis unserer Aufgabe – und etwas, das man durchaus als Grenzschutz-Teamgeist bezeichnen kann.

DGAP: Mitgliedstaaten drohen immer mal wieder mit der Einführung EU-interner Grenzkontrollen. Damit gerät eine Errungenschaft der europäischen Integration, die Reisefreiheit innerhalb der EU, in Gefahr. Spielt der Erhalt des Schengen-Raums bei der Arbeit von Frontex eine Rolle?

Rösler: Zunächst einmal soll Grenzkontrolle nach einem modernen Verständnis die Bewegungsfreiheit von Reisenden erleichtern, die mit guten Absichten unterwegs sind. Sie zielt also nicht darauf, Bewegung zu verhindern. Aber sie soll als ein Filter gegen illegale Aktivitäten fungieren.

Kontrollfreies Reisen innerhalb des Schengen-Raums und eine sichere EU-Außengrenze hängen in der Tat eng zusammen. Frontex versteht sich als eine Ausgleichsmaßnahme für den Wegfall der Grenzkontrollen gemäß des Schengener Abkommens. Der Verzicht auf die Binnengrenzkontrollen ist nur möglich mit einem wirksamem Schutz der Außengrenzen.

DGAP: Was macht Ihnen zur Zeit mehr Sorge: die Lage im griechisch-türkischen Grenzgebiet oder die Situation in Nordafrika?

Rösler: Die griechisch-türkische Grenze, zu Land und zu Wasser, sowie der Seeraum zwischen Italien, Libyen und Tunesien sind die zwei Brennpunkte der europäischen Außengrenzen. Gerade im Süden hat der Zustrom von Migranten in den letzten Monaten wieder zugenommen.

Was uns vor allem Sorge bereitet, ist die Unsicherheit darüber, wie sich die Migrationsströme in Richtung EU entwickeln werden. Die Zuwanderung nach Europa ist, auch als eine Folge der Umbrüche in Nordafrika und des Bürgerkriegs in Syrien, noch weniger vorhersehbar geworden. Flüchtlinge kommen in größerer Zahl, Routen verlagern sich plötzlich.

Außerdem kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Schutzbedürfnissen zu uns. Darauf müssen wir uns einstellen. Notleidende benötigen eine angemessene Ansprache und Aufnahme, vor allem durch entsprechende Asylverfahren in den Mitgliedsländern.

DGAP: Ist Frontex für seine Aufgaben adäquat ausgerüstet?

Rösler: Die ergänzte Verordnung bietet die rechtliche Grundlage dafür, dass Frontex sich eigene Ausrüstung beschaffen kann. Bis jetzt verfügt unsere Agentur über keinerlei eigene „Truppen“, über keine eigene Flotte oder Luftüberwachung. Sämtliches Personal und Gerät stellen die Mitgliedstaaten und wir koordinieren dieses möglichst effektiv. Derzeit ist auch nicht geplant, etwa Hubschrauber oder Patrouillenboote anzuschaffen. Dafür müssten zudem erst erhebliche EU-Gelder verfügbar gemacht werden.

Allerdings läuft auf europäischer Ebene ein für uns sehr wichtiges Projekt. Es handelt sich um die Schaffung des Überwachungssystems „Eurosur“ (European Surveillance System), das bestehende Überwachungssysteme zusammenführt. Damit wollen wir Migrationsbewegungen an den Land- und vor allem an den Seegrenzen künftig besser erkennen. Man wird ausserdem Personen, die in Seenot geraten sind, schneller retten können. Und schließlich soll damit die Kriminalität an den Außengrenzen wirksamer bekämpft werden; dabei geht es nicht nur um illegale Einreise, sondern auch um illegale Warenströme wie den Drogenhandel.

DGAP: In Ihrer Arbeit vereinen sich die Aspekte der Kriminalitätsabwehr und des geregelten Zugangs zur EU. Frontex bekommt daher Kritik an mangelndem Grundrechtsschutz ebenso ab wie an zu laxen Grenzkontrollen. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Rösler: Wir müssen den Bürgern und unseren Partnern unsere Aufgaben und Ziele noch besser vermitteln. Bei unserem Auftrag Grenzschutzeinsätze zu koordinieren, haben wir uns voll und ganz der Einhaltung und Förderung der Grundrechte verschrieben. Ich würde sogar sagen, dass Frontex im Konzert der Agenturen neben der EU-Grundrechtsagentur als Vorreiter bei der Wahrung des Grundrechtsschutzes gelten kann.

Wir arbeiten gut mit der europäischen Grundrechtsagentur zusammen oder auch der neuen Agentur für Asylverfahren. Vor allem haben wir selbst seit diesem Jahr eine Grundrechtsbeauftragte und wir haben ein strategisches Beratergremium für den Grundrechtsschutz geschaffen. Für die Mitarbeiter, die in Einsätze gehen, bieten wir Grundrechtsfortbildungen an, genauso für die Behörden der Mitgliedstaaten, als Bestandteil der einheitlichen Ausbildungspläne. Wir wenden einen Verhaltenskodex an und haben den Respekt der Grundrechte in allen Einsatzplänen verbindlich festgeschrieben. Und schließlich verfügen wir über einen Mechanismus, mit dem wir Grundrechtsverletzungen während gemeinsamer Einsätze beobachten. Für alle Beteiligten besteht dabei eine Berichtspflicht. Der Exekutivdirektor von Frontex darf bei schweren Grundrechtsverstößen einen Einsatz sogar abbrechen.

Diese Palette von Maßnahmen zeigt, dass wir den Schutz der Grundrechte als europäischen Wert betrachten. Für uns sind Grenzsicherung und Grundrechtsschutz zwei Seiten ein und derselben Medaille.

DGAP: Was können Sie tun, um eine erniedrigende Behandlung von Flüchtlingen in Drittländern zu vermeiden?

Rösler: Frontex strebt an, mit den Herkunfts- oder Transitländern irregulärer Migration weitere sogenannte strategische Arbeitsabkommen abzuschließen, wie es sie bereits mit 18 Ländern gibt. Sie dienen dem Informationsaustausch in Grenz- und Migrationsfragen, aber auch der allgemeinen Zusammenarbeit. Ein Punkt darin sieht beispielsweise vor, dass wir Vertreter aus Nicht-EU-Ländern zu Frontex-Einsätzen einladen, damit sie das europäische Gemeinschaftsrecht im Bereich des Grenzschutzes kennen lernen.

Die politischen Zustände innerhalb von Drittländern sind allerdings nicht Gegenstand der Zusammenarbeit, die Verträge berühren also nicht die Frage, welche Politik eine Regierung dort verfolgt, sei es auf wirtschaftlichem oder gesellschaftlichem Gebiet. Das würden diese Länder auch nicht akzeptieren.

DGAP: Frontex ist lediglich ein Puzzleteil im Gesamtbild der Migrationspolitik. Wie geht die Agentur mit Defiziten in anderen Bereichen um, beispielsweise in der europäischen Asylpolitik?

Rösler: Wenn wir bei einem Einsatz feststellen, dass in einem EU-Land Defizite im Asylverfahren bestehen, haben wir keine Vollzugsgewalt, um diese Missstände abzustellen. Wir verfügen lediglich über die Kraft der Beobachtung und des Wortes. Also schreiben wir Berichte an die EU-Kommission und an die zuständigen Behörden des jeweiligen Mitgliedstaates. Darin weisen wir auf die Defizite hin. Bei einigen Ländern, an die wir uns immer wieder gewandt haben, konnten wir so einiges erreichen. Aber wir können uns als Grenzschutzagentur nicht verantwortlich machen lassen für Maßnahmen der Migrationssteuerung, die ausschließlich in nationaler Verantwortung liegen.

DGAP: Herr Rösler, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Lucas Lypp, Online-Redakteur

Klaus Rösler, Leiter der Abteilung für Einsatzangelegenheiten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, folgte einer Einladung des Alfred von Oppenheim-Zentrums für europäische Zukunftsfragen der DGAP zu einer Veranstaltung der Reihe „Brussels Brieifing“ am 31. Oktober 2012 mit dem Thema „An den Grenzen der EU – die Neuausrichtung von Frontex“. Almut Möller, Programmleiterin des Oppenheim-Zentrums, moderierte die Veranstaltung.

Bibliografische Angaben

Rösler, Klaus. “Grenz- und Grundrechtsschutz sind zwei Seiten einer Medaille.” November 2012.

DGAP-Interview, 21. November 2012

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