Memo

05. Febr. 2025

Globale Gesundheit – auch ein deutsches Interesse

Strategien für eine krisenfeste globale Gesundheitsarchitektur
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Die Coronapandemie hat die Gesundheitsarchitektur weltweit geschwächt und das Vertrauen in multilaterale Zusammenarbeit beschädigt. Der US-Ausstieg aus der WHO verschärft die Lage zusätzlich, indem er das globale Gesundheitssystem weiter belastet und autoritären Akteuren Raum gibt. Deutschland sollte daher die WHO stärken, zentrale Gesundheitsinitiativen finanziell absichern und sich für eine starke, einheitliche EU-Strategie einsetzen, um globale Stabilität zu fördern und deutsche Interessen zu wahren. Sicherheit und Verteidigung können langfristig nicht ohne funktionierende Gesundheitssysteme gedacht werden.

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Ziel: Mehr Sicherheit durch eine belastbare globale Gesundheitsarchitektur

In der außenpolitischen Debatte, die stark von Sicherheits- und Verteidigungsinteressen geprägt ist, wird globale Gesundheitspolitik oft vernachlässigt. Dabei bilden robuste Gesundheitssysteme die Grundlage für Stabilität, Sicherheit und Frieden. Die Wechselwirkung zwischen Gesundheit und Sicherheit ist vielschichtig: Konflikte zerstören Gesundheitssysteme, fördern Krankheiten und schaffen globale Risiken. Gleichzeitig stärken effektive Gesundheits-Governance und –Diplomatie Vertrauen, entschärfen Konflikte und begegnen Herausforderungen wie Pandemien, Flüchtlingsbewegungen oder Lieferkettenstörungen präventiv. Eine widerstandsfähige globale Gesundheitsarchitektur ist daher von strategischer Bedeutung und liegt  im deutschen Interesse. Es ist somit Aufgabe einer neuen Bundesregierung, ein stabiles, zukunftsfähiges globales Gesundheitssystem zu schaffen, das partnerschaftliche Zusammenarbeit nach den Vertrauensverlusten der Coronapandemie wiederherstellt.

Ausgangslage: Globale Gesundheitsarchitektur unter Druck

Die globale Gesundheitsarchitektur steht unter Druck. Die Nachwirkungen der Coronapandemie wiegen schwer: Das Ansehen multilateraler Institutionen, insbesondere der WHO, ist beschädigt, das Verhältnis zwischen Ländern des Globalen Südens und Nordens belastet, und in Deutschland sowie anderen Ländern drohen zusätzlich Budgetkürzungen. Hinzu kommt der kürzlich angekündigte, aber nicht unerwartete US-Austritt aus der WHO, der eine enorme Finanzierungslücke hinterlässt, da der US-Beitrag mit rund 1,3 Milliarden Dollar, also rund 18 Prozent, den größten Teil des WHO-Budgets ausmacht. Zudem könnte sich dieser Schritt auf die Ausrichtung der Organisation auswirken, was durch autoritäre Akteure wie China versuchen, das Vakuum zu füllen.

Um die globale Gesundheitsarchitektur zu stabilisieren, muss Deutschland auf zwei Ebenen aktiv werden: finanziell und strategisch.

Bisher spielt Deutschland eine führende Rolle als zweitgrößter Geldgeber globaler Gesundheitsinitiativen, sowohl durch die Organisation großer Gesundheitskonferenzen als auch als führender Forschungs- und Pharmastandort. Um diesen Einfluss zu sichern, bedarf es jetzt einer strategischen Herangehensweise. In den aktuellen Wahlprogrammen fehlen hierzu jedoch klare Priorisierungen und Ideen. Dadurch droht das Thema aus dem politischen Fokus zu geraten 

Nächste Schritte: Finanziell und strategisch handeln

Um die globale Gesundheitsarchitektur zu stabilisieren, muss Deutschland dringend auf zwei Ebenen aktiv werden: finanziell und strategisch. Es gilt, die Finanzierung zentraler Gesundheitsinitiativen sowie die Handlungsfähigkeit der WHO zu sichern und durch strukturelle Maßnahmen die multilaterale Zusammenarbeit in der globalen Gesundheitspolitik zu stärken.

1. Finanzierung globaler Gesundheitsinitiativen sichern

Der Ausstieg der USA, dem größten nationalstaatlichen Geldgeber der WHO, hinterlässt wie erwähnt eine gefährlich große Lücke im Budget der Organisation. Ähnlich wie nach der Ankündigung des ersten US-Ausstiegs sollte Deutschland als zweitgrößter Geldgeber seine finanziellen Beiträge ausbauen und somit die finanzielle Stabilität der WHO sichern. Auch globale Gesundheitsfonds wie GAVI, Global Fund oder Pandemic Fund müssen aktiv in ihren anstehenden Replenishments unterstützt werden, um nachhaltige Stabilität zu schaffen.

Im letzten Jahr sendete die Bundesregierung ein wichtiges Signal, indem sie trotz geplanter Haushaltskürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit die Gesundheitsgelder erhöhte und Deutschlands Zusagen für die WHO von 240 auf 360 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren hob. Dies beweist ein Bewusstsein für die Bedeutung globaler Gesundheit. Um die Lücke der USA zu schließen, erfordert der knappe WHO-Haushalt darüber hinaus eine verstärkte finanzielle Zusammenarbeit – auch mit der EU. Finanzielle Stärke bedeutet Einfluss auf die Prioritäten der WHO und bietet die Chance, Europas und Deutschlands Führungsrolle in der globalen Gesundheitsarchitektur zu stärken.

2. EU-Rolle in der globalen  Gesundheit stärken

Die USA hinterlassen neben der finanziellen auch eine erhebliche normative Lücke. Sie waren bislang eine zentrale Kraft in der Förderung wissenschaftsbasierter und evidenzgeleiteter Gesundheitspolitik sowie in der Verteidigung grundlegender Prinzipien wie Transparenz, Innovation und globale Solidarität. Ihr Rückzug droht diese Werte in der WHO zu schwächen. Gleichzeitig eröffnet das entstehende Vakuum autoritären Akteuren wie China sowie weiteren BRICS-Staaten die Möglichkeit, ihren Einfluss innerhalb der WHO zu erhöhen und die Organisation entlang eigener geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen zu gestalten. Das widerspricht Deutschlands strategischen Interessen.

Deutschland sollte diesen Entwicklungen aktiv entgegentreten, indem es sich für eine stärkere Position der EU innerhalb der WHO einsetzt. Obwohl die EU ein großer Geldgeber ist, hat sie weder Mitsprache- noch Entscheidungsrecht und bleibt lediglich Beobachterin – ein Umstand, der in Brüssel zunehmend kritisch gesehen wird. Eine stärkere EU-Rolle würde nicht nur ein wichtiges Gegengewicht schaffen, sondern auch dazu beitragen, die durch den Rückzug der USA entstandenen normativen Lücken teilweise zu schließen. Deutschland sollte sich gemeinsam mit europäischen Partnern für eine einheitliche Strategie und entsprechende WHO-Reformen engagieren. Eine gestärkte EU in der WHO würde die globale Gesundheitsarchitektur stabilisieren und die Welt dem globalen Ziel von nachhaltiger Sicherheit und Frieden näherbringen – und somit auch Deutschlands außenpolitischen Interessen nützen.

Bibliografische Angaben

Spillner, Ole. “Globale Gesundheit – auch ein deutsches Interesse.” DGAP Memo 13 (2025). German Council on Foreign Relations. February 2025.

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