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12. Mai 2024

„Gestatten, Victoria Shi“: Ein KI-Avatar wird Pressesprecherin der Ukraine

Ukraine AI Sprecherin
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Public Domain

Übernimmt Künstliche Intelligenz bald Regierungsaufgaben? Das ukrainische Außenministerium zeigt, wie es gehen könnte. Patin für die digitale Pressesprecherin stand eine Teilnehmerin der „Bachelor“-Serie.

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Das ukrainische Außenministerium hat vergangene Woche seine neue Sprecherin Victoria Shi vorgestellt. Das Besondere daran: Sie ist keine echte Person, sondern ein mit künstlicher Intelligenz (KI) generierter Avatar, also eine digitale Kunstfigur. Ihr Job: Sie gibt von nun an offizielle – von Menschen verfasste – Erklärungen des Außenministeriums ab.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte die Einführung von Shi einen „technologischen Durchbruch“. Die aktive Nutzung von KI sei keine Spielerei, „sondern eine kriegsbedingte Notwendigkeit“. Die Ukraine sei darauf angewiesen, um „einen Schritt voraus zu sein“. 

Patin für die digitale Persönlichkeit ist eine Sängerin 

Auf Instagram stellt sich Victoria Shi als digitale Persönlichkeit vor. Ihr Name setzt sich zusammen aus dem Wort „Sieg“ und dem ukrainischen Ausdruck für künstliche Intelligenz: shtuchniy intelekt. Shis Aussehen, Stimme, Gestik und Mimik sind an die Ukrainerin Rosalie Nombre angelehnt, eine reale Person. Sie ist Sängerin und eine ehemalige Teilnehmerin der ukrainischen Version der Reality-Show „Der Bachelor“. Nombre stand jedoch nur bei der Erschaffung Pate und hat mit Shis weiterem Einsatz nichts zu tun. 

Auf seiner Webseite erklärt das Außenministerium Shis Aufgaben: vor allem vorgefertigte offizielle Erklärungen abgeben – für die normale Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation mit Journalisten und Krisenkommunikation bei Notsituationen im Ausland. 

Äußerungen von Shi würden nicht von KI generiert und seien gegen Fälschungen abgesichert, betont das Ministerium. Jede Aussage Shis ist mit einem QR-Code versehen, der sie mit den Textversionen auf der Website des Ministeriums verknüpft. Damit soll die Authentizität der Kommunikation frei von Manipulation durch russische und andere Akteure garantiert und vor Cyberangriffen abgesichert werden. 

KI-generierte Parteien und Kandidaten sind nicht neu 

Mit der Einführung Shis sollen die Produktivität im diplomatischen Dienst gesteigert sowie wertvolle Zeit und Ressourcen eingespart werden, die durch die Belastung des Krieges anderweitig benötigt würden. 

Mit diesem Schritt betreten die Ukrainer Neuland. Weltweit gibt es zwar bereits einige KI-generierte Parteien und politische Kandidaten. Doch in der Diplomatie ist bislang noch keine digitale Person aufgetreten, die konsularische Informationen teilt. 

Auch in Deutschland wird diskutiert, wie KI als außenpolitisches Werkzeug eingesetzt werden kann, um Diplomaten und konsularische Dienste zu entlasten. Weil Diplomatie mit der Zeit gehen muss. Weil sich KI anbietet, etwa für Übersetzungen, Analysen oder als virtueller Assistent – als Sprecher für Deutschland, das ist hier aber bisher noch nicht debattiert worden. Weltweit könnten die virtuellen Regierungsvertreter aber schon bald in größerem Umfang aktiv eingesetzt und zur Norm werden. 

Vertrauen, das Wesen der Diplomatie, muss erhalten bleiben 

Der technologische Fortschritt durch KI wird einen weitaus größeren sozialen und kulturellen Wandel mit sich bringen. Immer mehr von dem, was wir wahrnehmen, wird zukünftig durch KI erzeugt – oder manipuliert– worden sein. Es wird immer schwieriger, zu unterscheiden, was menschengemacht ist und was nicht. Klare Kennzeichnung, Transparenz und verständliche Kommunikation sind daher entscheidend, um gesellschaftliche Akzeptanz und Vertrauen im Umgang mit dieser Technologie auf Regierungsebene zu schaffen.

Diplomatie beruht in hohem Maße auf Vertrauen. Sie muss Innovation zulassen, aber gerade im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ist es wichtig, sicherzustellen, dass das Wesen der Diplomatie erhalten bleibt. Die Vermenschlichung der KI und ihr Einsatz auf Regierungsebene sind nicht unbedenklich und erfordern ein kritisches Hinterfragen. 

In naher Zukunft wird es sicherlich digitale Persönlichkeiten geben, die sich bewegen und unterhalten können. Als Gesellschaft sollten wir uns daher die Frage stellen, ob das die Zukunft ist, die wir anstreben. Eine Zukunft, in der wir in einem Kreislauf existieren, in dem Menschen von KI-generierten Avataren präsentierte Inhalte konsumieren, und KI nutzen, um diese Inhalte weiterzuverarbeiten, was möglicherweise wiederum zur Generierung weiterer Inhalte verwendet wird. 

Was wir stattdessen brauchen, ist ein ausgewogener Ansatz, bei dem KI-generierte Inhalte die menschliche Kreativität ergänzen, statt sie vollständig zu ersetzen. Ein solider Governance-Rahmen, ethische Leitlinien und Transparenzmaßnahmen sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass KI-Technologien zur Generierung von Inhalten verantwortungsvoll entwickelt und auf Regierungsebene eingesetzt werden.

Bibliografische Angaben

Muñoz, Katja. “ „Gestatten, Victoria Shi“: Ein KI-Avatar wird Pressesprecherin der Ukraine.” German Council on Foreign Relations. May 2024.

Dieser Artikel ist zuerst im Tagesspiegel am 12. Mai 2024 erschienen.

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