Frau Dr. Schwarzer, wie beurteilen Sie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft?
Die Bundesregierung hat sich sehr schnell auf eine Corona-Präsidentschaft einstellen müssen. Im Vordergrund standen der Umgang mit der Gesundheitskrise, die Abfederung der Wirtschaftskrise und vor allem die Umstellung auf weitgehend digitales Arbeiten, was gerade bei schwierigen Verhandlungen eine Herausforderung ist. Viele andere Prioritäten wie etwa der EU-China-Gipfel mit 27 europäischen Staats- und Regierungschefs mussten aufgegeben werden. Der größte Erfolg war der Kompromiss zum mehrjährigen Finanzrahmen und zum Wiederaufbaufonds, auch wenn Polen und Ungarn versucht haben, die Bestimmungen zu Verstößen der Mitgliedsländer gegen Rechtsstaatlichkeit wieder aufzuweichen.
Die Europäer können ihre Interessen besser schützen, wenn sie gemeinsam auftreten.
Die Corona-Pandemie hat vor allem zu Beginn gezeigt, dass die EU auch Schwächen hat. Welche Konsequenzen hat dies für die Zukunft – und welchen Beitrag kann und sollte Deutschland nun leisten?
Wieder einmal ist deutlich geworden, dass die Integration unter Druck gerät, wenn die EU in einer Krise keinen ausreichenden Schutz bieten kann. Es gibt offensichtliche Parallelen zur Finanzkrise ab 2008, auf die auch zunächst national und unkoordiniert reagiert wurde. Als das Virus sich in Europa ausbreitete, gingen im Binnenmarkt die Grenzen hoch, medizinisches Material wurde gehortet. Aber die EU hat die Fähigkeit zur Selbstkorrektur bewiesen: Sie kooperiert nun in der Bereitstellung von Impfstoffen, beschafft Masken gemeinsam, Patienten wurden zur Intensivbehandlung über Grenzen transportiert. Die wichtigste Lehre lautet: Wenn wir die Freizügigkeit von Personen fördern, müssen wir den Schutz der Bevölkerung im Blick haben, gerade auch vor Gesundheitsrisiken.
Warum ist es für Deutschland so wichtig, sich für eine starke EU einzusetzen?
Deutschland hat sein Wirtschaftsmodell sehr stark auf Export und grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten ausgelegt, insbesondere innerhalb der EU. Die Stärke basiert daher zu einem großen Teil auf dem Binnenmarkt und der Währungsunion, in der der Euro vor Wechselkursschwankungen schützt. Darüber hinaus ist die EU ein zunehmend wichtiger politischer Akteur, auch nach außen hin. In einer Welt, die immer stärker von geopolitischem und geoökonomischem Kräftemessen geprägt ist, können die Europäer ihre Interessen besser schützen und internationale Ordnung wirksamer gestalten, wenn sie zusammenarbeiten und gemeinsam auftreten.