Für Argentinien, das in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, ist die Präsidentschaft für die informelle G20-Gruppe der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer eine große Chance. Deshalb hat Präsident Mauricio Macri für das Gipfelreffen vom 30. November bis zum 1.Dezember in Buenos Aires drei Schwerpunkte gewählt, die für das südamerikanische Land von besonderer Bedeutung sind: Die Zukunft der Arbeit, Infrastruktur als Entwicklungsmotor und eine nachhaltige Ernährungssicherheit.
Überschattet werden diese zweifelsohne wichtigen Themen jedoch von den aktuellen Entwicklungen im Welthandel. Der Handelskrieg zwischen den USA und China sowie der steigende Protektionismus gefährden die Stabilität des Welthandelssystems und die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft. Auch wenn Handel und Weltwirtschaft seit der Gründung der G20 im Jahr 2008 immer weit oben auf der Agenda stehen, hat niemand vorausgesehen, dass diese Themen zehn Jahre nach der Finanzkrise wieder eine solche Dringlichkeit erhalten. Verantwortlich dafür ist die protektionistische Handelspolitik der USA.
Der Gipfel wird aufgrund der angespannten aktuellen Situation große Aufmerksamkeit erhalten. Für Argentinien bietet die G20-Präsidentschaft damit die Möglichkeit, sich trotz seiner anhaltenden wirtschaftlichen Probleme als wichtiger Partner im Kreis der 19 bedeutenden Industrie- und Schwellenländer und der Europäischen Union zu beweisen. Andererseits sind die Erfolgsaussichten auf eine Einigung der G20 in Buenos Aires nicht sehr rosig, denn die Konfliktlinien verlaufen mitten durch die Mitglieder.
Zwischen „America First“ und schwierigem Marktzugang in China
Alles wird davon abhängen, wie die großen Player im Welthandel – die USA, China und die EU – sich auf dem Gipfel verhalten werden. Der kürzlich erschienene Länderbericht 2018 der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung listet die zahlreichen Herausforderungen auf, mit denen die USA unter Präsident Donald Trump zu kämpfen haben. Dazu zählen „ein gefährlich hohes und kurzfristig nicht auszugleichendes Budgetdefizit, steigende ökonomische Ungleichheiten und der Verlust von gut bezahlten Arbeitsplätzen in der Mittelschicht und Arbeiterklasse“. Trump ist mit dem Versprechen an die Macht gekommen, die gut bezahlten Industriejobs im Rahmen seiner „America First“-Politik wieder in die USA zurückzuholen. Dazu will er die Handelsbeziehungen der USA, wie er es nennt, „fair“ gestalten, indem er „angeblich unfaire Handelsabkommen abschafft oder neu verhandelt“, so auch der aktuelle SGI-Bericht. Gleichzeitig setzt er unilaterale Maßnahmen ein und verhängt Strafzölle gegen China, aber auch gegen Handelspartner und Verbündete wie Japan, Kanada und die EU. Hierdurch gefährdet er bestehende Handelspartnerschaften und globale Lieferketten. Auch die Welthandelsorganisation (WTO) als zentrale internationale Organisation, die Handels- und Wirtschaftspolitik regelt, wird infrage gestellt.
China wiederum sieht sich als Verfechter des liberalen Handelssystems und der WTO. Schaut man sich jedoch die tatsächliche Marktsituation an, so bestehen zahlreiche schwerwiegende Markthemmnisse, die den Handel zugunsten Chinas verzerren. Darunter fallen unter anderem hohe Schutzbarrieren, die Subventionspraktiken von Staatsunternehmen, der erzwungene Technologietransfer sowie der mangelnde Schutz geistigen Eigentums.
Die EU hat in dieser Auseinandersetzung eine mittlere Position inne. Sie teilt die wirtschaftlichen Sorgen, die die USA mit China haben. Sie verfolgt diese jedoch mit einer geringeren Schärfe. Im Gegensatz zum unilateralen Ansatz der USA, die mittlerweile Strafzölle auf fast die gesamten chinesischen Exporte verhängt haben, will die EU die Probleme durch Gespräche auf bilateraler und multilateraler Ebene sowie durch Reformen der WTO lösen.
Möglichkeiten und Grenzen der argentinischen G20-Präsidentschaft
Die informelle Gruppe der G20 bietet eine Gelegenheit, diese Konflikte anzugehen. Doch genau hier liegt auch das Problem, da die Beschlussfähigkeit der Gruppe vom Kooperationswillen der einzelnen Staaten abhängt. Mit der kompromisslosen „America First“-Haltung der USA stoßen informelle Foren wie G7 und G20 daher an ihre Grenzen.
Was kann der G20-Gipfel in Argentinien somit leisten? Wenn man sich die Abschlusserklärung des letzten G20-Gipfels in Hamburg von 2017 anschaut, wird deutlich, dass die Mitgliedstaaten beide Positionen in die Erklärung aufgenommen haben, um einen Eklat zu vermeiden. So wird auf der einen Seite betont, wie wichtig offene Märkte und der Kampf gegen Protektionismus sind. Auf der anderen Seite wird die Rolle „rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente“ anerkannt, um die USA an Bord zu halten. Die zentrale Rolle der WTO für den Welthandel konnte aufgrund des Widerstands der USA nicht erwähnt werden.
Diese Konfliktlinien bleiben 2018 weiterhin bestehen. Dennoch gibt es erste positive Entwicklungen. Auf dem Treffen der G20-Handelsminister im September im argentinischen Mar de la Plata einigten sich die G20-Staaten inklusive der USA und China darauf, dass es einen dringenden Bedarf gibt, die WTO zu reformieren, damit diese den bestehenden und zukünftigen Herausforderungen begegnen kann. Im Gegensatz zu 2017 erkennen die USA somit die Rolle der WTO im Welthandel an. Und auch China unterstützt dieses Vorhaben, obwohl es im Zentrum der WTO-Reformen steht.
Wenn es die G20-Mtgliedstaaten schaffen sollten, an diesen Beschluss der G20-Handelsminister anzuknüpfen und sich auf dem Gipfel Ende November darauf zu einigen, dass WTO-Reformen bei Subventionsregeln und Staatsunternehmen und beim Streitschlichtungsverfahren notwendig sind, sind erste Weichen für eine Entspannung im Welthandel gestellt. Dies wäre ein wichtiger Fortschritt für das regelbasierte und transparente Welthandelssystem, aber auch ein wichtiger Erfolg für die G20, die sich selbst als das zentrale Forum für internationale Wirtschaftskooperation bezeichnen.