1. Das Ende westlicher Luftüberlegenheit
Luftüberlegenheit ist eine zentrale Bedingung für Streitkräfte, um handlungsfähig zu sein. Sie ist notwendig, um ohne wesentliche Einschränkungen durch gegnerische Kampfflugzeuge und andere luftgestützte Bedrohungen operieren zu können. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben NATO-Staaten in jedem Konflikt eine klare Luftüberlegenheit gehabt – zumindest, nachdem sie in der Anfangsphase des Konflikts die gegnerischen Luftwaffen und Luftabwehrfähigkeiten zerstörten. Die dadurch gegebene Abwesenheit feindlicher Bedrohungen aus der Luft hat jedoch dazu geführt, dass die NATO-Staaten seit Ende des Kalten Krieges ihre eigenen Luftabwehrfähigkeiten massiv abgebaut haben.
Doch seit einigen Jahren erweitert sich das Spektrum von luftbasierten Bedrohungen und ihre Intensität erhöht sich. Deshalb müssen sich die NATO-Streitkräfte wieder Gedanken um ihre Luftabwehrfähigkeiten machen. Grund für die neue Bedrohung ist vor allem die horizontale und vertikale Weiterverbreitung von Technologien und Waffensystemen.
Horizontale Proliferation bedeutet, dass immer mehr Staaten über Flugzeuge und Lenkflugkörper verfügen, von denen luftgestützte Bedrohungen ausgehen. Die vertikale Proliferation umfasst vier Formen: Erstens gehören dazu technische Neuerungen oder Verbesserungen bei Werkstoffen, die in bestehende Flugsysteme übertragen werden. Zweitens ist mit Drohnen bzw. unbemannten Flugsystemen (Unmanned Aerial Vehicles, UAVs) eine neue Form der Bedrohung hinzugekommen, die eine schnellere Aufklärung von Zielen und deren Bekämpfung ermöglicht. Außerdem sind UAVs für viele weitere Staaten schnell und einfach verfügbar. Durch die parallel fortschreitende Digitalisierung wird, drittens, die militärische Domäne Luft mit einer neuen Domäne verbunden: dem Cyber- und Informationsraum. Da die Digitalisierung alle Bereiche der Streitkräfte umfasst, entstehen so neue Bedrohungen beim Gegner und eigene Verwundbarkeiten. Viertens geraten diese neueren Technologien (UAVs und digitale Anwendungen) aufgrund ihrer kommerziellen Verfügbarkeit auch in die Hände von neuen Akteuren wie Terrororganisationen.
Die Treiber dieses Wandels sind Nebeneffekte größerer Veränderungen in der Weltwirtschaft. Ihre Wirkungen im militärischen Bereich lassen sich daher kaum aufhalten: Technologien werden zunehmend aus primär kommerziellen Interessen entwickelt und gelangen einfach auf globale zivile Märkte. Staatlich finanzierte (Rüstungs-)Programme hingegen haben immer weniger Einfluss darauf, welche Technologien verfügbar sind. Durch die rüstungsindustriellen Erfolge von Schwellenländern finden sich zudem immer mehr luftgestützte Waffensysteme auf dem Weltmarkt.
1.1 Zunehmende militärische Unsicherheit auf allen Ebenen
Diese Entwicklungen schaffen Herausforderungen auf allen militärischen Handlungsebenen, also in strategischer, operativer und taktischer Hinsicht entlang des gesamten technologischen Spektrums.
Auf strategischer Ebene kann etwa die Verbreitung von strategischen Bombern mit Tarnkappen-Eigenschaften oder von Hyperschall-Waffensystemen die Stabilität zwischen Staaten vermindern. Erheblich gesteigerte Fluggeschwindigkeiten und die erschwerte Detektion von Flugkörpern reduzieren die Zeit, in der politische Systeme auf einen Angriff reagieren können. Dieses Risiko ist noch größer, wenn dabei Nuklearwaffenstaaten involviert sind. Flugkörper, die sich mit Hyperschallgeschwindigkeit bewegen, können die Vorwarnzeit eines Angriffes zwischen den USA und Russland von ungefähr 30 Minuten auf sechs Minuten verkürzen. Das erhöht den Druck auf politische Entscheidungsprozesse, was Staaten zu aggressiveren Doktrinen verleiten kann – etwa die Aktivierung von Abwehrmaßnahmen und Gegenschlägen bereits als Reaktion auf eine erste Warnung (Launch on Warning).
Für Operationen, also für das gesamte Spektrum militärischer Aktivitäten im Zusammenhang mit Einsätzen, sind vor allem die rasanten Entwicklungen (Tarnfähigkeiten, höhere Geschwindigkeiten) bei Flugzeugtechnologien und Marschflugkörpern sowie die Proliferation von Präzisionsmunition relevant. Sie zwingen westliche Militärs, neue Konzeptionen von Mobilität, Schutz, Einsatz und Versorgung zu erstellen.
Auf taktischer Ebene, also direkt auf dem Gefechtsfeld, werden immer kleinere Einheiten eigene Luftabwehrkapazitäten entwickeln müssen, um auf den zunehmenden Einsatz kleiner UAVs zu reagieren, die als Aufklärer für Artillerieschläge, zur Störung der Kommunikationsverbindungen oder als Waffenträger dienen können.
Darüber hinaus durchdringen Cyber-Bedrohungen und elektronische Kriegsführung die militärischen Handlungsebenen und gefährden die Kommunikation und Koordination zwischen den Streitkräften. So kann z.B. durch UAVs die Informationenübertragung zwischen Systemen verzerrt und der Feind getäuscht, aber auch die Steuerung und Signalübertragung zu und von UAVs gestört werden.
Sowohl Deutschland als auch Europa und die NATO sollten sich eingestehen, dass sie zumindest temporär keine Luftüberlegenheit mehr besitzen. Da viele NATO-Staaten aber in ihren Planungen für militärische Operationen noch davon ausgehen, sollte das zum Anreiz genommen werden, die bestehenden und zukünftigen Bedrohungen genauer zu betrachten und mögliche Reaktionen und Verteidigungsmechanismen zu untersuchen.
2. Die Bedrohungslage aus der Luft wird unübersichtlicher
In Zukunft werden immer mehr Akteure Zugriff auf technologisch fortschrittliche Kampfflugzeuge und Lenkflugkörper haben und gleichzeitig neue luftgestützte Bedrohungen wie Drohnen nutzen können. Beide Entwicklungen machen es westlichen Streitkräften schwer, effektiv zu reagieren. Die Bedrohungslage wird damit immer weniger kalkulierbar.
2.1 Evolution bei Flugzeugen und Lenkflugkörpern
Der vermehrte Aufbau von verteidigungsindustriellen Fähigkeiten im Luftfahrtbereich fördert schon jetzt die Proliferation von luftgestützten Bedrohungen wie Kampfflugzeugen oder bewaffneten Drohnen.
Vor allem Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Brasilien und die Türkei versuchen, dem exklusiven Club von Kampfflugzeugproduzenten wie den USA, Europa (insbesondere Westeuropa) und Russland beizutreten. Die Tarnkappentechnologie und die Kombination von bemannten Flugzeugen mit unbemannten Systemen sind die beiden wichtigsten technologischen Innovationen für zukünftige Kampfflugzeuge. Im Wesentlichen beginnen derzeit alle oben genannten Staaten mit der Entwicklung von modernen Kampfflugzeugen.
Raketentechnologien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verbreitet. Während politisch die Sorge um nukleare Nutzlasten im Vordergrund steht (z.B. durch den Iran und Nordkorea), kann dasselbe technologische Wissen auch auf Raketen mit konventionellem Sprengkopf angewendet werden.
Raketensysteme mit größerer Reichweite werden in der Zukunft in der Lage sein, Gebiete zu umgehen, die von modernen Luftverteidigungssystemen abgedeckt werden. Zudem wird der militärische Wert von ballistischen Raketen durch die Einführung von Hyperschall-Gleitern als alternative Sprengköpfe in den nächsten zehn Jahren steigen. Diese zielen darauf ab, die immer leistungsfähigeren Raketenabwehrsysteme zu überwinden, indem sie im Vergleich zu den bestehenden Sprengköpfen extrem manövrierfähig sind.
Technisch fortschrittliche Marschflugkörper finden sich heute ebenfalls im Besitz von mehr Ländern als noch vor einigen Jahren. Russland bewies seine Fortschritte auf diesem Gebiet zuletzt im syrischen Bürgerkrieg, als Raketen von Kriegsschiffen im Kaspischen Meer abgefeuert wurden und iranisches sowie irakisches Territorium überflogen, bevor sie ihre Ziele erreichten. Zukünftige Marschflugkörper werden mit einem Fokus auf geringe Erfassbarkeit entwickelt. Sie werden zudem voraussichtlich innerhalb des nächsten Jahrzehnts mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen. Das erhöht ihre Überlebensfähigkeit gegenüber Flugabwehrsystemen.
2.2 Revolution bei unbemannten Flugsystemen
Unbemannte Systeme verschaffen sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Akteuren neue militärische Möglichkeiten (Siehe Tabelle 1). Staatliche Armeen können nun lang andauernde Aufklärungsflüge durchführen und – durch bewaffnete Drohnen – auch direkt mit Angriffen auf die Aufklärungsergebnisse reagieren. Für die meisten Armeen, mit Ausnahme der USA und Israel, ist dies eine Neuerung, insbesondere verglichen mit der zuvor nötigen langwierigen Aufklärungsarbeit, bei der teilweise noch Fotos entwickelt und ausgewertet werden mussten. Im Gegensatz zu UAVs können Flugzeuge, die Aufklärungsgeräte tragen, ein Zielgebiet nur kurz überfliegen, aber nicht langfristig beobachten, weil ihnen das Kerosin dazu fehlt.
Immer mehr staatliche Armeen nutzen UAVs: Derzeit besitzen oder entwickeln etwa 30 Länder bewaffnete UAVs, davon neun NATO-Staaten. Mindestens 90 Länder zählen UAVs für Aufklärungsmissionen in ihren Arsenalen.
Auch andere hochentwickelte Armeen außerhalb der USA und Europas nutzen UAVs. Während Russland keine großen UAVs einsetzt, entwickeln seine Streitkräfte Taktiken in denen kleine UAVs als Späher verwendet werden. Mittels der dadurch gewonnenen Echtzeit-Informationen kann der traditionelle sowjetische und russische Schwerpunkt auf Artillerie und weitreichende Feuerkraft effektiver zur Wirkung gebracht werden. Kleine UAVs sind zudem emblematisch für russische hybride oder „unterschwellige“ Kriegstaktiken, deren Fähigkeiten zu elektronischer Kriegsführung und Informationskampagnen von der übermäßigen Abhängigkeit der USA von Satelliten und Datenübertragungen profitieren.
Insbesondere ressourcenarme Streitkräfte sehen einen Vorteil im Einsatz von UAVs als vergleichsweise günstige Luftwaffe. Die Beispiele dafür reichen von Nigeria, wo bewaffnete UAVs eingesetzt wurden, um die Logistikstützpunkte von Boko Haram anzugreifen, bis zu den aserbaidschanischen Streitkräften, die während des Nagorny-Karabach-Konflikts im selben Jahr ein auf Selbstzerstörung programmiertes UAV für einen Luftangriff verwendeten.
Nichtstaatliche Akteure profitieren jedoch am meisten von den asymmetrischen Vorteilen, die UAVs bieten: Sie können zum ersten Mal Aufklärung aus der Luft betreiben und diese nutzen, um Angriffe besser zu koordinieren oder Selbstmordattentäter ins Ziel zu führen. Erschwingliche, kommerziell verfügbare und benutzerfreundliche UAVs sind deshalb zu einer Waffe für nichtstaatliche Akteure geworden. Sie bedürfen für ihren Einsatz keiner großen Logistik, Fläche oder Zeit – was viele nichtstaatliche Akteure, vom Islamischen Staat über Extremisten auf den Philippinen bis hin zu Drogenkartellen in Mexiko verstanden haben.
Zudem haben UAVs einen erheblichen psychologischen Effekt unabhängig davon, ob sie bewaffnet sind oder nicht. Ähnlich wie die Angst vor Landminen Streitkräfte und Zivilisten in ihren Bewegungen beeinflusst, so begrenzt die Furcht vor überraschenden Angriffen durch UAVs auch militärische Operationen. Im Kampf um Mossul 2016/2017 wurde der Aufenthalt von irakischen Truppen selbst in ummauerten Freiflächen durch UAVs gefährdet, was Bewegungsabläufe verändert und auch Ruhezonen für Soldaten zum Ziel werden lässt.
Die UAV-Technologie befindet sich noch im Anfangsstadium. Zukünftige UAV-Generationen dürften heutige Einschränkungen wie die geringe Geschwindigkeit und fehlende Tarnkappeneigenschaften überwinden. Zudem werden in Zukunft weitere Variationen hinzutreten: Schwärme von UAVs könnten fähig sein, herkömmliche Flugabwehrsysteme zu überwinden. Sie überfordern die Abwehr, weil mehr Ziele vorhanden sind als bekämpft werden können. Schwärme sind somit widerstandsfähiger als traditionelle Plattformen, die allein oder in kleineren Formationen operieren. Die Redundanz von Fähigkeiten innerhalb des Schwarms ermöglicht es, dass die Rolle eines abgeschossenen UAVs durch ein anderes eingenommen werden kann.
2.3 Die Digitalisierung macht luftgestützte Fähigkeiten verwundbarer
Am Schnittpunkt von Luftdomäne und Cyber- und Informationsraum entstehen durch die Digitalisierung neue Fähigkeiten beim Gegner und eigene Verwundbarkeiten. Russland nutzte UAVs, um ukrainische Soldaten mit einschüchternden SMS-Nachrichten zu überhäufen. Diese High-Tech-Version des Flugblattabwurfs auf Schlachtfeldern unterstreicht die Flexibilität von UAVs und zeigt eine mögliche Kombination der neuen Bedrohungen. Neben dem Einsatz russischer UAVs in der elektronischen Kriegsführung in der Ukraine hat Russland 2016/2017 auch US-UAVs in Syrien erfolgreich gestört – trotz verschlüsselter Signale und Anti-Störmaßnahmen. Den USA war es damit zeitweise unmöglich, Aufklärungs- und Wirkfähigkeiten zu nutzen.
Die intensive Digitalisierung führt zu einer zunehmenden Anfälligkeit von Kommunikations-, Navigations- und Warnsystemen. Störungen oder Manipulationen solcher Systeme können luftgestützte Operationen entscheidend beeinflussen: Im Oktober 2007 hackte Israel die syrischen Luftverteidigungssysteme, um die Darstellung der Positionen israelischer Flugzeuge zu manipulieren. Dadurch konnte Israel im syrischen Luftraum eine Operation durchführen, ohne entdeckt zu werden. Cybersabotage ist dabei nicht nur für Luftverteidigungsnetzwerke bedrohlich, sondern kann auch für Angriffe auf zunehmend digitalisierte Waffensysteme wie etwa moderne Kampfflugzeuge genutzt werden.
3. Drei Bausteine: Rüstungskontrolle, Luftverteidigungssysteme und Cybersicherheit
Um auf diese multiplen Herausforderungen zu reagieren, muss Europa Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungsmaßnahmen mit einer Weiterentwicklung der eigenen Verteidigungssysteme kombinieren.
3.1 Rüstungskontrolle ausdehnen und anpassen
Über ein neues Rüstungskontrollregime könnte ein Teil der strategisch destabilisierenden Auswirkungen von luftgestützten Bedrohungen wie hypersonischen Waffensystemen eingedämmt werden. Darüber hinaus bremsen Nichtverbreitungsverträge bereits heute, dass Technologien für größere UAVs, moderne Kampfflugzeuge oder moderne ballistische Raketen und Marschflugkörper weiter in Umlauf kommen. Diese Nichtverbreitungsverträge müssten jedoch mindestens um weitere relevante Staaten wie China und Indien erweitert werden.
Viele Technologien und die daraus resultierenden Systeme werden jedoch durch solche Maßnahmen nicht ausreichend reguliert werden können. Die Technologien und Systeme sind kommerziell verfügbar und erfordern nur wenig Anpassung für militärische oder terroristische Zwecke. Daher sind auch Verteidigungssysteme erforderlich.
3.2 Aufbau moderner Luftverteidigungssysteme
Zukünftige Verteidigungssysteme müssen qualitativ und quantitativ in der Lage sein, mit den neuen Bedrohungen umzugehen. Luftverteidigung ist dabei als ein System überlappender Bekämpfungsradien von verschiedenen Luftabwehrsystemen zu verstehen. Zudem lässt sich bei der Wahl von Abwehrmaßnahmen nicht sinnvoll zwischen klassischen und neuen Bedrohungen unterscheiden. Auch die vermeintlich klassische bodengebundene Luftverteidigung erfordert technologische Innovationen, zum Beispiel bei Lasern und elektronischer Kampfführung.
Dieser Aufbau beginnt auf niedrigem Niveau: Die meisten westlichen Streitkräfte halten heute nur ein Minimum an Luftabwehrsystemen mittlerer bis langer Reichweite bereit (vier bis 30 Kilometer). Luftverteidigungssysteme mit geringer Reichweite (bis zu acht Kilometer) wurden in den letzten zwei Jahrzehnten weitestgehend abgebaut.
3.3 Europäische Kooperation stärkt Autonomie
Die mehrschichtige integrierte Luftverteidigung ist mit Blick auf Beschaffung und Betrieb eine gemeinsame Herausforderung für alle europäischen Staaten. Nur wenn frühzeitig und gemeinsam Bedrohungen erfasst werden können, ist eine effektive Abwehr möglich. Dazu reichen nationale Systeme nicht aus.
Eine engere europäische Zusammenarbeit und die Anschaffung einer ausreichenden Zahl leistungsfähiger Systeme würde die strategische Autonomie Europas in einem Schlüsselbereich stärken. Sie hätte zugleich positive Effekte für die transatlantischen Beziehungen. Ein größerer europäischer Beitrag zur Luftabwehr würde die USA als derzeit wesentlichen Fähigkeitsbereitsteller entlasten. Neue Beschaffungen würden in einigen Segmenten auch die industrielle Kooperation mit den USA stärken. Bei den heutigen Abwehrsystemen mit mittlerer und langer Reichweite wie etwa dem „Patriot“-System und bei zukünftigen wie dem taktischen Luftverteidigungssystem (TLVS) stellen US-Hersteller mindestens wesentliche Komponenten. Zudem organisiert die NATO die Luftverteidigung in Europa. Bei Luftabwehrsystemen mit kurzer Reichweite sind europäische Lösungen wahrscheinlich, weil Europa über umfangreiche verteidigungsindustrielle Fähigkeiten in diesem Bereich verfügt.
3.4 Deutschland als Rahmennation in der Luftabwehr
Deutschland könnte aus gutem Grund die Rolle eines Treibers und Partners gegenüber den anderen europäischen Staaten übernehmen: Erstens hält es traditionell viele Fähigkeiten zur Luftverteidigung in der NATO. Zweitens möchte es beim Rahmennationenkonzept der NATO und in der PESCO Anlehnungsmacht für die Streitkräfte anderer NATO- und EU-Staaten bei der Fähigkeitsentwicklung sein. Diese Rolle könnte Deutschland über folgende konkrete Initiativen ausfüllen:
PESCO-Projekt Kurzstreckenluftverteidigung: Deutschland könnte als eines der nächsten PESCO-Projekte die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung eines Kurzstrecken-Luftverteidigungssystems durch mehrere europäische Streitkräfte vorschlagen. Der Bedarf ist offensichtlich und die Luftabwehr ist eine Priorität der EU bei der Fähigkeitsentwicklung. Über die gemeinsame Beschaffung wären die technische Interoperabilität und eine höhere Kosteneffizienz für den Lebenszyklus gewährleistet.
Rahmennation für ein Fähigkeitscluster „Luftverteidigung“: Für bestehende Streitkräfte könnte Deutschland die engere Kooperation der europäischen Luftverteidigungseinheiten im Kontext des von Deutschland in die NATO eingebrachten Rahmennationenkonzepts initiieren. Das würde die Angleichung der Prozesse und Standards und damit die militärische Effektivität steigern. Deutschland sollte sich dementsprechend bei der noch auszugestaltenden Entscheidung über ein taktisches Luftverteidigungssystem eng mit seinen europäischen Partnern absprechen und die Interoperabilität der Systeme priorisieren.
EU-NATO-Kooperation bei der Stärkung (Erhöhung der Widerstandkraft gegen Cyberangriffe und elektronische Kriegsführung) von digitalen Systemanteilen: Bei diesem Thema sind die Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Staaten, EU und NATO geteilt. Gerade bei ursprünglich zivilen Anwendungen setzt die EU die Standards und Regeln. Ziel der Bündnispartner muss die Sicherheit von Netzwerken und Komponenten vor Angriffen über das elektromagnetische Spektrum und Cybersabotage sein. Zusätzlich zum bestehenden institutionellen Austausch des NATO-Exzellenzzentrums für Verteidigung im Cyberraum mit der EU sollte Deutschland hier den Aufbau einer transatlantischen Expertengemeinschaft noch intensiver fördern. Hierfür bietet sich die Einrichtung eines Cyberwettbewerbs ähnlich der Cyber Grand Challenge der DARPA, also der Behörde des US-Verteidigungsministeriums, die für Innovation verantwortlich ist, an. Dies würde sicherlich auf das Interesse der Partner stoßen.