Die Vorfälle oder angeblichen Vorfälle auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim Anfang August haben die Furcht vor eine Eskalation des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland wieder wachsen lassen. Der russische Geheimdienst FSB behauptete, Anschläge des ukrainischen Geheimdienstes auf der Krim vereitelt zu haben; ein russischer Agent und ein russischer Soldat seien getötet worden. Russland hat eine Ausweitung der Militärpräsenz auf der Krim angekündigt und gegenüber Kiew die politische Tonlage verschärft.
Erstmals seit längerer Zeit haben sowohl Präsident Putin als auch Außenminister Lawrow wieder davon gesprochen, dass die Kiewer Führung unrechtmäßig an die Macht gekommen sei und der Westen darüber hinwegsehe. Diese Behauptung Moskaus war 2014 zentraler Bestandteil der russischen Propaganda zur Rechtfertigung der Annexion der Krim. Die Ukraine ihrerseits hat die Anschuldigungen aus Moskau zurückgewiesen, von Provokationen gesprochen und ihre Truppen in Alarmbereitschaft versetzt. Die neuen politischen Spannungen zwischen Moskau und Kiew sind auch Thema bei politischen Gesprächen gewesen, die Außenminister Steinmeier bei seinem Besuch in Jekaterinburg mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow führte.
Was sich hinter den Vorfällen oder angeblichen Vorfällen auf der Krim verbirgt, ist nicht geklärt. Es existiert nur ein breites Spektrum von Vermutungen und Spekulationen. Der russische Außenminister Lawrow kündigte beim Besuch des deutschen Außenministers Steinmeier zwar an, weitere Belege für die russische Version der Ereignisse zu liefern; stichhaltige Beweise hat Moskau aber bis heute nicht vorgelegt. Eine zentrale Lehre lässt sich aus diesen Ereignissen ziehen: Die Krim bleibt ein Eskalationsherd, den die Politik nicht vernachlässigen darf.
Der Westen betreibt zwar eine klare Nichtanerkennungspolitik in der Krimfrage, dies reicht jedoch nicht aus, wenn das Thema Krim aus dem politischen Diskurs ausgeklammert wird. Vielmehr muss eine schleichende Anerkennung der Krim durch die Hintertür durch ausländische Wirtschaftsaktivitäten oder politisch durch die anstehenden Wahlen zur russischen Duma vermieden werden. Im Fall der Krim handelt es sich um einen völlig ungeregelten Konflikt, geeignete Gesprächsformate existieren nicht. Es war sicher legitim, sich zunächst darauf zu konzentrieren, weiteres Blutvergießen in der Ostukraine zu verhindern. Es wäre aber angesichts der jüngsten Vorfälle oder angeblichen Vorfälle auf der Krim ein Irrtum zu glauben, das Thema Krim ignorieren zu können.
Die Europäische Union sollte daher – in Abstimmung mit ihren westlichen Partnern und der Ukraine – einen politischen Ansatz zum Umgang mit der Krim entwickeln, der die sich aus der Annexion ergebenden Rechtspositionen berücksichtigt und Themen anspricht, die die Lage auf der Krim und in der Region verschärfen könnten, wie zum Beispiel die prekäre Situation der Menschenrechte, darunter auch die repressive Politik der russischen Führung gegenüber der krimtatarischen Minderheit. Russland muss internationalen Menschenrechtsorganisationen und der OSZE endlich Zutritt zur Krim gewähren. Darüber hinaus sollte mit Russland, das Beobachtern zufolge auf der Halbinsel immer neue Waffen stationiert und damit das militärische Gleichgewicht in der Schwarzmeerregion stark zu seinen Gunsten verändert, im Hinblick auf die Krim auch über Rüstungskontrolle gesprochen werden.
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat mit der Annexion der Krim durch Russland begonnen. Ein Leisetreten der Krimfrage kann das Vertrauen Kiews in seine westlichen Partner beschädigen, was einer Entschärfung des Konflikts ebenfalls nicht förderlich ist.