Als Karl Kaiser um die Jahrtausendwende und damit recht früh zu den Auswirkungen des Internets auf die globale Ordnung schrieb, war die Welt eine andere – politisch und technologisch. Und dennoch erkannte er bereits damals, welche tiefgreifenden Folgen für die Weltpolitik das Internet und die Technologie mit sich bringen würden. Was Letzteres angeht, war die Welt damals eine große Tech-Sphäre der USA. US-Unternehmen wie Microsoft, Cisco oder Intel hatten größtenteils keine Konkurrenz, wenn es um Hard- und Software ging. In China hingegen hatte damals gerade 0,7 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet. 1998 war dann auch das Jahr, in dem China begann, seine Tech-Sphäre aufzubauen. Der Volksrepublik gelang dies am Anfang vor allem durch das Unterbieten von Preisen westlicher Unternehmen und den Diebstahl geistigen Eigentums. An erster Stelle stand jedoch die Digitalisierung des heimischen Überwachungsstaates. In den vergangenen 26 Jahren hat es China geschafft, Technologieunternehmen wie TikTok und Huawei aufzubauen, die zu globalen Schwergewichten geworden sind.
Heute leben wir in zwei Einflusssphären – einer amerikanischen und einer chinesischen, die sich immer stärker voneinander abgrenzen und dennoch oft überlappen. Eine Tech-Sphäre gibt einem Staat einen privilegierten Zugang zu technologischen Systemen, so wie es derzeit bei den USA mit Blick auf die Telekommunikationsunternehmen Cisco der Fall ist und bei China bezüglich Huawei-Routern, die exportiert werden.
Nur: Wo bleibt Deutschland, die drittgrößte Volkswirtschaft hinter den USA und China? Was ist mit seiner Tech-Sphäre?
Deutschlands verborgene Tech-Sphäre
Im Vergleich zu den USA und China liegt Deutschlands Tech-Sphäre oft noch im Verborgenen, denn hiesige Unternehmen, wie zum Beispiel Infineon, sind stärker im Business-to-Business-Bereich präsent als auf dem Gebiet der Konsumgüter, wo wiederum Apple, Dell oder Lenovo bei Konsument:innen große Bekanntheit genießen. So rückten deutsche Technologien in den Blick der Öffentlichkeit, als der erste destruktive Cyberangriff der Geschichte stattfand: Die USA und Israel legten in den Jahren 2009 bis 2010 Zentrifugen des nuklearen Anreichungszentrums im iranischen Natanz lahm. Das industrielle Kontrollsystem, das von den USA für den Angriff unterwandert worden war, stammte von Siemens. Den Angriff bereiteten die USA mit Siemens-Testgeräten vor. Diese kannten sie in- und auswendig. Wie dieses Beispiel zeigt, finden sich deutsche Technologien in den abgelegensten und auch kritischsten Orten der globalen Sicherheitsordnung wieder.
Stellt man sich Tech-Sphären vor, denkt man oft an fest verbaute technologische Infrastrukturen. Kanada befindet sich etwa in der US-Tech-Sphäre, während Kambodscha in der chinesischen liegt. Dies liegt daran, dass Kanada überwiegend US-Soft- und Hardware benutzt, Kambodscha dagegen stark auf 5G und andere Technologien von Huawei setzt, das heißt, dass ein großer Teil der Internet-Infrastruktur von China gebaut und beliefert wurde. China hat dort privilegierten Zugang zu Systemen.
Über dieser starren Schicht der Tech-Sphäre befindet sich jedoch eine bewegliche Schicht. Es geht um Handys, Laptops und Drohnen, die sich ständig bewegen. Folglich werden Tech-Sphären undurchschaubarer. Hier mischt Deutschland vermehrt mit, vor allem und zunehmend durch vernetzte Autos. Insgesamt mehr als 8,5 Millionen deutsche Fahrzeuge erhalten heutzutage Over-the-Air Software Updates: Volkswagen ID (um die 400.000+ Stück) sowie Mercedes S-Klasse, EQE und EQS (700.000 Stück) und BMW (7,5 Millionen Stück). Vernetzte Autos halten sich hauptsächlich in einer Tech-Sphäre auf, sprich in einem Land. Sie können aber problemlos Ländergrenzen überqueren. Ein vernetzter Mercedes kann sich in den Kreisen der nordkoreanischen oder iranischen Elite wiederfinden und somit eine kleine Insel technologischen Einflusses in diesen Ländern eröffnen, welche für das Ausspähen von Informationen genutzt werden könnte.
Machtmissbrauch von Großmächten verhindern
Deutschlands technologischer Einfluss bringt besondere Verantwortung für die Sicherheit von Systemen weltweit mit sich. Der privilegierte Zugang zu eigenen Technologien sollte von Deutschland auch zukünftig nicht dazu genutzt werden, um Informationen im Ausland auszuspähen. Stattdessen sollte es seine technologischen Kapazitäten, die durch Firmen wie Bosch, Siemens, VW und Mercedes vorhanden sind, so verwenden, dass der Machtmissbrauch durch China und die USA verhindert wird. Jedes vernetzte Auto, jeder Kühlschrank, jedes industrielle Kontrollsystem für Windenergie oder Fabriken ist ein Gerät mehr, das nicht von anderen Staaten hergestellt wurde und somit auch nicht so leicht von ihnen unterwandert werden kann.
Als sekundäre Technologiemacht kann Deutschland zwar nicht denselben großen technologischen Einfluss in anderen Ländern ausüben, wie es die USA und China tun. Dennoch ist es ein Pivotal State. Gemeinsam mit weiteren sekundären Technologiemächten, darunter Frankreich, den Niederlanden, Japan, Südkorea und Taiwan, sollten die Regierenden in Berlin daran arbeiten, dass in Afrika, Südostasien sowie anderen Regionen Technologieinfrastruktur entsteht, die nicht von vornherein unterwandert ist. Mit Samsung, Sony, Hitachi, dem Halbleitergiganten TSMC, Schneider Electric, ASML, Fujitsu, Honda, Infineon, Miele und anderen Schwergewichten hätten Deutschland beziehungsweise Europa und ihre Verbündeten global das Potenzial, die Instrumentalisierung von Technologie durch Großmächte abzuschwächen und mehr Sicherheit und Vertrauen in die digitale Infrastruktur zu schaffen.
Um die Sicherheit eigener Produkte zu gewährleisten, sollten deutsche Unternehmen garantieren, dass Software und vernetzte Hardware-Komponenten, die in Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen entwickelt wurden, sich auf keinen Fall im Ausland wiederfinden. Dies ist derzeit nicht gewährleistet. Volkswagen arbeitet bei der Entwicklung von Software eng mit XPENG zusammen, einem chinesischen Elektrofahrzeughersteller. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Software unsicher und unterwandert ist. China verlangt durch die eigene Gesetzgebung Zugang zu Daten und Systemen, die für den chinesischen Markt entwickelt werden, um komplette Überwachung zu ermöglichen. Autos, die in einer Joint Venture mit XPENG produziert und exportiert werden, fallen unter diese Kategorie. Auch wenn diese Autos exportiert werden, kann die Sicherheit dieser Daten nicht gewährleistet werden.
Deutsche Tech-Kräfte mit Partnern bündeln und stärken
Die Tech-Sphäre Deutschlands beruht stark auf seinen traditionellen Stärken in der Hardware. Diese wurden auch kürzlich durch die Halbleiter-Niederlassung und Synergien mit TSMC in Dresden vertieft. Die Zusammenarbeit mit China im Software-Bereich kann allerdings zu erheblichen Sicherheitsverlusten führen, denn dabei wird der technologische Einfluss mit China geteilt. Falls Deutschland nicht umgehend eigene Stärken im Software-Bereich aufbaut, wenn nötig mit Alliierten und Partnerstaaten, wird sein technologischer Einfluss schwinden. Das Beispiel von Volkswagens Partnerschaft mit Rivian, einem kalifornischen Unternehmen, um Software für elektrische und zunehmend autonome Fahrzeuge zu entwickeln, ist hierbei richtungsweisend.
Karl Kaisers Aussage, dass das Internet bestehende Machtordnungen verfestigt, ist auch heute noch zutreffend und vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen relevanter denn je. Trotz Chinas rasantem Wachstum bleiben die USA auch 24 Jahre später führend bei Informationstechnologien. Gerade im Hinblick auf die erneute Präsidentschaft Donald Trumps und die zu erwartenden Schwierigkeiten in den transatlantischen Beziehungen muss Deutschland seine Kräfte dringend mit anderen verbündeten Tech-Mächten bündeln und stärken. Ansonsten riskiert es, auf absehbare Zeit eine zweitrangige Technologiemacht zu bleiben und als Verlierer aus dem Großmächtewettbewerb zu gehen.
Dieser Text ist ein Kapitel aus dem Buch „Wege in die Zukunft: Perspektiven für die Außenpolitik: Zum 90. Geburtstag von Karl Kaiser“ . Die vollständige Version können Sie oben im PDF bzw. über das E-Book aufrufen.