Die erneute Wahl von Donald Trump als US-Präsident konfrontiert Deutschland und Frankreich nun gleichermaßen mit großen Veränderungen. Beide Staaten müssen ihr Verhältnis zu den USA wie auch die euro-atlantische Beziehung insgesamt überdenken. Wie sehr die USA sich aus der Sicherheitsarchitektur Europas zurückziehen werden, bleibt abzuwarten. Die Anpassung wird aber für Paris und Berlin gleichermaßen herausfordernd.
Historische Kontinuität
Die Unterschiede im Verhältnis Deutschlands und Frankreichs zu den US-Verbündeten sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erstaunlich konstant. Die bundesdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik wurde in den 1950er Jahren von der Teilung Deutschlands und der Wiederbewaffnung der Bundeswehr innerhalb der NATO geprägt, als integraler Teil des Westens. Ganz anders in Frankreich, wo nach der Befreiung durch die Alliierten schon bald die Abgrenzung vom kollektiven Westen und besonders den USA das Gebot der Stunde war, befeuert durch eine Reihe diplomatischer Konflikte: Von Streitigkeiten um die Strategie im Indochina-Krieg, über die Suez-Krise, bis zur Unterzeichnung der Evian-Verträge. Den französischen Sonderweg innerhalb des Westens besiegelte schließlich der Austritt aus dem militärischen Kommando der NATO, nachdem Paris eine souveräne nukleare Bewaffnung entwickelt hatte.
Während in Deutschland in der Folge „Nie wieder“ und „Nie wieder allein” die zentralen Leitsätze wurden und über die Wiedervereinigung hinaus bis heute Bestand haben, bleibt in Frankreich Souveränität das außenpolitische Schlüsselkonzept. Emmanuel Macron hat seit Beginn seiner Amtszeit versucht, das französische Verständnis von Souveränität zu europäisieren. Angefangen mit der Sorbonne-Rede, 2017, über die Rede an der Ecole de Guerre, 2020, bis zur zweiten Sorbonne-Rede, 2024, rief er die Europäer mit zunehmender Dringlichkeit auf, dem Wandel der globalen Ordnung mit mehr europäischer Souveränität zu begegnen. Dass diese Aufrufe immer wieder auch auf Abhängigkeiten von den USA zielten - etwa in seinem Interview zum “Hirntod” der NATO, 2019, oder auf der Rückreise von einem China-Besuch, 2023, sorgte bei vielen EU-Partnern und insbesondere in den transatlantischen Kreisen Berlins regelmäßig für Empörung.
Die Wiederwahl Trumps zwingt Deutschland und Frankreich, das eigene transatlantische Verhältnis und auch die euro-amerikanischen Beziehungen grundsätzlich zu überdenken.
Wiederholt sind die Debatten um ein stärkeres europäisches Engagement für die eigene Sicherheit daher in längst überholte Positionen zurückgefallen: Mit den Anhängern eines eng an die USA gebundenen transatlantischen Europas auf der einen und Befürwortern eines souveränistischen (gaullistischen) Europas auf der anderen Seite.
Wie weiter?
Die Wiederwahl Trumps zwingt Deutschland und Frankreich, das eigene transatlantische Verhältnis und auch die euro-amerikanischen Beziehungen grundsätzlich zu überdenken. Berlin und Paris können eine starke Grundlage für eine europäische Transatlantikstrategie schaffen.
Transatlantisches Verhältnis neu denken
Der anhaltende Streit um den Souveränitätsbegriff ist ein Beispiel, wie sehr europäische Debatten hinter die veränderten Realitäten internationaler Ordnung zurückgefallen sind. In Berlin wurden vor der US-Präsidentschaftswahl wiederholt französische Bestrebungen, sich für alle Szenarien (vor allem aber die Wiederwahl Trumps) vorzubereiten, mit dem Argument abgeschmettert, man wolle die US-Partner nicht verärgern. Die Argumentation wurde im Streit um US-Zugänge zum europäischen Rüstungsmarkt genauso vorgebracht wie in den Diskussionen um die europäische Dimension französischer Nuklearwaffen. In Berlin herrscht bis heute der historisch gewachsene Irrglaube, Washington sorge sich vor europäischer Souveränität. Dort haben gerade die MAGA-Republikaner, die Isolationisten und China-Prioritizer wiederholt mehr europäische Souveränität gefordert.
Eine zweite Erklärung für das Berliner Beharren auf überkommenen Positionen ist der Unwille, sich den Debatten um Europas Sicherheit zu stellen. Die Bedenken bezüglich der Reaktionen der US-Partner kaschieren kaum die Berliner Unfähigkeit, die eigene und die europäische Sicherheit ohne US-Garantien und Schutzschirme auch nur zu denken. Hier ist ein Mentalitäts-, vielleicht auch ein Generationenwechsel gefordert. Dass Stimmen für souveränes Europa die Abwendung von der NATO, vom Westen und von den US-Partnern unterstellt wird, vergiftet die Debatte. Und es verhindert die strategische Vorbereitung auf Worst-Case-Szenarien, in denen Trump seine Drohungen wahr macht und Europa sich selbst überlässt.
Frankreich hat historisch bedingt keinerlei Hemmungen, vom Weißen Haus unabhängig zu planen. Was unter Gesichtspunkten nationaler Sicherheit verglichen mit Deutschland eine Stärke ist, wird auf europäischer Ebene aber zur Belastung: Der Souveränitätsbegriff hat die Außen- und Sicherheitspolitik der Fünften Republik so geprägt, dass europäische Partner den Bemühungen Macrons, das französische Verständnis von Souveränität zu europäisieren, kaum Glauben schenken. Heute sind französische Politiker, Diplomaten und Militärs auf europäischer Ebene regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, dass, wenn sie von “europäischen Interessen” sprechen, eigentlich nationale, französische gemeint sind.
Gelingt es der kommenden Bundesregierung, schnell eine Vertrauensbasis zu Macron zu etablieren, könnte mit einer europäischen Transatlantikstrategie ein Programm für die zwei Jahre geschaffen werden, die dem französischen Präsidenten im Amt bleiben.
Vor dem Hintergrund der zweiten Amtszeit Trumps und der historischen Entwicklung des transatlantischen Verhältnisses in Deutschland und Frankreich ergeben sich damit zwei Positionen, die ideal scheinen, um sie mit europäischem Mehrwert zu kombinieren: Hier die nicht mehr zeitgemäße Unmündigkeit Berlins aus Zeiten des Kalten Kriegs, verbunden mit Unwillen, eigenständig zu handeln, dort das überkommene Selbstbewusstsein einer einstigen Großmacht, das auf europäischer Ebene an eigener Unreflektiertheit scheitert. Gelingt es der kommenden Bundesregierung, schnell eine Vertrauensbasis zu Macron zu etablieren, könnte mit einer europäischen Transatlantikstrategie ein Programm für die zwei Jahre geschaffen werden, die dem französischen Präsidenten im Amt bleiben.
NATO europäisieren
Eine Europäisierung der NATO bleibt alternativlos. Die neue US-Administration wird von den Europäern deutlich mehr fordern - sowohl mit Blick auf Militärausgaben als auch auf die Übernahme von Verantwortung für europäische Sicherheit. Um die NATO zu erhalten, werden die Europäer militärisch und strategisch die Führung übernehmen müssen. In republikanischen Kreisen gewinnt die Idee einer “schlafenden NATO” (“dormant NATO”) zunehmend an Popularität, und auch Mitglieder der Demokratischen Partei, die den Indo-Pazifik als höchste strategische US-Priorität sehen, stehen der Idee positiv gegenüber. Anstelle eines kompletten Rückzugs aus der europäischen Sicherheitsordnung würden die USA nach diesem Modell weiterhin mit dem Nuklearschirm und durch ihre Marine zur europäischen Sicherheit beitragen, während die Europäer für Logistik, Waffensysteme und Streitkräfte auf dem Land zuständig wären. Deutschland und Frankreich könnten gemeinsam dazu beitragen, die Lastenverteilung innerhalb der NATO so zu gestalten, dass die USA im Engagement in der Allianz einen Mehrwert sehen.
Während Frankreich nicht die Ambition haben kann, den US-Nuklearschirm zu ersetzen, sollte Paris erneut ein klares Angebot für einen europäischen Nukleardialog vorlegen; Deutschland sollte aktiv daran teilnehmen. Gleichzeitig sollte Berlin auch weiterhin die führende Rolle in der europäischen Luftverteidigung anstreben und könnte die European SkyShield Initiative zu einer NATO-Initiative auszubauen. In der EU sollten Frankreich und Deutschland gemeinsam auf massive Finanzierung für europäische Kapazitäten und der europäischen Verteidigungsindustrie hinwirken, die Union so als integralen Bestandteil der europäischen Säule der NATO stärken. Die Konsequenz einer neuen Lastenverteilung zwischen den europäischen NATO-Mitgliedern und den USA muss langfristig auch sein, dass der Posten des Supreme Commander for Europe (SACEUR) europäisch besetzt sein sollte; Frankreich und Deutschland sollten bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.
Ein bedeutendes Risiko liegt in der Bilateralisierung des transatlantischen Verhältnisses mit der Trump-Regierung, unabhängig davon, ob von den USA oder Europäern initiiert
Bilateralisierung verhindern und Rolle der EU stärken
Ein bedeutendes Risiko liegt in der Bilateralisierung des transatlantischen Verhältnisses mit der Trump-Regierung, unabhängig davon, ob von den USA oder Europäern initiiert. Während Donald Trump bilaterale “Deals” dem EU-Rahmen vorziehen dürfte, könnten europäische Staaten geneigt sein, an der EU vorbei individuelle Vorteile auszuhandeln. Es ist leicht vorstellbar, dass die USA osteuropäische oder baltische Staaten auf ihre Linie bringen könnten, indem sie die Sicherheitsgarantien für diese Staaten an Bedingungen mit Blick auf die China-Politik knüpfen; dies würde einen gemeinsamen europäischen Ansatz deutlich erschweren. Deutschland und Frankreich kommt als größten EU-Staaten besondere Verantwortung zu, diese Bilateralisierung und europäische Fragmentierung zu verhindern. Berlin und Paris sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen und, sobald auf höchster Ebene mit Trump über europäische Themen gesprochen wird, systematisch, mindestens das jeweilige Partnerland und die EU-Führung einbinden, idealerweise aber auch die Regierungschefs von Großbritannien, Italien und Polen. Darüber hinaus sollten Deutschland und Frankreich gerade im Sicherheitsbereich darauf hinwirken, die Rolle der EU zu stärken, etwa indem sie sich für eine stärkere EU-NATO-Kooperation einsetzen und die Vorteile der EU für das transatlantische Verteidigungsbündnis klar hervorheben.
Empfehlungen
Deutschland und Frankreich müssen die Erneuerung des transatlantischen Verhältnisses anführen. Gelingt ein koordiniertes Vorgehen, sind die unterschiedlichen Stärken beider Staaten dabei ihr größter Trumpf.
Für Deutschland:
- Das deutsche Narrativ zur strategischen Zusammenarbeit mit Frankreich muss sich ändern. Mithin wird vertiefter Kooperation mit Frankreich mit Blick auf die unsichere Zukunft französischer Innen- und Außenpolitik oft pauschal eine Absage erteilt – auch das Argument, dass man sich nicht von Le Pen abhängig machen wolle, wie man es heute von Trump sei, spielt eine Rolle. Sicher muss Deutschland mehr für die eigene Sicherheit tun. Deutsche Sicherheit ist aber europäische Sicherheit und der natürliche Partner ist Frankreich: Beide Staaten können den geographischen Realitäten nicht entkommen. Zögert die deutsche Seite vertiefte Sicherheitskooperationen weiter hinaus, schließt sich ein Gelegenheitsfenster und die politischen Extreme in Frankreich gewinnen neue Munition gegen Macron.
- Die neue Bundesregierung braucht eine Antwort auf die Sorbonne-Rede – Einer der größten außenpolitischen Fehler Angela Merkels war das Fehlen einer Antwort auf Macrons Sorbonne-Rede von 2017. Olaf Scholz hat es nicht besser gemacht, auch 2024 gab es keine Antwort auf die zweite Sorbonne-Rede Macrons. Europäische Partner und insbesondere Frankreich erwarten von Deutschland europapolitische Klarheit: dabei geht es nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um eine Vision zur Zukunft der Union und des Kontinents. Ziel ist nicht, die französischen Vorschläge unkritisch zu wiederholen. Vielmehr muss die Grundlage für eine europäische Zukunftsdebatte geschaffen werden.
- Deutschland sollte das Angebot eines “strategischen Dialogs” zur europäischen Dimension französischer Nuklearwaffen auf höchster Ebene annehmen, zwischen dem neuen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten. Paris braucht ein starkes Signal aus Deutschland, dass die Dringlichkeit der Thematik dort über die Arbeitsebene hinaus verstanden wird.
Für Frankreich:
- Macron muss mit seinen Vorschlägen zur Stärkung der europäischen Souveränität “All-in” gehen. Die “Bratislava-Agenda”, mit der Frankreich der Ukraine und den osteuropäischen EU- und NATO-Partnern “strategische Solidarität” zugesichert hat, ist das konzeptionelle Fundament. Darauf aufbauend muss die Fokussierung auf den europäischen Kontinent konsequent fortgesetzt werden. Das erfordert Anpassungen, zum Beispiel in der Personalpolitik des Verteidigungsministeriums, und in der konsequenten Besetzung von NATO-Dienstposten und der Aufwertung dieser Karrierewege.
- Der fortgesetzte Abzug französischer Soldaten vom afrikanischen Kontinent bietet die Gelegenheit, Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik völlig neu zu denken und zu modernisieren. Ein wichtiger Test für den Willen zur Modernisierung wird das Abrücken von unrealistischen Ambitionen als dritte Macht (neben China und den USA) im indo-pazifischen Raum: Gelingt es Macron, diesen Prozess in Paris anzustoßen und positiv zu konnotieren, liegt darin eine einmalige Chance für eine französische Annäherung an die USA und einen großen Schritt auf dem Weg zur Normalisierung des französischen Platzes im kollektiven Westen.
- Im bilateralen Verhältnis muss Paris das Verständnis für die Eigenheiten deutscher Sicherheitspolitik stärken. Die Ausrufung der Zeitenwende hat im Februar 2022 in Frankreich sehr große Erwartungen geweckt. Diese waren aber häufig stark durch französische Interessen geprägt, etwa bezüglich einer Abgrenzung von den USA und einer Europäisierung deutscher Sicherheits- und Rüstungspolitik. Statt die neue deutsche Bundesregierung an den eigenen Maximalforderungen zu messen, sollten Macron und seine Regierung die Fortschritte im Partnerland würdigen und unterstützen. Statt öffentlich Streit zu suchen, sollten die sicherheitspolitischen Austauschprogramme und Gremien genutzt werden, um endlich in einen echten strategischen Dialog zu treten. Sicherheitspolitik verändert sich in Frankreich und Deutschland aktuell rapide und auf beiden Rheinseiten gibt es Erklärungsbedarf.
Für gemeinsames Handeln:
- Die Zusammenarbeit deutscher und französischer Truppenkontingente an der NATO-Ostflanke, konkret die im Aufbau begriffene deutsche Brigade in Litauen und französische Einheiten in Rumänien, sollten durch regelmäßigen Austausch auf der militärischen Führungsebene intensiviert werden. Darüber hinaus könnte ein deutsch-französisches Entsendungsmodell, dank dem Soldaten für einige Zeit in die Kontingente des Partners abgeordnet werden, wechselseitiges Verständnis des Einsatzraumes und der Streitkräftekultur des Partners fördern.
- Ähnlich der bilateralen Abstimmung vor EU-Spitzentreffen sollten Deutschland und Frankreich eine deutlich engere Abstimmung vor bilateralen Gesprächen mit der neuen US-Administration vornehmen, sowie eine Abstimmung der Ständigen Vertretungen bei der NATO und der Positionen im Nordatlantikrat. Damit können Deutschland und Frankreich dort als Treiber einer abgestimmten europäischen Position agieren.
- Die EU verfügt heute über keine Transatlantikstrategie. Fragen zum Verhältnis mit den USA wurden auf europäischer Ebene häufig in die NATO verschoben. Berlin und Paris könnten hier einen Prozess anstoßen und mit der neuen EU-Kommission und der polnischen EU-Ratspräsidentschaft erste inhaltliche Linien erarbeiten.