Memo

11. März 2025

Das KI-Momentum ergreifen

Wie Deutschland Treiber des technologischen Gravitationszentrums Europas werden kann
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Deutschland hat nach der Bundestagswahl die Chance, sich durch die dynamische Verschiebung in der globalen KI-Landschaft – ausgelöst durch DeepSeek, die instabile Rolle der USA und Europas regulatorische Vorreiterrolle – als Treiber für wertebasierte KI-Innovation zu etablieren. Dies erfordert eine Doppelstrategie: Einerseits muss es die Entwicklung unverzichtbarer Technologien und Kompetenzen vorantreiben, andererseits eine demokratisch verankerte KI-Entwicklung proaktiv gestalten. 

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Deutschlands Chance auf Tech-Leadership

Die globale KI-Landschaft erfährt derzeit durch drei parallel verlaufende Entwicklungen eine fundamentale Neuordnung: 

1. Die Innovation des chinesischen KI-Start-ups DeepSeek zeigt neue Wege der KI-Entwicklung auf. 

2. Gleichzeitig droht den USA unter Trump 2.0 aufgrund seiner angekündigten restriktiven Immigrationspolitik, der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung und der Unsicherheit bezüglich künftiger Forschungsförderungen ein dramatischer Verlust ihrer Anziehungskraft für globale Tech-Talente. In der Folge öffnet sich eine Chance für alternative Innovationszentren. 

3. Die EU positioniert sich mit dem AI Act als Vorreiterin einer wertebasierten KI-Entwicklung, die gerade für internationale Talente und Tech-Innovatoren neue Perspektiven eröffnet.

Diese Veränderungen könnten der KI-Moment für die EU und Deutschland sein. Der Schlüssel liegt in einer Doppelstrategie: Deutschland muss durch die Entwicklung unverzichtbarer Technologien seine Position im westlichen Tech-Stack – sprich in der Gesamtheit aller technologischen Komponenten von Chips bis Cloud-Diensten – stärken und gleichzeitig als führende europäische Wirtschaftsnation den europäischen Weg einer demokratisch verankerten KI-Innovation gestalten. Die Kombination aus exzellenter Forschung, sozialer Stabilität und hoher Lebensqualität bietet Deutschland grundsätzlich gute Voraussetzungen als attraktiver Standort für internationale Tech-Talente. Allerdings ist Deutschland laut der OECD-Studie „Talent Attractiveness 2023“ im internationalen Wettbewerb um Top-Talente zurückgefallen. Die Bertelsmann Stiftung führt dies unter anderem auf die schleppende Digitalisierung, Visahürden und geringere gesellschaftliche Akzeptanz von Migrant:innen zurück. Diese Baustellen müssen gezielt angegangen werden, um Deutschlands Potenzial als Tech-Talent-Hub tatsächlich zu realisieren und im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Die Position im wesentlichen Tech-Stack stärken

In Sachen KI-Modelle sind Deutschland und die EU zwar auf der Weltbühne (DeepL, Aleph AlphaMistral) vertreten, allerdings wird die kritische KI-Infrastruktur (beispielsweise Hardware, Cloud) hier de facto von US-Großkonzernen wie Nvidia, Amazon, Alphabet und Microsoft bestimmt, die USA sind somit die dominierende KI-Supermacht. Mit ihrer einzigartigen Kombination aus Chip-Technologie, Cloud-Infrastruktur und Kapitalstärke definieren die US-Hyperscaler – also Tech-Giganten mit nahezu unbegrenzter Skalierungsfähigkeit ihrer Rechenzentren – weiterhin die Grenzen des technisch Machbaren. Das chinesische DeepSeek markiert einen fundamentalen Wendepunkt in der KI-Entwicklung: Durch optimierte Algorithmen und effizientere Trainingsmethoden erreicht es die Leistung etablierter US-Systeme mit nur einem Bruchteil der üblichen Rechenkapazität. Dies stellt das bisherige Paradigma der ‚Scaling Laws‘ grundsätzlich infrage und zeigt, dass die US-Exportkontrollen sehr schnell an Wirkung verloren haben. Der Open-Source-Ansatz demokratisiert nicht nur den Zugang zu KI-Technologie, sondern ermöglicht auch die gemeinschaftliche Weiterentwicklung der Effizienzgewinne. 

Nichtsdestotrotz bleibt die technologische Basis des westlichen Tech-Stacks fest in US-Hand. Selbst wenn europäische KI-Modelle ähnlich wie DeepSeek entwickelt werden, können diese nicht ohne Weiteres ausgerollt werden, da für den Betrieb immense Rechenkapazitäten und eine spezialisierte Cloud-Infrastruktur benötigt werden, die fast ausschließlich in US-Hand liegen. Ein Beispiel hierfür ist das französische Unternehmen Mistral, das kürzlich eine Partnerschaft mit Microsoft angekündigt hat. Diese Kooperation braucht das französische Start-up, um eine breite Nutzerbasis aufzubauen. Sie verdeutlicht die erhebliche strukturelle Abhängigkeit von US-basierter KI-Infrastruktur.

Deutschland muss in strategischen Technologiefeldern unverzichtbare Expertise entwickeln.

Hier muss sich Deutschland aktiv engagieren, um die Situation für sich zu entscheiden. Es muss – ähnlich wie die Niederlande mit ASML im Chip-Bereich – in strategischen Technologiefeldern unverzichtbare Expertise entwickeln, um weitere Hebelpunkte aufzubauen und globale Abhängigkeiten von Schlüsseltechnologien in der EU zu schaffen. Vielversprechende Bereiche sind dabei die Entwicklung industrieller KI-Anwendungen für Präzisionsfertigung in der Automobilherstellung, spezialisierte KI-Chips für energieeffizientes Edge Computing sowie hochsichere KI-Systeme für kritische Infrastrukturen angesichts der hohen Vulnerabilität durch Sabotage oder Cyberattacken. Besonders die KI-gestützte Automatisierung für den Mittelstand bietet großes Potenzial, da sie auf bestehenden deutschen Industriestärken aufbaut und kritische Zukunftsmärkte adressiert. 

Demokratisch verankerte KI-Innovation gestalten

In dieser von den USA und China geprägten Landschaft müssen Europa und Deutschland ihre strategischen Stärken und Alleinstellungsmerkmale gezielt ausbauen: Die Kombination aus Weltklasseforschung, kultureller Vielfalt, industrieller Basis und demokratischer Stabilität schafft ein einzigartiges Innovationsumfeld. Dies zeigt sich bereits in konkreten Initiativen zur Förderung des Standorts Europa: Die kürzlich ausgerufene „InvestAI“-Initiative der EU mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro, die AI Championship Initiative europäischer Technologiekonzerne mit 150 Milliarden Euro, ambitionierte nationale Investitionsprogramme in Höhe von 100 Milliarden Euro wie sie Frankreich hat sowie Projekte wie das European Open LLM-Konsortium demonstrieren Handlungsfähigkeit. Besonders in der Verbindung von KI-Innovation mit industrieller Expertise liegt eine einzigartige europäische Chance. In Deutschland zeigt sich das bereits in konkreten Anwendungsfeldern, die deutsche Industriestärken mit zukunftsweisenden KI-Technologien verbinden, beispielsweise bei den intelligenten Energienetzen für die Energiewende

Die progressive Sozialpolitik und eine inklusive Arbeitskultur werden dabei zu strategischen Vorteilen im Wettbewerb um Tech-Talente. Europa und vor allem Deutschland können hier auch eine Alternative zum US-Mantra „The Winner Takes It All“ werden, indem sie dezentralere, wertebasierte Innovationsökosysteme entwickeln. Allerdings erfordert dies auch einen realistischen Blick in die Zukunft: Es geht um die Balance zwischen strategischer Integration in den westlichen Tech-Stack und den gleichzeitigen Aufbau eigener Kapazitäten zur Reduzierung einseitiger Abhängigkeiten. Die Schaffung eines integrierten europäischen KI-Ökosystems, das technologische Exzellenz mit ethischen Prinzipien verbindet, wird dabei zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal im globalen Wettbewerb.

Europas Chancen in der KI-Politik: real, aber keine Selbstläufer

Die EU und Deutschland stehen vor einer historischen Chance, sich als globales Zentrum für wertebasierte KI-Innovation zu etablieren, doch diese ist kein Selbstläufer. Während ein Start-up in den USA Zugang zu einem homogenen Markt von 330 Millionen Menschen hat, weist der Draghi-Report auf fundamentale Herausforderungen für Tech-Unternehmen hin. Trotz des EU-Binnenmarkts müssen diese mit 27 verschiedenen regulatorischen Umgebungen, Sprachbarrieren, fragmentierten Finanzierungslandschaften und unterschiedlichen digitalen Infrastrukturen umgehen können. Die Realität bleibt daher weit entfernt vom Ideal eines reibungslosen europäischen Marktzugangs.

Prioritäten für die EU: Integration, Talentförderung, Infrastruktur vorantreiben

Die Beschleunigung der Marktintegration: Der EU AI Act ist seit August 2024 in Kraft getreten und muss zum Katalysator für vertrauenswürdige KI-Innovation werden, nicht zum bürokratischen Hemmschuh. Die Implementierung muss in allen Mitgliedstaaten harmonisiert und mit klaren Zeitlinien versehen werden. Besonders wichtig ist dabei die Entwicklung effizienter Zertifizierungsprozesse für KI-Systeme bei gleichzeitigem Abbau regulatorischer Hürden für KMUs und Start-ups. Die Vereinheitlichung der Datenschutzstandards und Cloud-Regulierung würde den Weg zu einem wirklich integrierten digitalen Binnenmarkt ebnen.

Die aktive Gewinnung internationaler Tech-Talente: Ein neues EU Tech Talent Visa mit stark vereinfachten Verfahren, gepaart mit den bestehenden Standortvorteilen wie progressive Sozialsysteme und familienfreundliche Politik. Die inklusive, diverse Arbeitskultur Europas wird dabei zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal – besonders für Talente, die angesichts politischer Unsicherheiten Alternativen zum Silicon Valley suchen.

Der Aufbau einer strategischen KI-Infrastruktur: Die EU muss bestehende Initiativen wie das European High-Performance Computing Joint Undertaking, GAIA-X für europäische Cloud-Dienste und den European Chips Act weiterentwickeln. Die AI Championship Initiative zeigt den richtigen Weg, muss aber durch koordinierte Investitionen in High-Performance-Computing-Zentren für KI-Training verstärkt werden. Der Aufbau europäischer Cloud-Infrastrukturen und die Entwicklung mehrsprachiger KI-Trainingsressourcen sind dabei zentrale Elemente.

Prioritäten für Deutschland: KI-Standort stärken, Führungsrolle übernehmen

Deutschland muss als größte europäische Volkswirtschaft diese EU-Initiativen vorantreiben und gleichzeitig eigene Stärken ausbauen. Dies erfordert ein nationales KI-Investitionsprogramm in Milliardenhöhe, ähnlich der französischen Initiative. Die Mittel müssen gezielt in den Aufbau von KI-Infrastruktur, Forschungseinrichtungen und die Förderung von KI-Start-ups fließen. Die einzigartige Kombination aus industrieller Basis, Forschungsexzellenz und politischer Stabilität bietet dafür ideale Voraussetzungen. An der Schnittstelle von Industrie und KI-Innovation kann Deutschland seine traditionellen Stärken in zukunftsweisende Wettbewerbsvorteile umwandeln. 

Grundlegend für diese Transformation ist eine umfassende Digitalisierungsoffensive unter der neuen Bundesregierung. Besonders die öffentliche Verwaltung muss durch KI modernisiert und entbürokratisiert werden – von automatisierten Visa-Prozessen bis zu vereinfachten Unternehmensgründungen. Dies schafft nicht nur die Basis für Deutschlands Entwicklung zum Tech-Standort, sondern ermöglicht auch den gezielten Ausbau zum Talent-Hub: Die Metropolregionen können sich zu internationalen Tech-Campussen entwickeln, die Spitzenforschung, Industrieanwendung und Start-up-Dynamik verbinden.

Im Zentrum steht der Aufbau industrieller KI-Kompetenzzentren, die Spitzenforschung direkt mit Industrieanwendungen verbinden. Diese müssen gezielt in bestehende Industriecluster integriert werden, um die Transformation traditioneller Industriezweige zu beschleunigen. Die Förderung von Tech-Champions in Schlüsseltechnologien muss dabei Hand in Hand gehen mit der Integration von KI in den breiten Mittelstand, um deren Wettbewerbsposition global zu stärken. 

Mit der konsequenten Umsetzung dieser Maßnahmen können Deutschland und Europa ihre Position in der sich neu ordnenden KI-Landschaft nachhaltig stärken. Das Ziel ist klar: Die Etablierung als globales Zentrum für verantwortungsvolle KI-Innovation, das technologische Exzellenz mit europäischen Werten verbindet. Diese KI-Strategie bietet die Chance, die aktuelle wirtschaftliche Stagnation zu überwinden und neues Wachstum zu generieren. Deutschland als Wirtschaftsmotor Europas trägt hier besondere Verantwortung, den Weg in diese digitale Zukunft entschlossen voranzugehen. 

 

Bibliografische Angaben

Muñoz, Katja. “Das KI-Momentum ergreifen.” German Council on Foreign Relations. March 2025.

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