Dieser Aktionsplan ist im Rahmen des Berichts „Smarte Souveränität“ der Ideenwerkstatt Außenpolitik, gefördert durch Stiftung Mercator, entstanden.
Paragraf 3 des Pariser Abkommens besagt, dass die auf nationaler Ebene festgelegten Klimaziele jedes unterzeichnenden Staates ambitionierter als die vorhergehenden sein sollen. Außerdem sollen sie die für das Land größtmöglichen Ambitionen widerspiegeln, entsprechend den gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten. Deutschland ist ein Hochentwicklungsland mit großer historischer Verantwortung sowie einem starken Interesse an einer wirtschaftlichen und technologischen Führungsrolle. Seine Verpflichtung aus dem Paris Abkommen besteht darin, durch Führung dazu beizutragen, dass der Welt ein gerechter Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft gelingt. In der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Deutschland mit seinem unzureichenden Klimaschutzgesetz bereits viel Zeit und Handlungsspielraum verloren: Jahre, in denen Emissionen hätten sinken können und in denen sich die deutsche Wirtschaft auf neue Regularien hätte vorbereiten können. Diese Fehler gilt es nicht zu wiederholen. Aber auch über internationale Abkommen hinaus gibt es gute Gründe, warum Deutschland außenpolitisch handeln muss.
Was für Deutschland auf dem Spiel steht
Erstens geht es bei Klimapolitik auch um die Sicherheit der deutschen Bürger: Die tödlichen Überflutungen vom Juli 2021 haben verdeutlicht, dass Deutschland nicht einmal auf heutige Extremwettereignisse ausreichend vorbereitet ist. Dass Starkregen-Ereignisse und andere Wetterextreme in den kommenden Jahren durch den Klimawandel weiter zunehmen und damit zur wachsenden Bedrohung werden, hat der im August erschienene Bericht des Weltklimarats (IPCC) noch einmal nachdrücklich gezeigt. Der Bericht hat auch jeden Zweifel ausgeräumt, dass dieser Anstieg an Extremwetter weitestgehend gestoppt werden kann, wenn die Welt ihre CO2-Emissionen auf netto Null verringert. Da Deutschlands CO2-Emissionen zwei Prozent der globalen Emissionen ausmachen – wie die Gegner des Klimaschutzes gern wiederholen, um Verantwortung aus dem Weg zu gehen (bei einem Anteil an der globalen Population von nur einem Prozent, wohlgemerkt) –, ist es essenziell, dass die deutsche Außenpolitik Emissionsminderungen im Ausland unterstützt. Deutschland hat nicht nur eine moralische Verpflichtung, Klimaschäden im Ausland zu minimieren, sondern auch ein pragmatisches Interesse, weil sie zu Fluchtbewegungen und Konflikten in der deutschen Nachbarschaft beitragen.
Durch die globale Energiewende kommen neue geopolitische Beziehungen, Wettbewerbe, und Rivalitäten auf Deutschland zu; diese gilt es zu managen.
Zweitens ist auch die deutsche Wirtschaft vom Klimawandel und der globalen Energiewende betroffen (siehe auch Aktionsplan Wirtschaft und Außenpolitik). Als großes Exportland ist es für Deutschland extrem wichtig, dass ausländische und globale Klima-Standards die Interessen der deutschen Exporteure berücksichtigen. Zurzeit ist die EU in mancher Hinsicht ein Vorreiter bei der Entwicklung von klimapolitischen Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Außenpolitik (zum Beispiel bei dem vorgeschlagenen CO2-Grenzausgleich und dem Emissionshandel für den internationalen Seeverkehr). Deutschland muss versuchen, die Gründe für solche Maßnahmen gegenüber Drittstaaten zu erklären und auch dafür sorgen, dass es nicht zu diplomatischen Auseinandersetzungen oder Vergeltungsmaßnahmen im Bereich des Handels kommt. Diese Maßnahmen sind allerdings noch nicht weitreichend genug, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Deutschland muss hier ambitioniertere Maßnahmen entwickeln und umsetzen.
Der dritte Grund betrifft den geopolitischen Aspekt. Die globale Energiewende ist mit geopolitischen Risiken überfrachtet. Öl- und Gas-Exporteure werden zu Verlierern, wenn erneuerbare Energien fossile Brennstoffe ersetzen. Andere Länder können davon profitieren (siehe auch Aktionsplan Wirtschaft und Außenpolitik), in dem sie zum Beispiel grünen Wasserstoff, grünen Strom, oder Rohstoffe wie Seltenerdmetalle, die wichtig für saubere Technologien sind, exportieren. Durch die globale Energiewende kommen neue geopolitische Beziehungen, Wettbewerbe, und Rivalitäten auf Deutschland zu; diese gilt es zu managen.
Schließlich hat Deutschland auch ein strategisches Interesse, in den Ländern des globalen Südens die Transformation von fossilen Brennstoffen zu einer klimaneutralen Wirtschaft sowie die Anpassung dieser Länder an Klimafolgen mitzugestalten. Einerseits ist dies aus sicherheitspolitischen Überlegungen wichtig ( siehe auch Aktionsplan Klima und Sicherheit), andererseits aufgrund von wirtschaftlichen Interessen angesichts der hohen Investitionen Chinas in Subsahara-Afrika und Südostasien.
Das Ziel der Klimaneutralität ist gesetzt. Die Frage ist nur, ob Deutschland die Regeln und Standards für die globale Handels- und Energiepolitik mitbestimmen kann. Oder wird es umsetzen müssen, was andere Akteure entscheiden? Letzteres ist mit erheblichen Risiken für die deutsche Wirtschaft verbunden, unter anderem in Bezug auf Planbarkeit, langfristige Finanzierung und Marktzugang. Das Jahr 2021 bietet Deutschland Chancen, eine Führungsrolle zu übernehmen.
Mehr Ambitionen im Inland
Um zu einer führenden Klimanation zu werden, muss Deutschland die Zielkonflikte zwischen zukunftssicherem Wirtschaften und kurzfristigen Gewinnen offen und transparent benennen. Dasselbe gilt für Konflikte zwischen innen- und außenpolitischen Zielen, wie zum Beispiel den Zielkonflikt zwischen der deutschen Exportpolitik und einem fairen Marktzugang für Entwicklungs- und Schwellenländer, der helfen würde, internationale Konflikte zu vermeiden oder wenigsten zu mindern. In beiden Bereichen müssten Kompromisse im Sinne der internationalen und wirtschaftlichen Verantwortung getroffen werden. Dies bedeutet, die Ambitionen im Inland zu erhöhen: einen schnelleren Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und andere entschlossene Maßnahmen, wie Bauvorschriften zur Erreichung von Klimaneutralität in Gebäuden, eine grundlegende Änderung der Verkehrspolitik und Reformen in
weiteren Sektoren wie der Finanz- und Agrarindustrie.
Die Dimension des Klimaschutzes muss in allen Aspekten der deutschen auswärtigen Beziehungen berücksichtigt werden.
Der langsame Kohleausstieg hängt wie ein Mühlstein um den Hals deutscher Klimadiplomaten. Dabei könnte Deutschland dieses Problem relativ leicht lösen. Obwohl der Kohleausstieg bis spätestens 2038 geplant ist, gehen fast alle Experten davon aus, dass er bereits 2030 abgeschlossen sein wird. Die jüngsten deutschen und EU-Klimaziele haben dies so gut wie besiegelt. Trotzdem lehnt die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Änderung des Beschlusses zum Kohleausstieg ab. Das untergräbt die Bemühungen deutscher Diplomaten um weltweite Fortschritte in der Klimapolitik. Wenn zum Beispiel die G20-Staaten versuchen, China, Russland, und Indien davon zu überzeugen, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen muss, kann Deutschland nur wenig zur Debatte beitragen. Das gilt so lange, wie dieses reiche Land, das sich als Klima-Vorreiter versteht, die Verbrennung von Kohle selbst erst später beendet. Ein beschleunigter Kohleausstieg ist nicht nur aus Sicht der Glaubwürdigkeit von wesentlicher Bedeutung, sondern auch aus wirtschafts- und geopolitischer Perspektive. Beide Bereiche lassen sich nicht strikt von der Außenpolitik trennen.
Fortschritte bei Entwicklungspolitik und Klimafinanzierung
Die internationale Entwicklungspolitik, insbesondere die Klimafinanzierung, ist ein weiterer Bereich, der stärker in die Außenpolitik einbezogen werden muss. Deutschland spielt bereits heute eine entscheidende und hoch angesehene Rolle in der internationalen Klima- und Entwicklungspolitik durch sein langfristiges Engagement in vielen Ländern des globalen Südens, zum Beispiel durch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Das Land sollte dieses hohe Ansehen nutzen, um klare Kriterien für Zahlungen im Rahmen des Green Climate Fund (GCF), dem zentrale Finanzierungsinstrument der UN-Klimarahmenkonvention für den Transfer von Mitteln der traditionellen Industrieländer in den globalen Süden, zu erarbeiten. Zugleich sollte es die langfristigen Ambitionen und die Finanzierung des GCF voranbringen. Auf der UN-Klimakonferenz im Jahr 2009 in Kopenhagen (COP 15) hatten die Industrieländer sich verpflichtet, „bis 2020 gemeinsam 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu mobilisieren, um den Bedürfnissen der Entwicklungsländer gerecht zu werden“. Nach einem Bericht der UN Independent Expert Group on Climate Finance haben sie dieses Versprechen aber nicht eingehalten. Kritik gibt es auch an der Methodik, mit der die Industrieländer die zur Verfügung gestellten Gelder berechnen.
Deutschland hat seine Verpflichtungen im Rahmen des GCF bisher nicht vollständig erfüllt. Auch die USA haben zwar die Bedeutung der Klimafinanzierung herausgehoben, lassen aber ihren Worten keine ausreichenden Taten folgen. Gleiches gilt für den Gastgeber der diesjährigen UN-Klimakonferenz, das Vereinigte Königreich. Die Industrieländer sind aber nicht glaubhaft, wenn sie die Entwicklungsländer um ambitionierte Klima-Versprechen bitten (zum Beispiel zum Kohle-Ausstieg oder zur Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe), wenn sie ihre eigenen Zusagen nicht einhalten.
Empfehlungen
Das Auswärtige Amt hat Ende 2019 einen Bericht zur Klima-Außenpolitik veröffentlicht, der beschreibt, wie fast jede Entscheidung, die deutsche Außenpolitiker treffen, Auswirkungen auf das Klima hat. Das gilt für die Finanzierung einer Autobahn im Ausland ebenso wie für Handelsabkommen oder Entwicklungshilfe. Die Dimension des Klimaschutzes muss in allen Aspekten der deutschen auswärtigen Beziehungen berücksichtigt werden, sowohl auf nationaler Ebene als auch im Rahmen von Europäischer Union und Vereinten Nationen. 2021 ist ein entscheidendes Jahr, in dem viele Entscheidungen zur Entwicklung von Standards in Bezug auf Klimafinanzierung und die Offenlegung klimabezogener Risiken anstehen.
1. Klimaschutz bei allen Entscheidungen mitdenken
Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen und unter Berücksichtigung der anderen Nachhaltigkeitsziele ein klimaneutrales Wirtschafts- und Finanzsystem zu entwickeln, müssen Akteure in der deutschen Außenpolitik über ausreichende klimawissenschaftliche und klimapolitische Expertise und nachhaltige Finanzen verfügen. Dies schließt Parlamentarier, Mitarbeiter in allen Ministerien auf allen Ebenen ein, Angestellte von Einrichtungen wie der KfW und GIZ und Mitarbeiter von Partnerorganisationen im In- und Ausland ein. Die Bundesregierung sollte ein Klimafortbildungsprogramm entwickeln und umsetzen, denn nur so kann gewährleistet werden, dass Entscheidungen tatsächlich zum Ziel der Klimaneutralität führen werden.
Die neue Bundesregierung kann einen „Green Recovery“ unter deutscher und transatlantischer Führung gestalten.
Alle politischen Entscheidungen sollten auf ihre Klimaauswirkungen geprüft werden, damit Deutschland nicht in großem Stil auf Investitionen setzt, die in naher Zukunft wertlos werden, weil sie von fossiler Energie abhängen oder zu hohen Klimarisiken ausgesetzt sind. Dieser letzte Punkt ist besonders relevant, denn bislang wird Klimaschutz in den meisten Organisationen und Regierungen als ein Arbeitsbereich neben anderen geführt. Dementsprechend wird ein Großteil der Entscheidungen nicht auf die Kompatibilität mit Klimazielen geprüft. Es sollte ein vorrangiges Ziel der nächsten Bundesregierung sein, dies insbesondere für die Regierungsressorts zu ändern.
Dies gilt auch für die Energiepolitik. Eine Entscheidung wie zum Beispiel zu Nord Stream 2 würde heute mit Sicherheit nicht mehr getroffen werden. Nun kommt es aber darauf an, dass die Bundesregierung festlegt, wie Deutschland auf Dauer wieder aus der Erdgasnutzung aussteigen kann, was langfristig mit der dazugehörigen Infrastruktur passiert, und wie der europäische Strommarkt funktionieren kann, wenn keine oder nur noch sehr wenige Gaskraftwerke Auslastung und Preis stabilisieren können. Zentral ist ein nachhaltiges Finanzsystem, dass sich nur in einem zuverlässigen Politikrahmen etablieren kann. Derzeit ist Deutschland weit davon entfernt, führend zu sein. In der Schlussphase der COVID-19-Pandemie bietet sich für die neue Bundesregierung eine seltene Gelegenheit zu Reformen. Sie könnte in der kommenden Legislaturperiode einen „Green Recovery“ unter deutscher und transatlantischer Führung gestalten.
Ein wichtiger Schritt für das „Climate Mainstreaming“ ist die bessere Vernetzung der Entwicklungspolitik mit klima- und außenpolitischen Zielen. Notwendig ist auch eine engere Zusammenarbeit mit Forschung und Wissenschaft, vor allem mit sozialwissenschaftlicher Forschung, um zu gewährleisten, dass sich die lokalen Akteure mit den Projekten identifizieren können. Eine solche langfristige Stärkung von Kapazitäten trägt zum Aufbau von Resilienz bei. Forschung ist nicht nur nötig, um die Nachhaltigkeit von Projekten besser zu beurteilen. Bisher gibt es auch keine Richtlinien, anhand derer Anpassungsmaßnahmen geplant und priorisiert werden können und der Anpassungsbedarf international verglichen werden kann. Sowohl in Deutschland selbst als auch für Klimafinanzierung weltweit ist dies problematisch und führt dazu, dass Gelder leicht missbraucht werden können und der Entwicklungspolitik eine wichtige wissenschaftliche Grundlage fehlt.
2. Klimafinanzierung und Entwicklungshilfe erhöhen
In allen hochentwickelten Ländern muss der Anteil des Haushalts, der in Entwicklungsförderung und Klimaanpassung in Entwicklungsländern investiert wird, steigen. Das derzeitige Ziel von 0,7 Prozent des Bundeshaushalts ist sehr niedrig und wurde 2020 mit 0,6 Prozent trotzdem noch unterschritten. Auch andere Länder wie zum Beispiel Großbritannien halten ihre ohnehin schon niedrigen Ziele nicht ein. Mit der Schaffung eines schärferen Bewusstseins und effektiverer Kommunikation dazu, wie eng Entwicklung, Klimawandel und Sicherheit miteinander verknüpft sind, könnte dies verändert werden. Investitionen in nachhaltige Entwicklungspolitik dienen dem Erhalt und der Stiftung von Frieden auf der Welt. Es wäre ein wichtiger erster Schritt, wenn die neue Bundesregierung dies anerkennen und im Koalitionsvertrag eine deutliche Erhöhung des Entwicklungshilfebudgets festschreiben würde. Auch die Mittel zur Klimafinanzierung sollten aufgestockt werden. So hat Deutschland auf dem G7-Gipfel in Cornwall im Juni 2021 zugesagt, bis spätestens 2025 seinen Klimafinanzierung-Beitrag von vier auf sechs Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen. Die nächste Bundesregierung sollte diese Zusage im Koalitionsvertrag konkretisieren.
Die Bedeutung von Standards in der Klimafinanzierung kann kaum überschätzt werden. Die Tatsache, dass derzeit eine Fülle teilweise unvereinbarer und intransparenter ESG-Kriterien (ESG – Environment, Social and Governance) existiert, führt dazu, dass diese in großem Stil zum „Greenwashing“ missbraucht werden. Es bedarf einer klaren Positionierung Deutschlands zur Vereinheitlichung von Klima- und Finanzstandards. Dies ist insbesondere relevant im Hinblick auf die EU-Taxonomie, die deutlich macht, welche Wirtschaftstätigkeiten am meisten zur Erreichung der EU-Umweltziele beitragen. Das Ziel ist, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu fördern.
Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass der Klimawandel in internationalen Finanzinstitutionen bei allen Entscheidungen angemessen berücksichtigt wird.
2021 ist ein entscheidendes Jahr, in dem viele Entscheidungen zur Entwicklung von Standards in Bezug auf Klimafinanzierung und die Offenlegung klimabezogener Risiken anstehen. Die COP26 unter britischer Schirmherrschaft hat dieses Thema zur Priorität erklärt. Mit der Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) wurde ein Rahmen zur Offenlegung klimabezogener Risiken in Unternehmen geschaffen. Deutschland sollte sich sehr rasch positionieren, wie und mit welchen Ressourcen sich Regierung und nicht-staatliche Akteure an dieser Plattform beteiligen. Dies sollte im Koalitionsvertrag festgelegt werden.
Schließlich sollte auch der Transfer von klimafreundlichen Technologien gefördert werden. Neben Fortschritten in etablierten Netzwerken und Allianzen – etwa dem CTCN der Vereinten Nationen, WIPO Green, Mission Innovation, The International Solar Alliance und anderen — braucht es neue Ansätze. Dazu gehört, dass der Staat die Lizenzen für Schlüsseltechnologien erwirbt, um sie frei zugänglich zu machen.
3. Entwicklungsbanken neu orientieren
Die Entwicklungsbanken und der Internationale Währungsfonds (IWF) werden eine wichtige Rolle beim Übergang in eine widerstandsfähigere, grünere und der Natur gegenüber positiver eingestellte Gesellschaft spielen, insbesondere in den ärmsten Ländern. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass der Klimawandel in internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank, Regionalbanken und dem IWF bei allen Entscheidungen angemessen berücksichtigt wird, insbesondere auch im Hinblick auf Post-COVID-Konjunkturpakete. Bei deren Implementierung muss die Resilienz gegenüber Klimarisiken vorrangig berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass die richtigen Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden.
Deutschlands eigene Entwicklungsbank, die KfW, ist weltweit erfolgreich und anerkannt. Sie bietet daher einen idealen Ausgangspunkt, um Strategien zur Integration des Klimawandels in die Entwicklungsfinanzierung zu entwickeln und umzusetzen. Deutschland hat damit bereits Erfahrungen gesammelt, beispielsweise durch Projekte der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
In der derzeitigen Entwicklungsfinanzierung liegt ein wichtiger Schwerpunkt auf Versicherungen. Finanzierungshilfen für arme Länder nach einer Katastrophe lösen aber das Hauptproblem ihrer hohen Vulnerabilität nicht. In den Ländern des globalen Südens sollte das Abwenden von humanitären Katastrophen im Zusammenhang mit Wetter und Klimaextremen und der Aufbau von Resilienz mindestens gleichberechtigt gefördert werden. Wissenschaftliche Studien haben immer wieder gezeigt, dass Anpassungsmaßnahmen nur dann Erfolg haben, wenn es funktionierende Governance-Strukturen gibt. Ähnliches gilt für die Gleichberechtigung von Frauen: Je größer die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen ist, desto geringer ist die Kapazität des jeweiligen Landes zur Klimaanpassung. Die neue Bundesregierung sollte ihre Strategie auf ein interministerielles Konzept stützen, das einerseits die gebotene Intensivierung der Finanzierung von Anpassung fördert, gleichzeitig aber Eigeninitiativen der betroffenen Länder unterstützt.
Für die Arbeit der KfW und anderer Entwicklungsbanken müssen Standards zur Offenlegung von Klima- und Transformationsrisiken eingeführt werden. Das gilt auch für die staatliche Klimafinanzierung; fehlende Standards erschweren auch hier die Überprüfung der Nachhaltigkeit verschiedener Projekte. Die Bundesregierung sollte der KfW das Mandat erteilen, Kriterien auszuarbeiten, die tatsächliche Nachhaltigkeit und Anpassung fördern und dazu führen, dass Projekte abgelehnt werden, die nicht alle Nachhaltigkeitsziele verfolgen. Diese Kriterien können dann von privatwirtschaftlichen Geldgebern übernommen werden. Zum einen trägt die KfW auf diese Weise dazu bei, die oben schon beschriebenen Metriken zu entwickeln. Zum anderen erleichtert dies die Einbeziehung privater Geldgeber in den erheblichen Finanzbedarf der Transformation.
Langfristig sollte es weltweit geltende und gut vergleichbare ESG-Kriterien geben. Je früher dies erreicht wird und je mehr Einfluss Deutschland auf deren Ausgestaltung nehmen kann, desto mehr kann es selbst politisch und wirtschaftlich davon profitieren.
4. Einen „Green Recovery“ gestalten
Deutschland und Europa sollten dafür sorgen, dass alle aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU finanzierten Maßnahmen zwingend an Nachhaltigkeitsziele geknüpft werden, um langfristige Lock-ins in die fossile Wirtschaft zu vermeiden. Auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene müssen Emissionen verhindert und Adaptionen gefördert werden. Das Ziel muss ein „Green Recovery“, ein grüner Wiederaufbau der Wirtschaft, sein.
Deutschland sollte zudem alle Subventionen für fossile Brennstoffen so schnell wie möglich abschaffen. Bereits 2016 hatten sich die G7-Staaten verpflichtet, „ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe bis 2025 abzuschaffen“ und dieses Versprechen 2021 in Cornwall noch mal bestätigt. Obwohl Deutschland hier große Fortschritte gemacht hat – nach den Rankings von ODI und IISD liegt es unter den G-20-Ländern an erster Stelle – lagen die deutschen Subventionen noch bei über fünf Milliarden EUR jährlich, unter anderem für die Kohleförderung und -verarbeitung. Deutschland sollte auch versuchen, seine G-20 Partner zu überzeugen, diese Subventionen abzuschaffen, auch um wettbewerbliche Nachteile für die deutsche Wirtschaft zu vermeiden.
5. Sich für EU-Klimapolitik starkmachen
Als Kollektivgut erfordert Klimapolitik das gemeinsame Handeln auf EU-Ebene. Die außenpolitischen Vertreter der Bundesrepublik sollten die Klima-Regulierungen und -Initiativen der EU unterstützen – oder doch zumindest nicht untergraben. Es gibt Elemente der deutschen und europäischen Klimapolitik, mit denen nicht alle EU-Staaten zufrieden sind. Das gilt etwa für den umstrittenen EU-Vorschlag, einen neuen Emissionshandel im Bereich Verkehr und Gebäude zu etablieren, für den der Impuls vor allem aus Deutschland kam. Auch die Pipeline Nord Stream 2 hat für viele Irritationen bei Deutschlands EU-Partnern gesorgt.
Die neue Bundesregierung sollte eine führende Rolle in der Klimadiplomatie spielen, aber auch offen für andere Ansätze im Bereich Energiepolitik sein.
Andererseits muss Deutschland mit der Energiepolitik der anderen EU-Mitgliedstaaten zurechtkommen, darunter dem Interesse Polens und Tschechiens, neue Atomkraftwerke zu bauen. Auch bei der Überarbeitung von EU-Regulierungen zum Klimaschutz muss Deutschland bereit für Kompromisse sein. Das gilt auch für sehr heikle Themen, wie die TEN-E Regulierung, die entscheidet, welche Infrastrukturprojekte als „Projects of Common Interest“ bezeichnet werden dürfen, oder das Sustainable Finance Taxonomy, das festlegt, welche Investitionen für nachhaltig gehalten werden können. Die neue Bundesregierung sollte ambitioniert sein und eine führende Rolle spielen, aber auch offen für andere Ansätze im Bereich Energiepolitik sein. Verhandlungen in Brüssel oder auf nationale Ebene, zum Beispiel zwischen Deutschland und Polen oder Deutschland und Frankreich, gehören genauso zur Klimadiplomatie wie ein Gipfel zwischen der EU und den USA.
In dem „Fit for 55“-Paket von 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission zahlreiche Klima-Vorschläge gemacht, die Auswirkungen auf Außenpolitik haben. Das wichtigste davon ist der CO2-Grenzausgleich. Demnach sollen CO2-intensive Importe (etwa Stahl oder Zement) bei der Einfuhr durch die Bepreisung der CO2-Kosten verteuert werden. Dies soll verhindern, dass energieintensive Sektoren ihre Produktionen ins Ausland verlagern, wenn die CO2-Kosten innerhalb der EU steigen. Die Vertreter der deutschen Bundesregierung sollten diesen Vorschlag nachdrücklich unterstützen, etwa bei der Welthandelsorganisation oder den G20. Sie sollten ihren Partnern klarmachen, dass es Deutschland und der EU am liebsten wäre, der CO2-Grenzausgleich würde überhaupt keine Einnahmen generieren, weil andere Länder selbst die CO2-Emissionen ihrer heimischen Industrien verteuern. Der Vorschlag läuft auf einen „Klimaklub“ hinaus, in dem alle Nationen ihren CO2-Ausstoß bepreisen, um gemeinsam Fortschritte für das Klima zu erreichen.
6. Task Force für Anpassungsmetriken einsetzen
Neben Emissionsminderungen ist die Anpassung an nicht vermeidbare Klimafolgen ein Hauptanliegen der Klimapolitik. Aber während es bereits vergleichsweise gute Metriken (Messverfahren) für Treibhausgas-Emissionen gibt, ist es weiterhin schwierig, den Nutzen von Anpassungsinitiativen zu quantifizieren und unterschiedliche Anpassungsprogramme international zu vergleichen. Dies ist aber wichtig, um Kriterien zu entwickeln, anhand derer gemessen werden kann, ob Gelder aus dem GCF oder der Entwicklungsfinanzierung tatsächlich zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit führen und nicht langfristig negative Folgen haben (Maladaptation).
Deutschland hat dank seiner weltweit führenden Forschungslandschaft die Chance, international eine viele stärkere Rolle in der Entwicklung solcher Standards zu spielen. Dies könnte unter anderem durch strategische internationale Kooperationen und Initiativen stattfinden, die darauf abzielen, die derzeit noch unterschiedlichen Ansätze für Anpassungsmetriken und zur Festlegung von Standards auf Basis der relevanten sozial- und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse miteinander zu verbinden.
Auch wenn die Abwesenheit von klaren globalen Standards und evidenzbasierten Zielen sicherlich nicht der einzige Grund für mangelnde Ambitionen ist, erschwert sie Fortschritte bei der Schadensbegrenzung und Anpassung. Wo und wie Ressourcen am besten eingesetzt werden, lässt sich nicht überzeugend nachweisen.
Deutschland's Initiative für eine internationale Zusammenarbeit in der Klimaforschung würde Deutschlands Rolle global stärken und die wissenschaftliche Expertise im Inland verbessern.
Ein erster Schritt zur Abhilfe wäre eine von Deutschland angeführte breitere Initiative. Die führende Rolle Deutschlands in wissenschaftlichen Gremien wie dem IPCC und das Gewicht des Landes in internationalen Klimaverhandlungen können genutzt werden, um nach dem Vorbild der Emissions Task Force Anpassungsmetriken zu entwickeln. Dies wäre ein wichtiger erster Schritt, für den nicht viel politisches oder ökonomisches Kapital investiert werden muss. Diese Task Force kann auf der COP26 angekündigt und in der kommenden Legislaturperiode eingerichtet werden.
7. Wissenschaftsfinanzierung verbessern
Die neue Bundesregierung sollte die derzeitige deutsche Praxis hoch introspektiver nationaler Projekte überdenken und sich für eine grenzüberschreitenden Finanzierung der Wissenschaft einsetzen. Aufbauend auf die Erfahrungen mit Horizon 2020 und anderen EU-Programmen könnten so flexiblere Alternativen zur europäischen Wissenschaftsfinanzierung entstehen. Im Gegensatz zu den EU-Programmen, die den Forschungsgegenstand sehr detailliert vorgeben, sollten sie offene Ausschreibungen zu übergreifenden wichtigen Themen ermöglichen. Mit deutlich weniger bürokratischem Aufwand können dann Wissenschaftler aus Deutschland und der Welt, je nach Expertise, mit verschiedenen Ministerien gezielt an praktischen Problemen wie den Metriken zur Bezifferung von Klimaschäden arbeiten. Eine solche Zusammenarbeit würde zudem Deutschlands Rolle global stärken und die wissenschaftliche Expertise im Inland verbessern. Schließlich würde auch die Kapazität der Wissenschaft im globalen Süden gestärkt. Der im August veröffentlichte IPCC-Bericht hat erneut verdeutlicht, dass das Wissen über die Folgen des Klimawandels im globalen Süden nach wie vor gravierende Lücken aufweist.
8. Klimadaten offenlegen
Eine wichtige Voraussetzung, um evidenzbasierte Standards und Regulierungen zu erreichen, sind aktuelle Daten zu Baubeständen, Vulnerabilität im weitesten Sinne sowie Klima- und Wetterdaten auf lokaler Ebene. Offene Daten sind auch eine Voraussetzung für die Entwicklung umfassender Metriken für Anpassungsstrategien sowie die Schäden und Verluste durch den Klimawandel (Loss and Damage). Deutschland, das selbst alle Wetterdaten offenlegt, könnte eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Initiativen zur Veröffentlichung solcher Informationen spielen, vor allem von Daten über das Wetter und über die Schäden, die von Extremwetter und Klimaveränderungen verursacht werden. Aus finanziellen Gründen teilen nicht alle europäischen Länder ihre Wetterdaten mit der Öffentlichkeit und Wissenschaft. Das erschwert nicht nur die Abschätzung von Klimarisiken in diesen Ländern, sondern auch in ganz Europa. Noch schwieriger ist die Lage außerhalb Europas. In großen Teilen der Welt werden zum Beispiel keine Daten zu Hitzetoten erhoben, doch ohne diese Daten ist es extrem schwer, eine echte Resilienz zu erzielen. Die Finanzierung von Projekten an die Offenlegung von Daten zu knüpfen, ist ein erster Schritt, um mittel- und langfristig den Trend zu offenen und transparenten Daten zu beschleunigen.