Reformen und Ansätze der sozialen Marktwirtschaft in der Ukraine und Belarus

Datum
18 Juni 2015
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Inwieweit können die Transformationserfahrungen aus Mittelosteuropa auf die postsowjetischen Staaten übertragen werden? Wie können die enormen Kosten bei der Angleichung an EU-Standards im Rahmen von Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU finanziert werden? Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in diesen Ländern? Die Ukraine und Belarus haben das Potenzial, eine funktionierende sozialorientierte Marktwirtschaft zu entwickeln, doch eine stärkere Unterstützung der EU bei Reformbestrebungen und mehr politischer Wille in den beiden Ländern selbst sind dabei vonnöten. Auf dem Pfad weg von korrupter Clan- und Planwirtschaft hin zur Marktwirtschaft sind die beiden Länder in Schwierigkeiten geraten und brauchen eine Debatte über ihr zukünftiges Wirtschaftsmodell.

Dr. Sebastian Płóciennik, Programmkoordinator im Polnischen Institut für Internationale Beziehungen in Warschau, Dr. Manuela Troschke vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg, Felix Hett, Referent für Belarus, Russland und Ukraine der Friedrich-Ebert-Stiftung und Tobias Baumann, Referatsleiter für Ost- und Südosteuropa im Deutschen Industrie- und Handelskammertag diskutierten über die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Transformation beider Länder.

Sebastian Płóciennik stand der Idee, die polnische Transformationserfahrung sei übertragbar, skeptisch gegenüber; ihm zufolge sei die polnische Erfahrung trotz gewisser Analogien einmalig. Die Gründe der erfolgreichen Transformation Polens lägen in der tiefen Wirtschaftskrise der 1980er-Jahre, welche mehr Mut zu Reformen hervorgerufen habe. Außerdem seien die Ziele der Transformation – basierend auf dem Paradigma des „Washington Consensus“ – klar gewesen; die internationale Situation war günstig: die EU unterstützte Polen und es gab keine Gegner seiner westlichen Integration. Dies sei der größte Unterschied zur Situation in der Ukraine. Płóciennik betonte, dass obwohl die polnische Transformation als Erfolgsgeschichte gelte, in Polen zurzeit intensiv über sein zukünftiges Wirtschaftsmodell diskutiert werde; in den letzten zwei Jahrzehnten hätten vor allem niedrige Arbeitskosten das Wachstum angetrieben. Die schnell gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung verlangten eine weitere Modernisierung des Landes, die ohne Wirtschaftsinnovationen nicht möglich sei, so Płóciennik.

Manuela Troschke bemerkte, dass es der Ukraine und anderen östlichen Nachbarländern überlassen sein sollte, an welchem Wirtschaftsmodell sie sich orientierten; alle von oben angeleiteten Reformversuche seien zum Scheitern verurteilt. Dieser Ansatz der EU werde nun in der Neuausrichtung der Östlichen Partnerschaft erkennbar: mit den Nachbarländern, in denen sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Markt und der Rolle des Staates existierten, müsse es mehr Austausch geben. In dieser Hinsicht sei die heutige Situation ganz anders als Anfang der 1990er-Jahre: damals waren die Prinzipien des Washington Consensus international unumstritten. Zusammen mit der Beitrittsperspektive hätten diese Prinzipien den Transformationsprozess der mittelosteuropäischen Länder gesteuert.

Laut Felix Hett greife die ukrainische Zivilgesellschaft die Frage nach angemessenen Wirtschaftsmodellen nur sehr selten auf, und selbst dann handele es sich meist um neoliberale Laisser-faire-Ansätze. Gleichzeitig blockierten Interessenkartelle aus Politik und Wirtschaft die Entwicklung des freien Marktes, was für Enttäuschungen in der Bevölkerung über die Prinzipien der Marktwirtschaft sorge. Belarus, wo der Staat noch der Hauptakteur in der Wirtschaft bleibe, stünde noch am Anfang der Reformen.

Für die deutschen Unternehmer, so Tobias Baumann, seien vor allem die Kosten und Sicherheit ihrer Investitionen in der Ukraine und Belarus wichtig. Laut Baumann solle die Ukraine zwar die Privatisierung vorantreiben, gleichzeitig jedoch die soziale Absicherung der Bevölkerung sicherstellen. Ein gutes Beispiel dafür könne der Energiemarkt sein: obwohl die Preise erhöht werden müssen, schütze der Staat die schwachen sozialen Gruppen.

Stefan Meister, Programmleiter für Russland, Osteuropa und Zentralasien im Robert Bosch-Zentrum der DGAP, argumentierte, dass mangelnde Verantwortung der Eliten und eine größtenteils paternalistische Einstellung der Bevölkerung Hürden auf dem Weg zu sozialen Marktwirtschaft seien. Demgegenüber setzte Hett die Rolle der weiter wachsenden informellen Wirtschaft in der Ukraine. Ebenso wies Hans-Georg Wieck vom Verein „Menschenrechte in Belarus“ auf die zunehmende Emanzipation der Bevölkerung in Belarus hinsichtlich der Selbstbeschäftigung und Selbstversorgung bei sozialen Fragen. Baumann betonte die positive Entwicklung kleiner und mittelständischer Unternehmen in der Ukraine.

Auch die externe Unterstützung der Reformen in der Ukraine wurde thematisiert. Ute Kochlowski-Kadjaia vom Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft betonte, dass die EU bereit sein solle, der Ukraine mehr Berater als heute zur Verfügung zu stellen. Auch eine Beitrittsperspektive sei für die Ukraine zentral. Das Land brauche mehr Hilfe bei der Auflösung von alten Strukturen; hier unterstütze die polnische Regierung Kiew bei der Erstellung einer Antikorruptionsbehörde und bei der Reform der Lokalverwaltung.

Wie wichtig und effektiv die Unterstützung in Form von Beratung und Austauschprogrammen bei den Reformen ist, wurde ersichtlich durch die positiven Berichte der Diskussionsteilnehmer über die Zusammenarbeit mit jungen Entscheidungsträgern in Belarus und der Ukraine. Płóciennik betonte, dass hier mehr als symbolische Aktionen wünschenswert seien, wie z.B. die Gründung einer internationalen Universität in der Ost-Ukraine.

Dr. Maria Davydchyk, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAP, leitete die Diskussion.

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