Der Vorsitzende des polnischen Instytut Wolności Igor Janke sprach sich jedoch gegen die Simplifizierung aus, die ein „Europa der Vaterländer“ einem „Europa der Gemeinschaft“ einfach entgegensetzt. Ganz im Gegensatz dazu handle es sich doch bei der polnischen Bevölkerung um eine der europafreundlichsten Nationen der Europäischen Union. So sollte auch die Haltung der regierenden PiS-Partei nicht als Ausdruck eines Euroskeptizismus verstanden werden: „Polen möchte im Kern Europas sein und mitgestalten.“ Anders als etwa Deutschland und Frankreich teilten Polen und Ungarn jedoch eine Vision Europas, das der nationalstaatlichen Souveränität mehr Raum gibt. Während Ungarn sich jedoch als eine Alternative zum europäischen Mainstream begreift, sei Polen auch an der Seite Deutschlands und Frankreichs vorstellbar. „Wir sollten Polen und Ungarn nicht als ein Tandem wahrnehmen. Die bilateralen Beziehungen sind gut, aber es gibt mehr und mehr Unterschiede.“ Zu diesen zählt Janke etwa die Beziehung zu Russland, die unterschiedlichen Freiheiten in der Medienlandschaft oder auch die Begrifflichkeiten – so spräche in Polen niemand von einer „illiberalen Demokratie“.
Reinhold Vetter, Publizist und ehemals Handelsblatt-Korrespondent für Polen, betrachtet die Entwicklung in Polen und Ungarn mit mehr Besorgnis: es handle sich zunehmend um „Staaten mit autoritären Zügen“. Grund hierfür seien die zahlreichen institutionellen Reformen im Justizwesen oder den Medien. „Kaczyński und Orbán sehen sich als Vollstrecker einer historischen Mission“, so Vetter. Beide Politiker hätten ihren Ländern eine fundamentale Erneuerung versprochen. Dabei wollen sie den Weg aus einem ihrer Meinung nach dysfunktionalen System ebnen, das nach dem Systemwandel unter internationalem Einfluss geschaffen worden sei. Die Gründe für den Erfolg der Regierungsparteien sieht Vetter in den Fehlentwicklungen nach der Transformation von 1989, in den zunehmenden sozialen Unterschieden wie auch in der durch die Flüchtlingskrise hervorgerufenen Angst. Ein Narrativ, das Heimat, traditionelle Werte und die eigene Nation aufgreift, komme daher in der Bevölkerung gut an.
Zsuzsanna Végh (ECFR) stellt fest, dass die Flüchtlings- und Migrationskrise die Visegrad-Gruppe – das halboffizielle EU-Binnenbündnis zwischen Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei – zwar wiederbelebt hat, da sich die Staaten in ihrer Haltung zur EU-Quotenregelung weitestgehend einig sind. Doch sei es für kaum ein Land wirklich attraktiv, sich derart gegen Brüssel zu stellen, wie Ungarn dies tue. Zukünftig dürfte man ohnehin mit mehr Reibungspunkten zwischen den vier Partnern rechnen, wenn die Slowakei den Vorsitz übernimmt. Unstimmigkeiten fänden sich genug, sei es der Beitritt zum Büro der europäischen Staatsanwälte, sei es, dass die Slowakei als einziger Staat der Eurozone angehöre. „Die Slowakei und Tschechien möchten mit Ungarn und Polen nicht in einen Topf geworfen werden“. Diese werden wiederum mit großer Wahrscheinlichkeit versuchen die Flüchtlingspolitik weiterhin auf der Agenda zu halten.
Markus Meckel fasste die komplexe Debatte schließlich mit der Hoffnung auf einen gemeinsamen Weg zusammen: „Wir werden den Weg in Europas Zukunft gemeinsam gehen, das wird nicht ganz ohne Streit abgehen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind immens. Die Frage ist, wie weit wir bei dem bleiben, was die europäische Einigung möglich gemacht hat. Das Wichtigste, was wir machen können, ist miteinander offen zu reden.“
Der Gesprächskreis Polen ist ein Kooperationsprojekt des Robert Bosch-Zentrums der DGAP und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Den Vorsitz hat Markus Meckel, Außenminister a.D. und ehemaliges Mitglied des Bundestags.