Skandal oder Notwendigkeit?
Ist Deutschland auf eine Kooperation nicht angewiesen? Und lässt sich nicht auch einiges aus der in den USA geführten Debatte über die Grenzen der Geheimdienstarbeit lernen? Diese und weitere Fragen diskutierten Prof. Dr. Patrick Sensburg, MdB, Ernst Uhrlau und Prof. Dr. Wolfgang Krieger. Patrick Sensburg ist Vorsitzender des 1. Untersuchungsausschuss („NSA“) des Deutschen Bundestages. Wolfgang Krieger ist Professor für Neuere Geschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen an der Philipps-Universität Marburg und Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission für die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) samt Vorläuferorganisation, 1945-1968. Ernst Uhrlau ist ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes (2005-2011).
Die Teilnehmer griffen wiederholt Fragen zur parlamentarischen Kontrolle des BND auf: Gegenwärtige Kontrollmechanismen wiesen Defizite auf, was man auf die teilweise angestaubte Gesetzgebung zurückführen könne, die nicht immer die Tragweite der digitalen Überwachungsmöglichkeiten erfasse. Insgesamt müsse jedoch der Geheimdienst auch mehr Vertrauen in die Verschwiegenheit der parlamentarischen Kontrolle haben. Es wurde auf die Handhabung parlamentarischer Kontrolle von Geheimdiensten in anderen Ländern verwiesen; hier könne man einerseits noch lernen, andererseits könne Deutschland in einigen Bereichen auch als Vorbild dienen.
Weiter widmete sich die Diskussion der strategischen Ausrichtung und Zielsetzung des BND. Wiederholt wurde bemängelt, dass dem Aufgabenprofil des Nachrichtendienstes ein roter Faden fehle – die Bundesregierung sei hier in der Bringschuld. Die Neuausrichtung der Bundeswehr – beziehungsweise der Prozess, der die Erstellung des neuen Weißbuches begleitete – könne in der Erneuerung der strategischen Ausrichtung des BND zwar zur Orientierung dienen, jedoch nicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Aufgabenprofil des BND ersetzen. Das Ziel müsse sein, Entscheidungsträger, Wissenschaftler und zu einem gewissen Teil die Öffentlichkeit an diesem Prozess einer Zielausrichtung des BND zu beteiligen. Die gegenwärtige Orientierungslosigkeit der Bundesregierung und der Streit der Koalitionspartner trügen zur Skandalisierung bei. Die Teilnehmer stimmten darin überein, dass eine Debatte um die außen- und sicherheitspolitischen Ambitionen Deutschlands und des BND notwendig sei, um das Vertrauen in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Hierbei wurden auch positive Beispiele verbündeter Staaten aufgezeigt, welche ihre außenpolitischen Ziele klarer zu definieren wüssten und ihre Geheimdienste mit entsprechenden Kompetenzen versähen. Denn erst wenn man definiert hätte, wofür der Geheimdienst genutzt werden soll, könne man auch darüber diskutieren, ob dieser seine Kompetenzen überschritten habe.
Darüber hinaus nahm die Diskussionsrunde die Kooperation des BND mit verbündeten Geheimdiensten in den Blickpunkt. Die Frage, ob der BND in Zukunft autonom agieren und unabhängige Kompetenzen schaffen könnte, wurde beinahe einstimmig zurückgewiesen. Stattdessen wurde deutlich gemacht, dass Deutschland nicht über die Ressourcen verfügt, um den BND für die diversen Gefahren und Aufgaben der gegenwärtigen Welt zu rüsten. Vielmehr würde sich der BND in die entgegengesetzte Richtung seiner Verbündeten bewegen, wie die Geheimdienstreformen in Frankreich zeigten. Deutschland sei nicht in der Lage, internationale Einsätze nur mithilfe der Erkenntnisse des BND durchzuführen und sei daher auf seine Partner angewiesen. Der Tenor der Diskussion sah demnach ein Fortführen von Geheimdienstkooperationen vor.
Dr. Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik, moderierte die Veranstaltung. An der Diskussion nahmen etwa 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen teil.
Wir danken dem German Marshall Fund of the United States für die Unterstützung.