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21. März 2012

Front National: Der Traum von einem neuen 21. April

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Der Front National, der mittlerweile von Marine Le Pen geführt wird, nimmt den Präsidentschaftswahlkampf mit neuem Vertrauen in Angriff. Dabei trägt der Prozess der Entdiabolisierung, den die Partei bewusst vollzieht, dazu bei, dass sich die rechtsextreme Partei Hoffnung auf eine mögliche Qualifikation für den zweiten Wahlgang machen kann.

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Zielvorgabe: Zweite Runde

Es mag ein Zufall des Kalenders oder dem Schaltjahr geschuldet sein – die Präsidentschaftswahl in Frankreich wird in diesem Jahr an den gleichen Terminen abgehalten wie bereits 2007: am 22. April und am 6. Mai. Allerdings bleibt der 22. April dem Front National (FN) in trauriger Erinnerung. Jean-Marie Le Pen erreichte damals in seinem fünften Präsidentschaftswahlkampf lediglich den vierten Platz hinter François Bayrou, Ségolène Royal und Nicoals Sarkozy. Im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2002 hatte der Parteivorsitzende des FN mit 3,8 Millionen Wählerstimmen eine Million Wählerstimmen verloren – und dies nach einer von Nicolas Sarkozy mit aller Härte geführten Kampagne. Indem Sarkozy in der öffentlichen Debatte die Themen Einwanderung und Innere Sicherheit besetzte, nahm er der rechtsextremen Partei den Wind aus den Segeln. Die Parteistrategen des FN denken daher bei diesem Wahlkampf lieber an den 21. als an den 22. April. Genau vor zehn Jahren, am 21. April 2002, vollzog sich zweifellos der Augenblick des größten Erfolgs der Partei.  Damals war Jean-Marie Le Pen zur allgemeinen Überraschung als zweitplazierter Kandidat hinter Jacques Chirac und vor Lionel Jospin aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hervorgegangen. Dieser 21. April trug nicht nur zu einer großen Welle der Mobilisierung gegen den FN im zweiten Wahlgang bei, sondern auch zu einer grundsätzlichen Debatte über den Platz der Partei auf dem politischen Spielfeld und innerhalb der französischen Gesellschaft.

Der Front National feiert im Jahr 2012 sein vierzigjähriges Bestehen. Seine Erfolge waren bis 2002 jedoch lediglich vereinzelt. Wahlergebnisse zwischen fünf und 15 Prozent und die nicht vorhandene Möglichkeit einer Koalition erlaubten es dem FN nur selten, sich im Mehrheitswahlsystem mit zwei Wahlgängen zu behaupten. Lediglich bei Wahlen, denen das Verhältniswahlrecht zugrunde lag, erreichte der FN eine relevante Anzahl an Abgeordneten. Dies war der Fall bei den Europawahlen, durch die der FN seit 1984 gewählte Repräsentanten ins Europäische Parlament entsenden konnte, ebenso wie bei den Parlamentswahlen von 1986. Durch einen neu eingeführten Wahlmodus konnte der FN bei diesen Wahlen zum ersten und bisher einzigen Mal mit 35 Abgeordnete in die französische Nationalversammlung einziehen. Mehrere lokale Wahlerfolge im Südwesten Frankreichs gestatteten es dem FN darüber hinaus, sich mehrere Bürgermeisterämter (Marignane, Orange, Toulon), häufig allerdings nur von kurzer Dauer, zu sichern.

Familienerbe und Ideologie

Jean-Marie Le Pen hat nach beinahe vierzig Jahren autoritärer und ungeteilter Herrschaft über die Partei zum Jahresbeginn 2011 Platz für seine eigene Tochter Marine (geboren Marion Anne) gemacht. Diese Amtsübergabe war selbst innerhalb der Partei, in der es mehrere Anwärter auf den Parteivorsitz gab, höchst umstritten. Jean-Marie Le Pen bleibt Ehrenpräsident der Partei und meldet sich noch regelmäßig in den Medien zu Wort; manchmal auch im Widerspruch zu den Äußerungen seiner eigenen Tochter.

Seitdem Marine Le Pen an der Spitze des FN steht, hat sie bewusst einen Prozess der „Entdiabolisierung“ der Partei angestoßen, dabei jedoch die Themen und Methoden ihres Vaters beibehalten. Die aktuelle Parteivorsitzende hütet sich vor Skandalen, wie sie ihr Vater produzierte, indem er beispielsweise über die Gaskammern der Konzentrationslager als „Detail der Geschichte“ sprach. Louis Aliot, stellvertretender Parteivorsitzender und Lebensgefährte von Marine Le Pen, erklärte während einer Debatte des Meinungsforschungsinstituts Ifop am 28. Februar in diesem Zusammenhang, dass „es darum gehe, die Hypothek des Antisemitismus und des Rassismus aufzuheben“. Der FN ist um eine Distanz zu den radikalsten und gewaltsamsten Splittergruppen bemüht, die jedoch seinem Wählerspektrum zuzurechnen sind. Marine Le Pen hat sich so ein Image aufgebaut, das es ihr ermöglicht, sich besser vor den Fernsehkameras zu profilieren. Die junge Frau (Jahrgang 1968), Familienmutter und Abgeordnete aus dem nordfranzösischen Hénin-Beaumont, legt nicht die gleichen Wutausbrüche wie ihr Vater an den Tag. Die Kommunikationstechnik der Partei bleibt jedoch auch in diesem Wahlkampf dieselbe. Wie bereits während der vergangenen Präsidentschaftswahlen hat der FN auch in diesem Jahr beispielsweise auf seine Schwierigkeit hingewiesen, die für die Zulassung zur Präsidentschaftswahl notwendigen 500 Unterschriften zu erhalten. Dadurch stilisiert sich der FN erneut zu einer Partei, die durch das System „UMPS“ (Zusammensetzung der Parteisiglen der konservativen UMP und der sozialistischen PS) gequält und mundtot gemacht wird.

Rechtes Terrain wiedererobern

Was die grundlegende thematische Ausrichtung der Partei betrifft, hat sich der FN nur wenig gewandelt. Wie früher ruft die Partei zur Verteidigung der Nation auf, prangert das etablierte politisch-mediale Netzwerk an und bedient ihre traditionellen Themen: innere Sicherheit und Kampf gegen Immigration. Auf Wahlkampfveranstaltungen lobt Marine Le Pen die Assimilation und bringt den Wunsch zum Ausdruck, kriminelle Ausländer „ohne Hoffnung auf Rückkehr in ihre Herkunftsländer abzuschieben“. Ihr Wahlprogramm sieht die Reduzierung der legalen Einwanderung um 20 Prozent sowie die Abschaffung des Geburtsortsprinzips (ius soli) vor. Nicolas Sarkozys Popularität und Glaubwürdigkeit in der öffentlichen Meinung haben während seiner Präsidentschaft auf diesem Gebiet genauso stark gelitten wie bei anderen Themen. Dies belegt die langwierige Debatte um die nationale Identität und die Behandlung von Sinti und Roma. Die Fehlschläge haben das Bild des Präsidenten beschädigt. Der UMP Spitzenkandidat versucht, diese Felder seit seinem offiziellen Eintritt in den Wahlkampf wieder zu besetzen. So äußerte Nicolas Sarkozy beispielsweise vor den Kameras des Fernsehsenders France 2, dass „auf unserem Territorium zu viele Ausländer leben“ und erklärte seine Absicht, die Anzahl der pro Jahr aufgenommenen Einwanderer zu halbieren. Die verlorene Popularität des Präsidenten auf diesem Gebiet lässt dem FN einen weiten Spielraum. Der FN kann sich hierdurch in der Kampagne, deren aktuelle Umstände für die Belange der Partei überaus günstig sind, leichter positionieren: Die Wirtschaftskrise und der Anstieg der Arbeitslosigkeit sind ein guter Nährboden für Antisystemparteien und den Aufstieg extremistischer Gruppierungen. So rühmt sich auch der FN, der Stimmführer der Wähler aus der Arbeiterschaft, der „Verlieren“ der Krise, zu sein.

Die aktuellen Schwierigkeiten der Europäischen Union und der Eurozone erleichtern es dem FN, mit ihrer traditionell Europa- und Euro-feindlichen Rhetorik Anklang zu finden. Die Partei wählt bewusst die Gemeinschaftswährung als zentrales Ziel ihrer Angriffe und bewertet diese als „totales Scheitern“ und als Symbol des „absurden Extremismus der finanzpolitischen Eliten“. Sie fordert deshalb kurzerhand ein Ende der gemeinsamen Währung und geht davon aus, dass sie für dieses Vorhaben die Zustimmung Deutschlands erhält, „da dieses weiß, dass es nicht endlos den Rest der Eurozone finanzieren kann“. Das Projekt des FN greift zudem die Themen „Grenzöffnung“ und „Standortverlagerungen“ auf, schürt Ängste vor einem EU-Beitritt der Türkei und sagt die „finale Krise der EU“ voraus. Aus diesen Gründen wünscht der FN eine Rückkehr zu den nationalen Währungen. Dabei spricht er „dem deutsch-französischen Paar eine Rolle als Motor zu, um den Stillstand zu überwinden“. Zudem unterbreitet der FN den „Vorschlag an Deutschland, sich einer Dreierallianz Paris-Berlin-Moskau anzuschließen“.

Die Parlamentswahlen im Kopf

Die Wähler des FN bekennen sich heute offener als früher zu ihrer Entscheidung. Auch wenn sich die Wählerschaft leicht verändert hat und vor allem die Frauenquote gestiegen ist, findet die Partei den größten Zuspruch immer noch in den einfachen Milieus, unter Männern und älteren Menschen. Nach einer Umfrage, die von Le Monde und Canal+ Mitte Januar 2012 vorgestellt wurde, erklären 31 Prozent der Befragten, dass sie die Ideen des Front National teilen. Zu Jahresbeginn lag Marine Le Pen in den Umfragen zwischen 15 und 20 Prozent der prognostizierten Wählerstimmen. Ein Ergebnis, das das bisherige Rekordergebnis aus dem Jahr 2002 (16,9 Prozent) übersteigen könnte, allerdings aller Voraussicht nach nicht ausreichen wird, um einen der ersten beiden Plätze zu belegen. Nichtsdestotrotz wird sich aus dem Ergebnis von Marine Le Pen die Position des FN bei den Parlamentswahlen im Juni ableiten lassen. Ein gutes Abschneiden der Parteivorsitzenden bei den Präsidentschaftswahlen könnte es dem FN ermöglichen, sich bei den Parlamentswahlen in mehreren Wahlkreisen bis in die zweite Runde zu behaupten. Dadurch stünden die beiden großen Parteien PS und UMP in der Pflicht, ihre Position gegenüber dem Front National klar zu definieren.

Sébastien Vannier ist Korrespondent von Ouest France und ParisBerlin in Berlin und Teilnehmer des Deutsch-französischen Zukunftsdialog 2010. Übersetzung aus dem Französischen: Richard Probst.

Bibliografische Angaben

Vannier, Sébastien. “Front National: Der Traum von einem neuen 21. April .” March 2012.