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24. Nov. 2015

Polens neue Regierung

Die neue alte Unbekannte in Europa

Bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober sprachen sich die Polen eindeutig für einen Regierungswechsel zugunsten der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) aus. Politiker wie Beata Szydło und Andrzej Duda sind ihre neuen Gesichter, doch Parteichef Jarosław Kaczyński hat zumindest bei der Machtübernahme eine wesentliche Rolle gespielt. Wie wirkt sich die neue Regierung auf die deutsch-polnischen Beziehungen aus?

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Beata Szydło hat als neue Ministerpräsidentin die traditionelle erste Regierungserklärung abgegeben. Welche Prioritäten setzte die Erklärung?

Emilie Mansfeld: Szydło führte hauptsächlich Reformvorschläge in der Familien-, Gesundheits-, Arbeits- und Sozialpolitik zugunsten benachteiligter Gesellschaftsschichten auf, die man schon aus dem Wahlkampf kannte. Unter der Prämisse der Weiterentwicklung Polens beinhaltete die Erklärung auch wirtschaftspolitische Reformvorschläge. Sie erwähnte die USA als Sicherheitsgaranten in der Welt und bekannte sich zwar generell zur Europäischen Union, kritisierte aber gleichzeitig, dass diese nicht effektiv genug sei und die Mitgliedstaaten nicht immer ihre „Grundsätze“ einhielten. Schließlich kritisierte die Erklärung Staaten, die ihre „selbstgeschaffene“ Flüchtlingsproblematik nach Polen „exportiert“ hätten – ein Seitenhieb in Richtung Deutschland. Außenpolitische Themen spielten kaum eine Rolle, zu ihnen soll sich bald der neue Außenministers Waszczykowski umfassend äußern.

In Abgrenzung zur Erklärung Szydłos hielt der PiS-Chef Kaczyński bei der anschließenden Parlamentsdebatte eine Rede, welche die ideologische Denkweise der neuen Regierung verdeutlichte. Er bediente sich dogmatischer und emotionaler Schlagwörter, wie der Konsolidierung der polnischen „Volksgemeinschaft“ oder dem notwendigen „zivilisatorischen Sprung“. Konkret kündigte er Großprojekte wie Wahlrechtsreformen, Eingriffe im öffentlichen Medienwesen und eine kritische Durchsicht der polnischen Verfassung an – letztere sei nach fast zwanzig Jahren notwendig. Eine Verfassungsänderung wäre rechtlich allerdings nur mit Unterstützung durch die Opposition möglich. Kaczyński gab sich aber auch versöhnlich, indem er Opposition und die eigene Partei zu einem besseren Umgangston miteinander aufrief.

Wie wurde die Regierungserklärung in Polen aufgenommen?

Emilie Mansfeld: Die Opposition kritisierte vor allem die Vernachlässigung außenpolitischer Themen, die jüngsten Töne der PiS zur polnischen Flüchtlingspolitik nach den Attentaten von Paris und den Mangel an Finanzierungvorschlägen für die zahlreichen kostspieligen Reformansagen.

Die angespannte Stimmung zwischen Regierungspartei und Opposition, aber auch in der kritischen Öffentlichkeit entstammt mehreren bereits durchgeführten innenpolitischen Reformen sowie dem Stil ihrer Durchführung: Nicht einmal eine Woche nach ihrem Inkrafttreten setzte die neue Regierung mehrere Maßnahmen um, die nicht nur politisch, sondern auch demokratietheoretisch wie juristisch kontrovers sind. Zunächst begnadigte Präsident Andrzej Duda den neuen, wegen Amtsmissbrauch angeklagten Geheimdienstkoordinator und ehemaligen Leiter der früheren Antikorruptionsbehörde, dem einstigen Vorzeigeprojekt Kaczyńskis. Die PiS verteidigte diese Begnadigung mit den „ehrenwerten Motiven“ des Angeklagten. Die Zulässigkeit einer Begnadigung durch den Präsidenten in einem noch laufenden Gerichtsverfahren ist juristisch umstritten und wird auch bei Umfragen in der Bevölkerung als unrechtmäßig bewertet. Zudem besetzte der zuständigen Sejm-Ausschuss nach dem Rücktritt mehrerer Sicherheitsdienst-Chefs deren Posten in einer quasi-nächtlichen Sitzung neu.

Richtern des polnischen Verfassungsgerichts, die gegen Ende der Regierungszeit der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) berufen wurden, hatte Duda zuvor den Amtseid nicht abgenommen, was die PiS nutzte, um im Parlament noch am Tag der Regierungserklärung ein neues Gesetz über das polnische Verfassungsgericht zu verabschieden. Demnach können nun fünf Richter und der Gerichtspräsident neu gewählt werden. Das Gesetz wurde gegen die Ablehnung fast sämtlicher parlamentarischer Oppositionskräfte verabschiedet, die nicht nur dieses Vorgehen als rechtswidrigen Eingriff in das höchste Gerichtswesen und in die nach 1989 erkämpfte Freiheit verurteilten, sondern auch bei der Abstimmung aus Protest den Parlamentssaal verließen. Auch namhafte aktuelle und ehemalige polnische Verfassungsrichter und Menschenrechtsorganisationen verurteilten die Änderungen. Teile der Opposition, darunter PO und der polnische Bürgerbeauftragte, haben nun gegen das neue PiS-Gesetz eine Klage vor dem Verfassungsgericht selbst eingereicht. Anfang Dezember, kurz vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, wird das Verfassungsgericht aber noch über die noch anhängige Klage gegen Änderungen, welche die PO gegen Ende ihrer Amtszeit vornahm, entscheiden; die meisten Beobachter tendieren allerdings dazu, dass die damaligen Änderungen rechtens waren.

Warum ist der PiS-Wahlsieg so deutlich ausgefallen? Haben die Europa- und Außenpolitik oder die populistische Haltung Kaczyńskis in der Flüchtlingskrise eine Rolle gespielt?

Emilie Mansfeld: Vor der Wahl herrschte in Polen eine Wechselstimmung, die spätestens bei den Präsidentschaftswahlen zutage trat, als der Newcomer Duda im Sommer dieses Jahres Bronisław Komorowski ablöste. Dies belegt auch eine um mehr als 10 Prozentpunkte gestiegene Wahlbeteiligung von 51 Prozent. Die bisherige liberal-konservative Regierung hat einen Verlust an Vertrauen und Respekt aufseiten der Wähler erlebt. Anscheinend wollten die meisten Polen die vorherige Regierung abstrafen, auch weil man in der umfassenden „Abhörbandaffäre“ bei Regierungspolitikern eine gewisse Arroganz der Macht empfand. Die PiS hat es geschafft, diese Glaubwürdigkeitslücke mit recht jungen und unbekannten Politikern zu füllen, die sich bürgernah zeigten und gemäßigt auftraten. Auch die meisten jungen Wähler und gut ausgebildete Personen gaben der PiS daraufhin einen Vertrauensvorschuss.

Zudem machte Spitzenkandidatin Beata Szydło viele Wahlversprechen zur bisher eher vernachlässigten Sozialpolitik – so die Einführung eines für Polen recht hohen Kindergeldes ab dem zweiten Kind, die Senkung des Rentenalters und einen höheren Mindestlohn. Die linken Parteigruppierungen, die einen zersplitterten und bis auf die neue Partei „Razem“ eher rückwärtsgewandten Eindruck vermittelten, schafften es währenddessen nicht einmal ins Parlament.

Die Außenpolitik hat im letzten Jahr vor der Wahl kaum eine Rolle gespielt und die PiS hat in ihr im Wahlkampf keine stark abweichenden Akzente zur PO-Politik der letzten Jahre gesetzt; es tauchten lediglich Konzepte für mehr nationale Souveränität auf. Den Polen – die im Übrigen in vielen Umfragen immer wieder europafreundlich erscheinen – ging es mehr um die Situation im eigenen Land. Viele Menschen schienen das Gefühl zu haben, dass das rasante Wirtschaftswachstum sich nicht in ihren Lebensumständen widerspiegelte. Und es gibt einen nationalistisch orientierten Teil der Bevölkerung, der einem engen Schulterschluss mit Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten skeptisch gegenübersteht. Manche PiS-Politiker versuchen regelmäßig, diese Wähler durch populistische Aussagen an sich zu binden, etwa in der Flüchtlingsdebatte. Diese kam allerdings erst im Sommer 2015 konkret auf die europäische Tagesordnung und wurde erst daraufhin in Polen kontrovers debattiert. Dass sich Kaczyński im Wahlkampf negativ bis beleidigend gegenüber Flüchtlingen äußerte, steht fest – doch kann man diese Haltung nicht eins zu eins auf die Gesamtheit der polnischen Bevölkerung übertragen, geschweige denn ihr wahlentscheidendes Gewicht zuweisen. Es gibt einige Umfragen, die zeigen, dass die Polen bei diesem Thema wesentlich gemäßigter sind als generell wahrgenommen – dies soll allerdings nicht verhehlen, dass es auch Kreise gibt, in denen Unwissen und anti-muslimische Vorurteile dominieren. Verglichen mit westeuropäischen Ländern fehlt Polen vor allem praktische Erfahrung mit Immigranten.

Wohin tendiert Polen nun europa- und außenpolitisch? Muss man befürchten, dass das deutsch-polnische Verhältnis wieder so schlecht wird wie unter der letzten PiS-Regierung?

Emilie Mansfeld: Gerade da die PiS vor ihrem Regierungsantritt gelegentlich eine größere Unabhängigkeit Polens von großen EU-Staaten forderte, ohne diese zu konkretisieren, bleibt abzusehen, ob Taten folgen – oder ob es sich eher um rein symbolische rhetorische Spitzen handelt. Im Endeffekt wird es auf die faktische Zusammenarbeit ankommen. Man wird vermutlich nach einigem Herumtaktieren auf Kompromisse bei Gemeinschaftsprojekten setzen, anstatt sich selbst ins politische Aus zu manövrieren. In der heutigen europäischen und außenpolitischen Dauerkrisenzeit ist die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit viel stärker als noch vor zehn Jahren. Deutschland und die EU brauchen Polen – dieses aber auch Deutschland. Etwa angesichts der angespannten Haltung gegenüber Russland in der Ukrainekrise ist zu bezweifeln, ob es sich für die PiS-Regierung lohnt, in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf Alleingänge zu setzen.

Die alte Zuverlässigkeit der Vorgängerregierung wird Aushandeln weichen müssen. Die PiS könnte Deutschland und die EU positiv überraschen, falls sie sich pragmatisch und unvoreingenommen zeigt. Vieles hängt auch von innenpolitischen Erfolgen der PiS bei den angekündigten Reformen ab; schlimmstenfalls könnten die Außenpolitik oder gar alte anti-deutsche Ressentiments zur Ablenkung von innenpolitischen Streitfragen gebraucht werden, um die Reihen der PiS-Unterstützer gegenüber vermeintlichen Gegnern zu schließen.

Die neue PiS muss sich außenpolitisch vielleicht erst einmal finden und ordnen. Präsident Duda sendete bei seinem Antrittsbesuch in Deutschland positive Signale für die Europa- und Außenpolitik und die bilaterale Zusammenarbeit. Die Regierungschefin und auch die neuen zuständigen Minister – Außenminister Waszczykowski und Europaminister Szymański – haben der europäischen Kooperation grundsätzlich keine Absage erteilt, im Gegenteil. Jedoch gab es von ihnen nach den Anschlägen in Paris zur innereuropäischen Verteilung von Flüchtlingen auch zurückweisende Töne; dies mündet nun in einer Regierungsinitiative, die gemeinsam mit anderen kritischen Staaten die europäischen Beschlüsse zum zwischenstaatlichen Verteilungsmechanismus revidieren will.

Wie sollen Deutschland und die EU künftig mit Polen umgehen?

Emilie Mansfeld: Auf keinen Fall sollte Polen als Deutschlands Partner von nun an übergangen werden. Es wird sicherlich unbequemer mit der neuen Regierung als mit der alten. Mögliche rhetorische, populistische Spitzen gegen Deutschland oder Europa werden eine konsequente Gelassenheit erfordern. Ich meine aber nicht, dass die PiS ernsthaft acht Jahre guter deutsch-polnischer Beziehungen über Bord werfen will. Für eine pragmatische Zusammenarbeit gibt es neben den erwähnten äußeren Notwendigkeiten auch konkrete Anzeichen; man wird Kompromisse nicht gänzlich ablehnen, selbst wenn die Interessen erst einmal unterschiedlich sind. Somit erscheint eine Politik der intensiven Kommunikation seitens Deutschlands angebrachter als ein Übergehen der Interessen Polens, die nun öfter mit den deutschen Positionen anecken könnten – wie zum Beispiel in der Klima- und Energiepolitik. Im Zusammenhang mit dem Begehen des 25-jährigen Bestehens des Vertrags über „gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ im kommenden Jahr wäre alles andere Wasser auf die Mühlen der Hardliner, die noch immer nicht an ein ernsthaftes Interesse Deutschlands an einer gleichberechtigten Partnerschaft glauben.

Bibliografische Angaben

Mansfeld, Emilie . “Polens neue Regierung .” November 2015.

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