Maßgeblicher Fortschritt für europäische Verteidigung
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für Politik und Industrie in Europa. Sie verdeutlicht den deutsch-französischen Führungsanspruch in der EU und die Bereitschaft zur immer engeren Kooperation im Verteidigungsbereich.
Ihre Bedeutung geht weit über die Frage hinaus, welches Waffensystem Franzosen und Deutsche in den nächsten 40 bis 50 Jahren nutzen werden, denn so lange stehen Flugzeuge etwa im Dienst. Die Entscheidung setzt den Maßstab für die Zukunft der gesamten europäischen Verteidigungsindustrie: Die militärische Luftfahrt ist die Schlüsselindustrie – hinsichtlich Umsatz und Innovationsleistung. Deutschland und Frankreich bewahren Europa mit dem Projekt die Möglichkeit, eine eigenständige Rüstungsindustrie zu erhalten und nicht von US-Firmen abhängig zu werden. Die europäische Autonomie rückt damit ein bisschen näher.
Die beiden Staatschefs haben mit der Entscheidung bekräftigt, dass sie sich als Vordenker für und Anführer in Europa verstehen. Mit der Kampfflugzeug-Entscheidung haben sie der bislang vor allem rhetorischen Debatte um ein Europa der Verteidigung greifbare (industrielle) Glaubwürdigkeit gegeben, und ein konkretes Projekt, an dem andere teilnehmen können. Berlin und Paris können, nachdem sie nun in Vorleistung gegangen sind, mit Recht erwarten, dass andere Länder über ihren nationalen Schatten springen und sich entweder an dem Projekt beteiligen oder aber selbst große Vorhaben europäisieren.
Ja zu Europa, nein zu Washington und London
Das deutsch-französische Projekt ist nicht nur ein Bekenntnis zu Europa, sondern auch eine doppelte Absage: an die USA und an Großbritannien. An die USA, weil der Bau eines europäischen Kampfflugzeugs bedeutet, dass Paris und Berlin, und hoffentlich noch viele andere Europäer, die sich dem Projekt anschließen, eben kein US-Produkt kaufen werden. Berlin hatte den Kauf von Kampfflugzeugen von US-Herstellern auch als Zeichen der engen Partnerschaft mit den USA erwogen. Es ist aber nahezu undenkbar und zu teuer, zwei Flugzeugtypen gleichzeitig zu betreiben. Zudem hat Berlin im europäischen Projekt eine zentrale Rolle, während es im US-Fall nur ein Käufer von Fertigprodukten gewesen wäre: deutsche Steuergelder wären investiert worden, aber es wären weder Technologie noch Arbeitsplätze in Deutschland entstanden. So aber hat Deutschland die Möglichkeit, selber Spitzentechnologien zu entwickeln und seine Industrie innovativ und wettbewerbsfähig zu halten.
Paris gibt mit der Entscheidung London einen Korb, weil es an einem der wichtigsten Europäischen Projekte der kommenden Jahrzehnte wohl nicht beteiligt sein wird, und das obwohl sich London als traditionelle Militärmacht und privilegierter Partner Frankreichs sieht. Industriell-technisch wäre eine britische Beteiligung möglich, auch nicht EU-Staaten könnten teilnehmen. Politisch aber ist sie undenkbar: Paris und Berlin haben das Projekt bewusst als europäisches Bekenntnis konzipiert, in dem sie als Vorreiter ein gemeinsames europäisches Ziel verfolgen, als ein Signal für mehr Zusammenarbeit in Europa statt rein bilateralen Ansätzen. Da kann London, das die EU als Inbegriff von zu enger Kooperation verlassen will, kaum mitgehen.
Tatsächlich haben Trumps Positionen zur NATO und Londons Anti-EU Rhetorik zu einem großen Vertrauensverlust der Kontinentaleuropäer in beide Alliierte geführt, der sich nun als Treiber für eine bis vor kurzem kaum vorstellbare Kooperation im Verteidigungsbereich erweist.
Nicht übermütig werden
Das Projekt ist politisch, industriell und strategisch zum Erfolg verurteilt, weil „too big to fail“. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn die Risiken sind vielfältig. Mit einigen muss man leben: Hier wird komplett neues Kampfflugzeug entworfen, nicht das Interieur eines Autos. Forschung und Entwicklung bergen immer Überraschungen und Rückschläge. Dies ist der Preis für europäische Eigenständigkeit.
Zudem ist die Geschichte deutsch-französischer Rüstungskooperation bislang leider auch die eines Scheiterns. Gründe waren kurzfristige, nationale Industrieinteressen, der Kampf um Standorte, oder die Überzeugung, die eigenen Soldaten könnten nur mit heimischem Material kämpfen. Die Folge ist die derzeitige Kleinstaaterei in der Verteidigungspolitik. Dieses europäische Projekt ist aber groß genug, um die nationalen Kirchtürme kleiner werden zu lassen. In den ersten 30 Jahren werden Deutschland und Frankreich gemeinsam ca. 60 bis 80 Mrd. Euro ausgeben und setzen damit Anreize für die Industrie, nicht kleinen nationalen Projekten nachzujagen sondern an diesem großen transnationalen teilzunehmen.
Und wie die Erfahrung europäischer Rüstungsprojekte wie der A400M zeigt, hat auch die Industrie in der jüngsten Vergangenheit nicht immer mit Qualität, Kostenstabilität und Pünktlichkeit überzeugt. Hier gilt es, Vertrauen zwischen Regierungen und Unternehmen schnell und dann auf Dauer wieder herzustellen.
Für eine verantwortliche Rüstungspolitik
Die politische und wirtschaftliche Bedeutung des Rüstungsprojekts wird sich nur dann voll entfalten, wenn sich weitere Partner beteiligen. Denkbar wäre eine Kooperation mit Spanien, vielleicht auch mit Schweden oder sicherheitspolitischen Partnern wie Japan. Eine wichtige Voraussetzung muss Berlin dafür allerdings noch schaffen: es muss einen verlässlichen innerdeutschen Konsens darüber herstellen, wie es in Zukunft verantwortungsvoll mit Rüstung umgehen will. Ohne verlässliche Rüstungspolitik wird es keine europäische Verteidigungspolitik, die nahezu alle politische Parteien in Deutschland als Ziel beschwören, geben. Eine Kooperation mit Frankreich oder anderen Europäern setzt klare Aussagen hinsichtlich deutscher Beiträge in der Rüstung voraus. Und weil Rüstungsunternehmen nur dank der Exporte außerhalb Europas überleben, gehört das Thema einer gemeinsamen Export-Praxis für Rüstungsexporte auf die Agenda der nächsten Bundesregierung.