Kommentar

10. März 2011

Zähne zeigen und verhandeln in Libyen

Die Gewalt in Libyen eskaliert und Europa diskutiert. Was sollen Europäer und Amerikaner angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände, versiegenden Öllieferungen und ansteigenden Flüchtlingszahlen tun? Es liegt im Interesse der EU, rasch einen friedlichen Übergang herbeizuführen. Dazu ist mit allen Akteuren des Landes zu verhandeln und eine militärische Drohkulisse zu errichten.

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EU-Interessen als Leitplanken

Oft ist zu hören, Europa komme eine besondere Verantwortung zu, die Rebellen zu unterstützen, weil es mit dem Gaddafi-Regime zusammengearbeitet habe. Diese Argumentation ist gefährlich, denn sie konstruiert Verpflichtungen, wo keine sind. Die EU macht sich nicht allein durch die Zusammenarbeit mit Despoten verantwortlich. Wirtschafts-, Energie- und Stabilitätsinteressen lassen die Kooperation mit Unterdrückern oder schlechten Demokraten oftmals sinnvoll erscheinen. Eine gewisse Anerkennung der jeweiligen Führer ist dafür unumgänglich. Diese war, im Fall Muammar Gaddafis, zudem eine Belohnung für dessen Verzicht auf ein Nuklearwaffenprogramm.

Europa muss sich aber im Umgang mit Libyen vor allem seine Interessen bewusst machen. Die Europäer brauchen im Energiebereich Handelspartner und stabile Bedingungen für Investitionen. Für die Deutschen ist nicht nur der Ölpreis eine wichtige Größe, wir beziehen auch 8,5 Prozent unserer Ölimporte aus Libyen (über die Spotmärkte). Auch hat sich die EU die Diversifizierung ihrer Energieeinfuhren zum Ziel gesetzt. Der Umsturz im Nachbarland darf auch kein politisches Biotop für gewaltbereiten Islamismus schaffen oder Ausgangspunkt unkontrollierter Migrationsbewegungen sein. Nicht zuletzt benötigt Europa funktionierende Regierungsorgane und Ansprechpartner für die Entwicklungszusammenarbeit.

Klar ist also, dass ein schneller und friedlicher Übergang im Interesse der Europäer liegt. Ein langanhaltender Bürgerkrieg oder eine politische Spaltung des Landes wäre verheerend. Einige der diskutierten Maßnahmen, wie eine Flugverbotszone, würden aber genau das bewirken.

Abwarten und wieder gemeinsam Tee trinken?

Europa und die USA könnten abwarten, ob Gaddafi die Oberhand gewinnt: Eine Zusammenarbeit mit einem Regime unter seiner Kontrolle ist schwer geworden, aber nicht unmöglich. Seien wir ehrlich: Es ist wahrscheinlich dass die Europäer, wenn die USA nichts unternehmen, einfach abwarten werden, wer in der Auseinandersetzung übrig bleibt und dann versuchen, die Partnerschaft wieder aufzunehmen. Wenn der Sieger Gaddafi heißt, wird eine Karenzzeit mit Embargos vergehen, bis der Diktator auf natürlichem Wege abtritt.

Neustart aushandeln und Gaddafi in die Wüste schicken

Es ginge auch anders: Europa sollte sich dafür einsetzen, dass Wandel durch Verhandlung zwischen dem bestehenden Regime und den sich formierenden Oppositionellen zustande kommt. Allerdings müsste dafür Gaddafi abtreten und die Macht einem neuen Kandidaten übergeben, der den Übergang begleitet. Sein Sohn Saif al-Islam al Gaddafi disqualifiziert sich gerade für diese Funktion, er müsste sich erst als reformwilliger Nachwuchs neu erfinden. Ist der verrückte Oberst im Exil, könnte Europa ohne Gesichtsverlust alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. In diesem Prozess sollten die Vereinten Nationen oder die Arabische Liga die Schirmherrschaft übernehmen. Solch einen Wandel in Libyen gibt es aber nicht für gute Worte. Militärische Mittel werden dabei eine Rolle spielen müssen.

Zähne zeigen

Die Bewaffnung der Aufständischen ist keinesfalls die erste Wahl. Sie dürfte erst nach einer genauen Prüfung erfolgen, wer dort die verantwortlichen Akteure sind. Zudem ist es mit Waffen nicht getan. Unterstützung bei Kommunikation, Führung, Logistik und Ausbildung müsste mitgeliefert werden – kurz: eine direkte Beteiligung am Krieg. Die USA könnten so etwas, die Europäer weniger.

Auch eine Flugverbotszone würde den Konflikt kaum beenden, sondern in die Länge ziehen. Sie könnte nichts gegen Gaddafis Bodenüberlegenheit ausrichten, mit der dieser die schlecht organisierten Aufständischen angeht. Die aufwändige Mission würde mit der Ausschaltung der libyschen Luftabwehr beginnen. Die NATO müsste in Libyen eine Zone etwa nördlich des 29 Breitengrades einrichten, um die größeren Städte zu schützen. Damit wäre ein Gebiet zu überwachen, das wohl dreimal so groß ist wie die Zone, die Amerikaner und Briten im Irak über zwölf Jahre ohne Erfolg freizuhalten versuchten.

Militärischer und wirtschaftlicher Druck auf Gaddafi selbst ist sinnvoller. Um eine Feuereinstellung, Gaddafis Rücktritt und eine Regierungsumbildung mit dem Ziel nachhaltiger Reformen durchzusetzen, müssten Amerikaner und Europäer den Tyrannen selbst ins Visier nehmen. Deutschlands Vorsicht ist verständlich, vielleicht genügt es aber, sich nicht den Franzosen oder Amerikanern in den Weg zu stellen oder den ohnehin schwierigen Konsens in der NATO zu blockieren. Ein klarer Forderungskatalog – Rücktritt, Amnestie für die Opposition, Reformprozess – in Verbindungen mit glaubwürdigen Drohungen könnte die Kalkulation des Psychopathen verändern. Dazu würde eine militärische Präsenz im Mittelmeer und die Blockade bestimmter Häfen ebenso gehören wie Überflüge und Warnangriffe aus der Luft und von See auf Gaddafis Hauptquartiere. Das müsste nun allerdings schnell geschehen, gegebenenfalls auch ohne ein UN-Mandat.

Bibliografische Angaben

Riecke, Henning. “Zähne zeigen und verhandeln in Libyen.” March 2011.

DGAPstandpunkt 3, 11. März 2011, 2 S.

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