Policy Brief

30. Sep 2020

Vorschläge für eine neue deutsche Rüstungspolitik

Über die Corona-Krise zur Neuausrichtung
ampfflugzeug Eurofighter Typhoon der Bundeswehr im Rahmen der Uebung SNAP 2020

Durch die COVID-19-Krise beschleunigen sich negative Trends in der Rüstungsindustrie und dem Rüstungsgüterhandel. Sie erhalten eine gefährliche Qualität für die industrielle und technologische Basis in Deutschland und Europa. Ohne eine aktive, konsolidierte und strategisch orientierte deutsche Rüstungspolitik droht erheblicher Schaden für die zukünftige Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und ihrer Verbündeten.

  • Deutschlands Rüstung ist schlecht organisiert:  kurzfristige Finanzierungsinstrumente, widersprüchliche Beschaffungsvorgaben und die Fragmentierung der Zuständigkeiten zwischen Ministerien erschweren die effektive Ausrüstung der Streitkräfte. Die Probleme belasten auch internationale Kooperationen.
  • Die COVID-19-Pandemie lässt den Druck auf die Rüstungsorganisation weiter steigen: Deutschlands Partner verändern ihr Ausgabeverhalten. Ohnehin geht der Trend zur Renationalisierung der Beschaffungen und zu härterem Wettbewerb auf dem Weltmarkt.
  • Die Bundesregierung sollte rasch erste Elemente einer neuen Rüstungsorganisation beschließen. Dazu gehören die Verständigung mit dem Parlament über Grundprinzipen der Rüstung, ein gesetzlich gesicherter, mehrjähriger Finanzierungsrahmen für zentrale Rüstungsvorhaben sowie eine Beschaffungsstrategie.

Anmerkungen: Die Online-Version des Textes enthält keine Fußnoten. Um die Fußnoten zu sehen, laden Sie bitte hier die PDF-Version herunter.

 

Der deutsche Rüstungssektor: chronische Probleme, akuter Handlungsdruck

Deutschland war schon vor der COVID-19-Pandemie unzureichend auf die Entwicklungen und anstehenden Entscheidungen in der Rüstungspolitik vorbereitet. Zwar hat die Bundesregierung Impulse zur Weiterentwicklung gesetzt, etwa mit ihrem Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie1, mit der Agenda Rüstung und der angestoßenen Trendwende im Rüstungsbereich. Dennoch geben die Dokumente und Ansätze keine ausreichend genauen und klaren Antworten auf die strategisch-politischen Fragen.

Im Bereich der Rüstungsorganisation führt dieser Mangel schon seit Ende des Kalten Krieges zu Problemen. Diese wurden in der Zeit der Sparzwänge und des Abbaus der Bundeswehr nicht weithin sichtbar – altes Material wurde kannibalisiert, und die Verzögerungen bei neuen Projekten erschienen unwichtig. Doch seit 2014 ist durch die Rückbesinnung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung der Bedarf der Streitkräfte in allen Bereichen sprunghaft gestiegen. Seither werden auch die Defizite schmerzhaft sichtbar.

Drei Faktoren sind hauptverantwortlich für die Probleme der Rüstungsorganisation: der kurzfristige Finanzierungsrahmen für langfristige Rüstungsprojekte, widersprüchliche politisch-rechtliche Vorgaben, soweit es um die Abwägung zwischen Wettbewerb und dem Schutz nationaler Schlüsseltechnologien und Anbieter geht, sowie die Fragmentierung der politischen Zuständigkeiten zwischen Ministerien.

Unterdessen wird die internationale Dimension für die Rüstung immer wichtiger, sodass deutsche Probleme in das internationale Umfeld ausstrahlen. Deutschland hat eine starke Position im internationalen Rüstungsgeflecht: Es verfügt über eine fähige Industrie, eine politische Präferenz für Kooperationsprojekte und über einen großen Verteidigungshaushalt, der dank der Stärke der deutschen Volkswirtschaft auch langfristig Bestand haben kann. Dennoch schafft Deutschland es nicht, diese guten Voraussetzungen in effektive Rüstungspolitik umzusetzen. 

Handel und Produktion globalisieren sich auch im Rüstungssektor. Damit wächst die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Rüstungsexporten und Lieferketten. Im Jahr 2013 waren die EU-Staaten bei 19 der 39 für die Rüstungsindustrie wichtigen Rohstoffe vollständig von Importen abhängig. Bei fast drei Vierteln dieser Rohstoffe überstieg der Importanteil 50 Prozent. Zudem setzt Deutschland, wie Tabelle 1 zeigt, für die Mehrzahl seiner zentralen Rüstungsvorhaben auf Kooperationen vor allem mit Frankreich. Doch stoßen hier unterschiedliche Beschaffungssysteme aufeinander. Der in Deutschland politisch präferierte internationale Rahmen, die EU, steckt in Rüstungsfragen immer noch in den Kinderschuhen.

 

Tabelle 1: Wichtige Beschaffungsprojekte der Bundeswehr

Lfd. Nr.

Projekt

Kooperationsrahmen

1

Future Combat Air System (FCAS)

trinational mit Frankreich, Spanien

2

Main Ground Combat System (MGCS)

binational mit Frankreich

3

Seefernaufklärer

binational mit Frankreich

4

U-Boote

binational mit Norwegen

5

Schwerer Transporthubschrauber

Import

6

Transportflugzeug C-130 Hercules

Import

7

Ersatz Eurofighter Tranche 1

Multinational

8

Marinehubschrauber

Multinational

9

Taktisches Luftverteidigungssystem

Multinational

10

Kampfhubschrauber Tiger

Multinational

11

Transporthubschrauber NH90

Multinational

12

Transportflugzeug A400M

Multinational

13

Eurodrohne

Multinational

14

Nachfolge Kampfflugzeug Tornado

Multinational/Import

15

Mehrzweckkampfschiff 180

Multinational/National

16

Flottendienstboote

National

17

Korvette K130 2/3. Los

National

18

Fregatte F125

National

19

Schützenpanzer Puma

National

20

PEGASUS – fliegende Signalaufklärung

National/Import

Quelle: Zusammenstellung der Autoren

Diese Rüstungsorganisation gerät durch die COVID-19-Pandemie kurzfristig unter Druck. Zentral dafür sind Veränderungen im Ausgabeverhalten von Partnern, Renationalisierungsbestrebungen in Europa und härtere Kämpfe auf dem Weltmarkt.

All dies vergrößert den Handlungsdruck. Zugleich wächst die Gefahr, durch Fehlentscheidungen dem deutschen Rüstungssektor und damit der Einsatzbereitschaft und zukünftigen Ausrüstung der Bundeswehr Schaden zuzufügen.

Deutschlands dysfunktionale Rüstungsorganisation

Finanzierung ohne Vertrauen

Der Finanzierungsprozess für Rüstungsgüter kann sich bisher nicht auf eine gesetzliche Bindung stützen. Zudem sind die Planungshorizonte kurz. Angesichts der langen Entstehungszeit von Rüstungsprojekten verunsichert dies Industrie, Bundeswehr und Partner gleichermaßen. Im Schnitt braucht es bei komplexeren Projekten zwölf Jahre von der Entwicklung eines Prototyps bis zum ersten Seriengerät. Projekte, die je nach Kassenlage oder Entwicklungsproblemen mal auf Hochtouren und mal auf Sparflamme laufen, vernichten Steuergelder. Ein konstanter Investitionshaushalt ist entscheidend, denn Finanzierungssicherheit bedeutet Planungssicherheit. Diese notwendige Sicherheit für eigene Projekte und Kooperationen über zwei oder drei Legislaturperioden hinweg stellt Deutschland mit dem derzeitigen Instrumentarium von mehrjährigen Verpflichtungsermächtigungen und Eckwertebeschlüssen nicht her.

Der geplante Bundeshaushalt 2021 wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Das veranschlagte Investitionsbudget für die nächsten Jahre soll sinken, was die kontinuierliche, angemessene Finanzierung geplanter Projekte gefährdet. Zwar hat die Exekutive im März dieses Jahres mit dem Eckwertebeschluss versucht, nicht nur den Grundbedarf des Verteidigungshaushaltes, sondern auch die Finanzierung „wesentlicher Großvorhaben“ der Bundeswehr über Jahre hinweg sicherzustellen. Dies kann aber über die jährlichen Haushaltbeschlüsse des Parlamentes und die mittelfristige Finanzplanung der Gesamtregierung, die auch jährlich angepasst wird, ausgehebelt werden.

Wettbewerb und Technologieerhalt

Fast jede Beschaffung hat einen primär militärischen Grund. Doch durch die Wahl des Vergabeverfahrens kann der Staat entscheiden, welche weiteren Ziele er verfolgt.  Kosteneffizienz lässt sich am ehesten über Wettbewerb bei der Beschaffung erreichen. Steht der Erhalt der Versorgungssicherheit und des militärtechnologischen Vorsprungs im Vordergrund, der für die zukünftige Ausrüstung deutscher und europäischer Streitkräfte wichtig ist, ist es besser, den Wettbewerb einzuschränken oder Aufträge direkt zu vergeben.

Die zuständige Behörde, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), erhält jedoch nicht immer klare politische Signale: Einerseits wurde die Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) geschaffen, um den Wettbewerb der Bieter innerhalb Europas zu intensivieren. Andererseits soll so die Konsolidierung dieser Industrie vorangetrieben werden, was dann aber wieder den Bieterwettbewerb einschränkt. Das oben erwähnte Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit erleichtert zwar Ausnahmen vom europäischen Wettbewerb für Schlüsseltechnologien. Es bleibt aber unklar, ob Wettbewerb auf nationaler Ebene wünschenswert oder sogar erforderlich ist.

Fragmentierung der Zuständigkeiten

Das dritte Problem ist, dass es Deutschland an einer national koordinierten Rüstungspolitik fehlt. Dies liegt an der Überzahl von Akteuren, der Fragmentierung von Zuständigkeiten, unausgefüllter Verantwortung und an dem Mangel an ressortübergreifender Abstimmung.

Rüstung umfasst als komplexes Politikfeld sicherheitspolitische, verteidigungspolitische und militärstrategische, aber auch wirtschaftliche und technologische Fragen. Entscheidungen in einem Segment haben unweigerlich Folgen für die anderen Bereiche. Kohärente Antworten in Form einer Strategie, die all diese Interaktionen abbildet, Folgen abwägt und darauf aufbauend Prioritäten identifiziert, gibt es nicht. Ohne solche inhaltlich-strategischen Leitlinien fehlt auch die Richtung für eine angemessene Ordnung der Institutionen und Prozesse, die der Rüstung dienen.

Zudem lassen sich die Bereiche nicht einfach einem einzigen Ministerium zuordnen: Das Bundesverteidigungsministerium betont, dass es mit militärstrategisch begründeten Beschaffungsentscheidungen keine Industriepolitik betreibt. Einfluss haben das Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt, weil sie über Rüstungsgüterexporte und- Kooperationen mitentscheiden. Das Auswärtige Amt ist in der Sicherheitspolitik federführend, hat aber bis heute keine offizielle strategische Einordnung der sicherheits- und allianzpolitischen Bedeutung von Rüstungsexporten und -kooperationen vorgelegt. Schließlich hat der Bundestag bei Rüstungsprojekten, im Gegensatz zu anderen öffentlichen Beschaffungen, ein erhebliches Mitspracherecht. Er beschließt auch die gesetzlichen Regeln für die Beschaffung und trägt so einen Teil der Verantwortung für die Ineffizienzen der deutschen Rüstungsorganisation.

Diese Fragmentierung schwächt die deutsche Position gegenüber militärischen Partnern in gemeinsamen Rüstungsprojekten und bei Exporten erheblich. Zudem verzögert sie große Kooperationsprojekte und verschlechtert deren Image.

COVID-19: Beschleunigung globaler Trends

Zu dem Mangel an Koordination in der deutschen Rüstungs- und Beschaffungspolitik kommen nun noch die Folgen der COVID-19-Pandemie hinzu. Sie beschleunigen globale Trends, die zur Gefahr für die industrielle und technologische Basis in Deutschland und Europa werden. Veränderungen im Ausgabeverhalten von Partnern, Renationalisierungsbestrebungen in Europa und der immer härtere Wettbewerb auf dem Weltmarkt erschweren politische Kooperationsinitiativen und Exporte.

Fluktuierende Verteidigungshaushalte gefährden internationale Projekte

Die COVID-19-Pandemie hat Folgen für die Verteidigungsetats. Je nach ihrer Bedrohungswahrnehmung, vor allem aber ihrer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, passen die Partner in Europa ebenso wie außereuropäische Kunden ihre Verteidigungsausgaben an. In Europa zeigt sich eine Ausdifferenzierung bereits seit 2014, doch wird sie sich nun voraussichtlich verschärfen. Für kapital- und technologieintensive Kooperationsprojekte ist Deutschland auf andere große Partner wie Frankreich und Großbritannien angewiesen. Wenn diese finanziell unter Druck geraten und bei Kooperationsprojekten sparen, die Deutschland finanziell oder industriell nicht allein weiterführen kann, ist die Ausrüstung der Bundeswehr mit solchem Gerät gefährdet. Bei südeuropäischen Partnern wie Spanien oder Italien, die von der Pandemie besonders hart getroffen wurden, wird der Druck auf die Verteidigungshaushalte ohnehin größer sein, was sowohl Rüstungskooperationen als auch -importe unwahrscheinlicher macht. Dagegen werden Verbündete in Zentral- und Osteuropa ihre Ausgaben wahrscheinlich stabil halten oder gar weiter steigern. Ihre Budgetvolumina sind aber zu klein, um gemeinsame Großprojekte zu ermöglichen. Auch über Europa hinaus könnten Exportumsätze für die Industrie wegbrechen. Dies könnte die Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen und ihre weitere Teilnahme am Markt gefährden.

Renationalisierung von Beschaffungen

Auch wenn Europa in den letzten Jahren neue europäische Verteidigungsinitiativen feierte, vollzog sich im Hintergrund eine Renationalisierung der Rüstungspolitik. Die Konkurrenz der beiden neuen Programme für Kampfflugzeuge – Future Combat Air System (FCAS) (deutsch-französisch-spanisch) und Tempest (britisch-italienisch-schwedisch) – ist die kostspieligste Manifestation dieses Trends. Die Krise macht es nun politisch noch attraktiver, Steuergelder im eigenen Land auszugeben. Auch Deutschland ist von dem Trend zur Renationalisierung nicht ausgenommen: Erst dieses Jahr erweiterte es seine Definition von nationalen Schlüsseltechnologien im Vergleich zu 2015 und verabschiedete ein Gesetz, das Beschaffungen ohne europäische Ausschreibung vereinfacht.

Kooperationen und Exporte leiden

Die deutsche Rüstungsindustrie verdient einen relevanten Teil ihrer Erträge mit Exporten. Indirekt hängt auch die Bundeswehr von diesen Exporten ab, weil sie das wirtschaftliche Überleben von deutschen Produzenten und ihren Technologien sichern. Zudem ermöglichen sie Kooperationen, die von Staaten ohne Rüstungsindustrie nicht geleistet werden können.

Spätestens seit der Finanzkrise 2009 hat sich der Wettbewerb auf dem globalen Rüstungsmarkt verschärft. Die COVID-19-Pandemie könnte die Nachfrage sinken lassen; zudem nehmen protektionistische Tendenzen zu. Anders als nach der letzten Finanzkrise wird die deutsche Industrie den globalen Export deswegen nicht zur Kompensation der geringeren europäischen Nachfrage nutzen können. Erschwerend wirkt sich aus, dass große Teile der deutschen Öffentlichkeit Exporte immer heftiger ablehnen, u.a. ausgelöst durch die Diskussion um die Rolle deutscher Rüstungsprodukte im Jemen-Konflikt.

Gleichzeitig werden neue Rüstungsexporteure wie Südkorea, Israel, Türkei oder China aggressiv am Markt auftreten, um die eigene Industrie mit Exporten zu stützen. Das veranlasst dann auch etablierte Akteure wie die USA, ihr Exportverhalten zu ändern, um bestehende Marktanteile zu halten, und verschärft die internationale Konkurrenz um Aufträge.

Hinzu kommt, dass der technische Vorsprung der Europäer schwindet, der hauptsächlich auf den hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben in der Spätphase des Kalten Krieges beruhte. Gerade zu Beginn einer technologischen Entwicklung ist die Verzögerung zwischen Investition und Ergebnis besonders groß und macht eine stetige Finanzierung erforderlich. Für andere Länder machen sich die kontinuierlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung nun bezahlt; ihre technologischen und industriellen Fähigkeiten verbessern sich. Länder wie Japan betreiben zudem eine offenere Exportpolitik.

Gefahren für zentrale Beschaffungsprojekte

Die Notwendigkeit von Kooperationen nimmt durch die skizzierten Trends weiter zu. Kein europäisches Land kann die für komplexere Rüstungsprojekte notwendigen finanziellen, industriellen und technologischen Mittel noch alleine aufbringen. Wenn Deutschland aber auf europäischer Ebene nicht als in vollem Umfang handlungsfähiger Partner antritt, gerät es nicht nur in eine schwächere Verhandlungsposition, was die Technologie- und Arbeitsverteilung in gemeinsamen Projekten angeht. Durch das schlechte politische Image der Rüstungskooperation gefährdet es auch die Zusammenarbeit mit den Partnern.

Sinnbildlich dafür stehen die beiden größten Rüstungskooperationsprojekte Deutschlands: das FCAS mit Frankreich und Spanien sowie das Main Ground Combat System (MGCS) mit Frankreich. In beiden Fällen sind deutsche Politik und Industrie besorgt, aufgrund ihrer fehlenden Geschlossenheit gegenüber Frankreich ins Hintertreffen zu geraten, z.B. was die Eigentumsrechte und damit die zukünftige Nutzung der in den Projekten erarbeiteten Technologien angeht. Die entstehende Frustration auf deutscher Seite sowie die Irritationen auf französischer Seite über z.B. die kurzfristigen Finanzierungsschritte Deutschlands bedrohen solche notwendigen Kooperationsprojekte.

Auf der anderen Seite ist Deutschland in den letzten Jahren dank seines steigenden Haushalts und seiner multinationalen Fähigkeitsplanung, vor allem im Rahmen des Framework Nation Concepts (FNC) der NATO, zum zentralen Kooperationspartner seiner Nachbarn im Norden und Osten geworden. Diese Staaten haben erheblichen Nachholbedarf bei der Modernisierung ihres militärischen Geräts, wurden bislang von der COVID-19-Krise weniger stark belastet sind als z.B. die südlichen Europäer und wollen sie angesichts der Bedrohung durch Russland ihre Verteidigungsausgaben stabil halten. Das alles macht sie zu idealen Kooperationspartnern für Deutschland.

Für Kooperationsprojekte, die nicht sonderlich kapitalintensiv sind oder keine Technologieführerschaft erfordern, bieten sich hier hervorragende Optionen. Die Kooperation mit Norwegen zum Bau neuer U-Boote trifft es sehr gut: Mit einem eher kleinen Partner wird, basierend auf den jeweiligen industriellen Stärken der Länder und bestehenden Technologien, gemeinsam gerüstet und Geld gespart.

Schritte zur Konsolidierung der deutschen Rüstungspolitik

Deutschland benötigt eine Rüstungsstrategie, die inhaltliche Antworten auf die Frage gibt, welche Rolle die Rüstung in der Sicherheitspolitik der Bundesregierung spielen soll. Eine solche Strategie wird es allerdings erst mittelfristig geben können. Um auf die kurzfristig wachsenden Risiken in der Rüstungsorganisation zu reagieren, ohne durch Vorfestlegungen Chancen zu vereiteln, können die folgenden Maßnahmen helfen:

Rüstungsmonitoring: Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) sollte eine Planungszelle für europäische Planung und Rüstung schaffen. Weil eine funktionierende Rüstungsorganisation Deutschlands stark vom internationalen Umfeld (Projekte, Exporte, Lieferketten) abhängt, sollte die Regierung diese Entwicklungen im Blick haben. Auch muss sie auf die rasch näher rückenden Folgen der COVID-19-Krise schnell reagieren können. Ein Planungszelle kann kurzfristig, unter begründetem Einbezug der Unternehmen, eine präzise Analyse der internationalen Lage und Entwicklungsszenarien liefern. Das Ministerium kann diese Informationen mit seiner bestehenden Planung abgleichen und präventive bzw. reaktive Optionen entwerfen. Sollte der Bundessicherheitsrat (s.u.) bis dahin ertüchtigt sein, sollte diese Zelle dort angesiedelt werden oder dem Rat wenigstens zuarbeiten.

Stärkung des Bundessicherheitsrat, Einrichtung einer Rüstungszelle: Zur Verbesserung der ressortübergreifenden Rüstungspolitik sollten die Potenziale des Bundessicherheitsrates ausgeschöpft werden. Dieses Gremiums hat das Mandat, die dringend erforderliche Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den sicherheitspolitischen Akteuren der Bundesregierung zu leisten. Dafür müsste es aber entsprechend seiner ursprünglichen Funktion zum Kontroll– und Koordinationsgremium für Sicherheitspolitik ertüchtigt werden, etwa zu einem Querschnittsministerium mit stärkerem bürokratischem Unterbau und einem eigenen Staatsminister. Hier sollte unter anderem eine Arbeitseinheit zur Rüstung eingerichtet werden. Der Staatsminister sollte Kompetenzen erhalten, die eine effektive Koordinierung erlauben.

Einbindung des Bundestags in die langfristige Planung: Das Verteidigungsministerium sollte seine langfristige sicherheitspolitische Planung und den daraus abgeleiteten Fähigkeitsbedarf mindestens einmal im Jahr mit dem Parlament diskutieren. So kann schrittweise das Verständnis für die Bedürfnisse des Ministeriums und das Vertrauen in seine Arbeitsweise reifen.

Bundeswehrbefähigungsgesetz: Auf der Grundlage dieses gemeinsamen Verständnisses über die wesentlichen Koordinaten der sicherheitspolitischen und rüstungspolitischen Entwicklung könnte das Parlament ein Bundeswehrbefähigungsgesetz beschließen. Diesem Rahmengesetz würden dann jeweils aktualisierte Bedarfspläne mit den strukturrelevanten Projekten als Anlagen beigefügt werden. Das Gesetz und seine Anlagen würden anderen mehrjährigen Planungsinstrumenten wie dem Bundesverkehrswegeplan ähneln und eine gewisse Sicherheit über zwei oder drei Legislaturperioden hinweg bieten. Dies wäre ein wichtiges politisches Signal an Bundeswehr, Industrie und europäische Partner. Wichtig ist, dass das Parlament im Zuge dieser Konsensfindung mit der Regierung nicht kooptiert wird und seine Kontrollfunktion weiterhin wahrnehmen kann.

Beschaffungsstrategie: Hinzu sollte eine vom Bundesssicherheitsrat zu erarbeitende Beschaffungsstrategie als “Scharnier“ zwischen allgemeinen rüstungspolitischen Zielsetzungen und konkreter Vergabeentscheidung zum Einsatz kommen. Angesichts der jeder Beschaffung inhärenten politischen Zielkonflikte würde sie Prioritäten setzen und die operative Beschaffungsebene anleiten. Damit würde sie dann auch der Rüstungsindustriepolitik bei der Abwägung zwischen Wettbewerb und Anbieterschutz helfen. Die Beschaffungsstrategie sollte zudem Empfehlungen zu Vereinfachungen und Verbesserungen des Beschaffungsprozesses umfassen.

Strategische Großprojekte: Für kapital- und technologieintensive Projekte bleibt die Kooperation auf Augenhöhe mit großen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien unerlässlich. Ein deutsches Signal über die Verstetigung der deutschen Verpflichtung sowie ein geschlossenes deutsches Auftreten würde Ängste auf Seiten Deutschlands wie der Partner ausräumen und die Erfolgsaussichten von strategisch wichtigen Projekten erhöhen. Hier wird man allerdings ohne eine inhaltliche Bestimmung der Rüstungspolitik keine angemessenen Antworten geben können.

Rüstungsindustrielle Rahmennation: Deutschland könnte seinen engsten militärischen Partnern anbieten, nicht nur im Bereich der militärischen Strukturen, sondern auch der rüstungsindustriellen Basis ein starker Anlehnungspartner zu sein. Dies könnte der weiteren Renationalisierung im Verteidigungsbereich in Europa entgegenwirken und die industrielle Abhängigkeit von Importen aus der übrigen Welt reduzieren. Auf diese Weise würde Deutschland helfen, eine leistungsfähige verteidigungstechnologische und -industrielle Basis auf europäischer Ebene zu erhalten. Je schneller dieser Schritt geschieht, umso eher können so die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf den verteidigungsindustriellen Bereich gedämpft werden.

Die Kooperation mit Ungarn ist ein erster Schritt in diese Richtung. Andere Länder wie die baltischen Staaten oder die übrigen Visegrad-Staaten könnten folgen. Hier gibt es Interesse daran, sich auch industriell auf Deutschland zu stützen. In einem solchen Ansatz würden die Partner gemeinsam ihre Beschaffung und Neuentwicklung planen. Deutschland würde und könnte so die Verfügbarkeit von Schlüsseltechnologien nicht nur national, sondern auch für europäische Partner sicherstellen. Innenpolitisch sollte eine Rüstungspolitik, die die engsten Partner in EU und NATO unterstützt, nicht kontrovers sein.

Notwendige Folgearbeiten: Die skizzierten Vorhaben können eine Antwort auf die Frage, welche Rolle Rüstung in der Sicherheitspolitik spielt und wie diese Rolle ausgefüllt werden kann, nicht ersetzen. Hierüber sollten die betroffenen Akteure, also Ministerien, Kanzleramt und Fraktionen rasch in einen Dialog treten, um das Feld dafür zu bereiten. Mehr Zeit darf sich Deutschland sich angesichts der besorgniserregenden und durch die Pandemie noch beschleunigten Trends nicht zugestehen.

Bibliografische Angaben

Mölling, Christian, and Torben Schütz. “Vorschläge für eine neue deutsche Rüstungspolitik.” September 2020.

DGAP Policy Brief Nr. 23, 30. September 2020, 8 S.

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