01. Nov. 2024

Vordenker der integrierten Sicherheit: Karl Kaisers Blick auf Klimafolgen

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Zu Beginn der 1990er Jahre wurde immer deutlicher, dass die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen erhebliche Risiken mit sich bringt. Wenige im außen- und sicherheitspolitischen Diskurs jener Zeit hatten dabei Karl Kaisers Weitsicht und begriffen die Bedrohlichkeit und den daraus resultierenden Handlungsdruck.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion stellten sich zu Beginn der 1990er Jahre zahlreiche Fragen zur zukünftigen Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur. Es war eine Zeit immenser Umbrüche, die Europa vor große Herausforderungen stellte. Dass sich Karl Kaiser – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen – bereits damals mit den Auswirkungen der Erderwärmung beschäftigte und damit über den traditionellen sicherheitspolitischen Tellerrand hinausblickte, zeugt von Weitsicht.

In aller Deutlichkeit ordnete er die weltweite Erwärmung als globale Herausforderung ein, die die internationale Stabilität gefährde. Mehr noch, er nannte politisches Handeln zu deren Eindämmung gar „eine Sache des langfristigen Überlebens“. Damit ist sein Zitat aktueller denn je. Mittlerweile erkennen Regierungen vielerorts die sicherheitspolitischen Risiken des Klimawandels als Bedrohung für Stabilität und Frieden an. Und auch, dass diese Risiken nicht isoliert betrachtet werden können. Eine Erkenntnis, die nicht zuletzt auf den geopolitischen Verschiebungen der letzten Jahre beruht. So nutzte die Bundesregierung 2023 in ihrer ersten Nationalen Sicherheitsstrategie den Begriff der „integrierten Sicherheit“ als Rahmen, der sowohl traditionelle als auch nicht-traditionelle Sicherheitsrisiken umfasst und als miteinander in Verbindung versteht. Darin heißt es: „Weil neue Bedrohungen komplex sind und alle Bereiche von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft treffen, spannen wir unsere Sicherheitspolitik „integriert“ über all diese Bereiche.“ Und weiter: „Unser internationales und sicherheitspolitisches Umfeld wird multipolarer und instabiler und zunehmend geprägt von der existentiellen Bedrohung der Klimakrise.“ 

Früh erkannte Kaiser den Klimawandel als globale Gefahr

Kaisers einfangs aufgeführtes Zitat entstammt einem Beitrag im Europa-Archiv, dem Vorgänger der Zeitschrift „Internationale Politik“, in dem er 1992 die Veränderungen jener Zeit analysierte und mögliche künftige Bedrohungslagen darstellte. Damals zählten nur wenige im sicherheitspolitischen Diskurs die Eindämmung schädlicher Emissionen zur Krisenprävention. Dabei nahmen gerade in diesen Jahren die wissenschaftlichen Belege für die negativen Folgen des menschlichen Eingreifens in das Erdsystem zu. So brachte der Weltklimarat IPCC 1990 seinen ersten Sachstandsbericht heraus und legte damit den Grundstein für die wissenschaftliche Konsensbildung zu den zahlreichen globalen Folgen des Klimawandels. Nur zwei Jahre später wurde 1992 die Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) mit dem Ziel verabschiedet, die Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre so zu stabilisieren, dass „Ökosysteme [sich] auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann“. Unterzeichnet wurde die Konvention im selben Jahr von mehr als 150 Staaten auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, besser bekannt als Erdgipfel oder Rio-Konferenz.

Wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges war die Rio-Konferenz ein Bekenntnis der Weltgemeinschaft zur internationalen Zusammenarbeit: ein Bemühen, neue und gerechte Wege für eine nachhaltige Entwicklung zum Wohle aller Menschen zu gestalten. Ein Meilenstein dabei war die Anerkennung der Industriestaaten, dass sie eine größere Verantwortung für die Verschlechterung der globalen Umweltbedingungen als die Entwicklungsländer tragen und somit auch eine größere Verantwortung haben, diese anzugehen. Dieses Prinzip der „common but differentiated responsibilities“ findet sich auch in der Klimarahmenkonvention, ergänzt um den Zusatz „and respective capabilities“. Bis heute ist das Prinzip eine wichtige Verhandlungsgrundlage bei den jährlichen Weltklimakonferenzen, auf denen sich die Unterzeichnerstaaten der Klimarahmenkonvention treffen. Die erste dieser „Conference of the Parties“ (COP) fand 1995 in Berlin unter der Präsidentschaft der damaligen Umweltministerin Angela Merkel statt.

Die Entwicklungen zu Beginn der 1990er Jahre zeigen, dass schon vor 30 Jahren klar war, dass unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen erhebliche Risiken mit sich brachte. Eine „weltweit ökologische Verschlechterung“ erkannte Karl Kaiser, die „zunehmende krisenhafte Ausmaße an[nimmt]“. Während die Nutzung von FCKWs durch die dezidierte Umsetzung des Montreal-Protokolls in den 1990er Jahren radikal reduziert wurde, wuchs der Ausstoß von Treibhausgasen massiv an und nähert sich erst heute seinem Scheitelpunkt. Mittlerweile ist der Klimawandel kein Zukunftsszenario mehr, Extremwetterereignisse häufen sich, werden intensiver und zerstören Lebensgrundlagen. Der EU-Klimadienst Copernicus berichtete im September 2024 vom heißesten Sommer aller Zeiten. Zudem lag die Erderwärmung erstmals durchschnittlich zwölf Monate lang über 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Fluten historischen Ausmaßes zerstörten ganze Landstriche in Mittel- und Osteuropa, zahlreiche Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Klimafolgen sind für Menschen in allen Teilen der Welt nicht mehr eine „Sache des langfristigen Überlebens“, sie kämpfen bereits ums Überleben in der Gegenwart. Durch unzureichende Prävention über Treibhausgasminderungen ist der Klimawandel immer mehr zum Formgeber der globalen Risikolandschaft geworden.

Besonders deutlich wird dies an einem der am kontroversesten diskutierten Themen der Gegenwart: Migration. Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration sind komplex, sie entziehen sich einfacher Erklärungsmuster. Migration, auch im Kontext des Klimawandels, ist in der Regel ein multikausales Phänomen. Folglich gibt es mehrere Faktoren, die Migrationsentscheidungen beeinflussen. Darunter fallen soziale, politische, ökonomische, demografische, aber eben auch umweltbezogene Faktoren. Klimafolgen verstärken heute diese Treiber in vielen Regionen. So sind beispielsweise Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die oftmals über keine oder nur wenig Rücklagen verfügen, schnell in ihrer ökonomischen Existenz bedroht, wenn veränderte Niederschlagsmuster zu schwindenden Ernteerträgen führen.

Auch Extremwetterereignisse, die durch den Klimawandel häufiger und intensiver werden, können Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Allein im vergangenen Jahr gab es aufgrund wetterbedingter Katastrophen weltweit 20,3 Millionen Binnenvertreibungen. Für besonders vulnerable Teile der Bevölkerung, darunter Frauen und Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit besonderen Schutzbedürfnissen wie chronisch Kranke, sind Migrations- und Fluchtprozesse mit erheblichen Risiken verbunden. Dies kann weitreichende Folgen für ihr weiteres Leben haben. Für Kinder kann beispielsweise ein erschwerter Zugang zu Bildung die Zukunftsaussichten verschlechtern.

Klima als fester Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik

Mehr als drei Jahrzehnte, nachdem Karl Kaiser die Erderwärmung als globale Herausforderung für die internationale Stabilität eingeordnet hat, sind Klimafolgen von der Agenda des außen- und sicherheitspolitischen Diskurses hierzulande nicht mehr wegzudenken. So hat die Bundesregierung 2023 eine Klimaaußenpolitikstrategie verkündet, die „[d]ie Bekämpfung der Klimakrise und de[n] Umgang mit ihren Auswirkungen [...] eine zentrale Menschheitsaufgabe dieses Jahrhunderts“ nennt. 

Wie andere Industrieländer trägt Deutschland eine besondere Verantwortung für die Bekämpfung von Klimafolgen und dafür, dass besonders vulnerable Staaten im Globalen Süden eine Chance auf nachhaltige Entwicklung haben. Die Verantwortung Deutschlands wiegt umso größer, da die globalen Bestrebungen für mehr Klimaschutz in den kommenden Jahren durch die erneute Wahl Donald Trumps in den USA stark belastet werden.

Welchen Stellenwert Karl Kaiser der besonderen Verantwortung von Industrieländern schon damals beimaß, wird in einer 1990 veröffentlichten Studie deutlich, die sich für die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ mit dem Vorschlag einer Klimakonvention befasste. So hielten Kaiser und seine Co-Autoren fest: „Eine faire und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd zum Schutz der Erdatmosphäre setzt die ökologische Glaubwürdigkeit der Industriestaaten voraus, erfordert eine Ökologisierung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Berücksichtigung neuer Anreize für ökologische Ziele in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit“. Auch dieses Zitat zeigt, dass Kaiser seiner Zeit voraus war.

Wenig Zeit, um den Zivilisationsbruch zu verhindern

Die Glaubwürdigkeit von Deutschlands Klimaaußenpolitik ist eng mit seiner Klimainnenpolitik verknüpft. Angesichts haushaltspolitischer Zwänge fehlen vielfach Mittel für die dringend benötigte grüne Transformation des Landes. Eine schlechte Voraussetzung, um anderen Verhaltensempfehlungen zu machen. Kaisers Analysen führen uns die verpassten Chancen der vergangenen Jahrzehnte beim Klimaschutz sowie in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Schwellen- und Entwicklungsländern schmerzhaft vor Augen: Sie hätte anders aussehen können, unsere Erde. Doch auch wenn die Verluste bereits groß sind, kann der Zivilisationsbruch noch verhindert werden. Es beginnen nun die letzten Jahre, in denen die Zukunftsversprechen der ökologischen Vorreiter der 1990er Jahre noch eingelöst werden können. 

Dieser Text ist ein Kapitel aus dem Buch „Wege in die Zukunft: Perspektiven für die Außenpolitik: Zum 90. Geburtstag von Karl Kaiser“ und enthält keine Fußnoten. Die vollständige Version inklusive Fußnoten können Sie oben im PDF bzw. über das E-Book aufrufen.
 

Bibliografische Angaben

Becker, Mechthild, and Kira Vinke. “Vordenker der integrierten Sicherheit: Karl Kaisers Blick auf Klimafolgen.” German Council on Foreign Relations. November 2024.

Dieser Text ist ein Kapitel aus dem Buch „Wege in die Zukunft: Perspektiven für die Außenpolitik: Zum 90. Geburtstag von Karl Kaiser“ .

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