(K)eine Mehrheit für Theresa May
Theresa May verbleibt vorerst in ihrem Amt als britische Premierministerin. Wirklich an der Macht ist sie damit nicht – zumindest, wenn es darum geht, ihren Brexit-Deal durch das britische Parlament zu bringen. Das Misstrauensvotum gegen May in dieser Woche hat die Frage „Deal, no Deal oder no Brexit“ nicht beantwortet. May hat eine Mehrheit hinter sich versammelt, die keine Mehrheit für ihren Deal ist. Das Abstimmungsergebnis von 200 Für- und 117 Gegenstimmen zeigt zugleich: Mays in Worte gegossener Ausdruck des kleinsten gemeinsamen Nenners aller Beteiligten überzeugt letztlich niemanden. Brexit-Befürworter wie -Gegner sind sich in der Ablehnung des Deals einig – und haben gleichzeitig keine eigenen Mehrheiten. Alle Optionen, inklusive die eines zweiten Referendums und von Neuwahlen, liegen weiterhin auf dem Tisch.
Hält die Blockade im britischen Parlament weiter an, wird ein harter Brexit mit jedem Tag wahrscheinlicher. Und zwar nicht, weil dies für die Mehrheit der Abgeordneten als beste Lösung gilt – obwohl dies bei nicht wenigen durchaus der Fall ist – , sondern weil sich die Abgeordneten im House of Commons auf nichts Anderes einigen können und die Uhr weiter tickt.
Der „harte Brexit“ als Trumpfkarte
Nicht nur May spielt jetzt auch bewusst auf Zeit: Die steigende Gefahr eines „Herauskrachens“ aus der EU hilft vermeintlich all denjenigen, die doch noch darauf wetten, dass ihre jeweilige Option durchkommt. Beim Pokern um die Modalitäten des Austritts ist die wachsende Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit eine wichtige Karte.
Die Befürworter eines zweiten Referendums hoffen darauf, dass May angesichts des steigenden Drucks schlussendlich nach externer Legitimierung und einem neuen Mandat für ihren Kurs suchen muss – und die Entscheidung über den Brexit dann ans britische Volk zurückgibt. Angesichts der wachsenden Zahl britischer Bürger, die sich in Umfragen für einen Verbleib in der EU aussprechen, könnte May tatsächlich letztlich einlenken und ihre Opposition gegen ein zweites Referendum aufgeben. Dies wäre umso wahrscheinlicher, je mehr die Märkte angesichts der wachsenden Unsicherheit in den nächsten Wochen einbrechen sollten, weil ein No-Deal absehbar für alle verheerende wirtschaftliche Konsequenzen hätte.
„Remain“ oder Neuwahlen
Diejenigen, die sich noch immer wünschen, dass Großbritannien gar nicht erst aus der EU austritt, könnten darauf bauen, dass die Rücknahme der Austrittserklärung nach Art. 50 EU-Vertrag für eine Mehrheit im Parlament zur veritablen Option wird, wenn bis zum Tag des Austritts am 29. März 2019 keine Einigung erzielt wird.
Für die Labour-Partei hilfreich sind wiederum möglichst viel Chaos in Westminster, ein Fall der britischen Währung, anhaltende Auseinandersetzungen im Parlament und alles, was die Torys als unfähig dastehen lässt. Ihr erklärtes Ziel sind Neuwahlen, um dann selbst die Regierung übernehmen zu können. Das würde an den Brexit-Realitäten natürlich nichts ändern, aber die Schuld daran könnte man leicht den Tories zuschieben. Alternativ wünschen sich viele Labour-Abgeordnete ein zweites Referendum.
Hoffnung auf flexible EU in letzter Minute
Der EU-Gipfel am Donnerstag hat gezeigt, dass die EU den Vertrag nicht nachverhandeln will. Dennoch wird es vermutlich immer noch – erstaunlich viele – Abgeordnete unter den Konservativen und in der Opposition geben, die weiter behaupten, man könne mehr Zugeständnisse in Brüssel erreichen. Für diese Parlamentarier erscheint das Spielen auf Zeit ebenfalls eine sinnvolle Strategie. Sie spekulieren darauf, dass auch in der EU und besonders in Irland niemand an einem harten Brexit interessiert ist und die EU schon früher in den Verhandlungen kurz vor Toresschluss am flexibelsten war.
Schließlich könnte auch May selbst sich ausrechnen, dass die Chancen für ihren Deal steigen, je mehr um sie herum Panik einsetzt. Wenn sie also nur lang genug Kurs hält und den Deal zur richtigen Zeit ins Parlament gibt, könnte sie schlussendlich doch noch als Gewinnerin hervorgehen. Dieses Szenario würde auch dadurch gefördert, dass sich die anderen Optionen mit fortschreitender Zeit immer mehr verengen: Ein zweites Referendum müsste Wochen vorher vorbereitet werden. Ein Sturz Mays durch ihre eigene Partei ist nach dem gewonnenen Misstrauensvotum in dieser Woche in den nächsten 12 Monaten nicht mehr möglich.
„Denn sie wissen nicht, was sie tun?“
Alle diese Szenarien sind möglich – oder der harte Brexit könnte sich als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Die gesamte Situation erinnert fatal an den Film, „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean. Alle, die glauben, die Blockade im Parlament zum eigenen Vorteil zu nutzen, laufen Gefahr, mit über die Klippe zu gehen. Der harte Brexit wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine fatale Entwicklung eintritt, die von der Mehrheit der Akteure so nicht gewollt wurde.