Kommentar

31. Jan. 2013

Tschechien wählt den Provinzialismus

Mit der Wahl Miloš Zemans zum Präsidenten vergibt Tschechien die Chance auf einen politischen Stilwechsel

Sieger der Präsidentschaftswahl in Tschechien ist Miloš Zeman – der Kandidat der ländlichen, älteren und sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen. Er hat seinen Provinzialismus zum politischen Programm gemacht und damit Teilen der Bevölkerung Selbstbewusstsein gegeben. Es bleibt zu hoffen, dass es dem neuen Präsidenten gelingt, auch diejenigen einzubinden, die zurzeit noch gegen ihn sind. Denn diese, überwiegend Junge und gut Ausgebildete, sind die Zukunft des Landes.

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Ein Gewinner der Präsidentschaftswahl in der Tschechischen Republik stand schon vor der zweiten Runde fest: die EU. Denn dass der zukünftige Präsident der politischen Integration in Europa positiver gegenüberstünde als Václav Klaus, war klar, egal welcher der beiden Kandidaten sich im Finale durchsetzen würde. Damit enden schon die Gemeinsamkeiten zwischen dem linken Querdenker Miloš Zeman und dem konservativen Fürst Karel Schwarzenberg. So eindeutig sie sich im Wahlkampf voneinander abgrenzten, so groß sind die Unterschiede zwischen ihren Wählern. Die Differenzen sind mit den klassischen politischen Lagerbezeichnungen „rechts“ und „links“ nicht einfach zu fassen. Sie resultieren eher aus zwei verschiedenen Lebenswelten, die die Tschechische Republik heutzutage prägen. Insofern war die Wahl auch eine Abstimmung darüber, welches Selbstbild bei den Tschechinnen und Tschechen heute überwiegt und welche Vision für die Zukunft sie haben. Gewonnen hat Miloš Zeman.

Zeman hat seinen Provinzialismus offensiv zum politischen Programm gemacht

Zeman ist eine der prägnantesten Figuren der 1990er und frühen 2000er Jahre in der Tschechischen Republik. Er, Parlamentspräsident und später dann Premierminister, agierte stets pragmatisch, populistisch und poltrig. Er ging furchtlos seinen Weg: nach dem Prager Frühling überwarf er sich mit der kommunistischen Staatspartei der Tschechoslowakei; 2007 verließ er im Streit die sozialdemokratische ČSSD, die er lange mitgeprägt hat. Obgleich er aufgrund zwielichtiger Kontakte vielfach in Skandale verwickelt war, hat er es geschafft, seit der Gründung seiner eigenen Partei, der Partei der Bürgerrechte, ideologisch an Profil zu gewinnen. Er steht heute glaubhaft als Kritiker des politischen Establishments dar, der sich für direkte Demokratie einsetzt. Damit gewann Zeman die Unterstützung der überwiegend ländlichen und älteren, sozial eher unten stehenden Bevölkerungsgruppen. Er hat seinen Provinzialismus offensiv zum politischen Programm gemacht und damit Teilen der tschechischen Bevölkerung neues Selbstbewusstsein gegeben. Denn viele Bewohner des, wie sie selbst immer wieder betonen, „kleinen Landes“ fühlen sich angesichts von Globalisierung und Individualisierung unbehaglich. Und Zeman gibt ihnen das Gefühl, dass das auch in Ordnung ist.

Sein Kontrahent in der Stichwahl, Außenminister Karel Schwarzenberg, tritt eher feinsinnig und selbstironisch auf. Er fand seine Unterstützer wesentlich bei den jungen, urbanen Eliten, Studenten und Künstlern, die sich weltoffen und ambitioniert geben. Schwarzenberg hat das Kunststück vollbracht, als aktiver Minister der zurzeit zutiefst unbeliebten liberal-konservativen Regierung über weite Strecken des Wahlkampfes nicht mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. Im Gegenteil verkörpert er in zweierlei Hinsicht eine glaubhafte Distanz zur gesamten politischen Elite in Tschechien: als vermögender Adliger gilt er als nicht korrumpierbar und als Mensch, der lange Jahre im Ausland gelebt hat, traut man ihm einen größeren Weitblick zu. Seine Unterstützer knüpften an ihn die Hoffnung auf einen neuen, distinguierten und weltoffeneren Stil in der tschechischen Politik.

Nicht Gegenwartsthemen sondern Fragen der Vergangenheit entzweiten die Wahlkampflager

Der Kampf um das Präsidentenamt spitzte sich in den Tagen vor der Stichwahl deutlich zu. Anlass waren nicht etwa zentrale gegenwärtige Fragen wie die zunehmende Politikmüdigkeit oder Korruption, sondern historische Aspekte. Es ging um die Vertreibung der Deutschen, die Schwarzenberg in einem Fernsehduell mit Zeman scharf kritisiert hatte. Daraufhin sah er sich zahlreichen Anfeindungen und Unterstellungen ausgesetzt. Zwar kamen diese nicht alle aus der direkten Umgebung Zemans, aber auch dieser verstand es, Schwarzenberg als zu freundlich gegenüber den Sudetendeutschen darzustellen. Damit aktivierte er in der Bevölkerung bereits vorhandene Zweifel an Schwarzenbergs grundsätzlicher Eignung für das Präsidentenamt. Kann jemand, der 50 Jahre lang im Ausland gelebt hat, die tschechischen Bürgerinnen und Bürger vertreten? Man muss sich darüber nicht wundern und den Tschechen auch keine besondere Engstirnigkeit vorwerfen – könnte etwa in Deutschland jemand mit einer solchen Biographie Präsident werden? Dennoch: die Aggressivität, die Schwarzenberg in Reaktion auf seine Bemerkungen entgegenschlug, war beachtlich. Besonders in den deutschen Medien wurde diese Stimmungsmache mit Befremden verfolgt und als Schmutzkampagne beurteilt. Ihre Deutung als eine (erneut) erwachende antideutsche Stimmung im Land, die zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führen könnte, geht aber fehl. Denn die Debatte hat mit den Deutschen, den nachbarschaftlichen Verhältnissen nichts zu tun; es handelt sich um einen internen, tschechischen Streit. Hier kämpfen vor allem ältere und weniger gebildete Menschen darum, an nationalen Narrativen festzuhalten – in dem Fall ist es die historische Opfer-Erzählung der Tschechen –, die dabei helfen, Neues und von außen Kommendes abzuwehren. Dieser Mechanismus ist Teil des bereits beschriebenen bequemen Provinzialismus, den weite Teile der Bevölkerung pflegen und den Zeman repräsentiert.

Zeman muss auch die Jungen erreichen

Karel Schwarzenberg hat Zeman im Wahlkampf als Mann der Vergangenheit bezeichnet. Ob der 75-jährige Adlige eher die Gegenwart repräsentiert oder gar die Zukunft, sei dahingestellt. Sicher aber hätte er eine neue Art der politischen Auseinandersetzung gebracht. Doch letztlich überwog wohl bei den Wählern die Lust, der konservativen Regierung Nečas eins auszuwischen, indem man ihr den linken Querulanten vor die Nase setzt.

Miloš Zeman wird, das hat er bereits angedeutet, der aktuellen Regierung das Leben so schwer machen, wie es in seiner Macht steht. Und auch zukünftige Regierungen, an denen vielleicht die Sozialdemokraten beteiligt sein werden, dürften es mit ihm nicht leicht haben.

Auch wenn die beiden ideologisch an verschiedenen Enden der Skala stehen, sind sich Miloš Zeman und sein Vorgänger Václav Klaus in vielen Punkten sehr ähnlich: beide gefallen sich allzu oft in der Provokation um ihrer selbst Willen und in der eitlen Pose des Weltdeuters. So könnte es sein, dass für die Tschechische Republik auf die zehn Jahre unter VáclavKlaus nun (mindestens) fünf weitere Jahre unter einem Präsidenten folgen, der wichtige Entscheidungs- und Modernisierungsprozesse im Land verzögert.

Es bleibt nur zu hoffen, dass Zeman sich gegenüber seiner Zeit als Premierminister geändert hat. Vielleicht gelingt es ihm, zu einem sachlicheren, ruhigeren Stil zu finden und auch versöhnliche Töne anzuschlagen. Vielleicht gelingt es ihm, diejenigen einzubinden, die zurzeit noch gegen ihn sind. Denn diese, die Jungen und gut Ausgebildeten, sind die Zukunft des Landes und diese darf nicht erst in fünf Jahren beginnen.


Dieser DGAP-Standpunkt von Dr. Jennifer Schevardo erschien auch bei ZEIT ONLINE.

Bibliografische Angaben

Schevardo, Jennifer. “Tschechien wählt den Provinzialismus.” January 2013.

DGAPstandpunkt 3, 31. Januar 2013, 3 S.