Kommentar

06. Nov. 2013

Schluss mit lustig!

Die unklare politische Lage in der Tschechischen Republik verhilft Präsident Miloš Zeman zu beunruhigender Stärke

Das Machtvakuum in Tschechien hält auch nach den Parlamentswahlen von Ende Oktober an. Davon profitiert vor allem Miloš Zeman, der – autoritär wie keiner seiner Amtsvorgänger – in das politische Leben des Landes eingreift und so der Demokratie erheblichen Schaden zufügt. Die internationale Gemeinschaft muss diese Vorgänge genau beobachten und Zeman mit klarer Kritik konfrontieren.

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Die politische Lage in der Tschechischen Republik ist so verworren wie noch nie seit dem Ende des Kommunismus. Durch die über mehrere Skandale gestürzte Regierung von Premier Petr Nečas, der bis dahin als dröger aber vertrauenswürdiger Politiker galt, hat die Politikverdrossenheit in der Gesellschaft ein bislang ungekanntes Ausmaß erreicht.

Nach der Selbstdemontage der bürgerlich-konservativen Partei ODS durch die Affären um Nečas standen die Zeichen vor den Neuwahlen zunächst klar auf Sieg für die Sozialdemokraten. Doch nach einem uninspirierten Wahlkampf wurden die etablierten Parteien von den Bürgern abgestraft. Die ČSSD erhielt zwar die meisten Stimmen, aber das Ergebnis reicht nicht für die Bildung einer stabilen Linksregierung. Viele Wähler setzten ihr Kreuz bei neuen Parteien. Einen überwältigenden Erfolg erzielte der politisch unerfahrene Unternehmer und Populist Andrej Babiš mit seiner „Bewegung“ ANO, der im Wahlkampf betont hatte, gar nicht regieren, sondern aktive Opposition sein zu wollen. Mit über 18 Prozent der Stimmen muss seine Bewegung nun nolens volens Regierungsverantwortung übernehmen.

Doch nicht nur die Strukturen der neuen Parteien sind fragil. Bereits am Wahlabend begann die Selbstkannibalisierung der tschechischen Sozialdemokraten: Teile des Parteivorstands forderten den Vorsitzenden, Bohuslav Sobotka, zum Rücktritt auf und schlossen ihn aus den anstehenden Koalitionsverhandlungen aus. Dieser Schritt wurde zwar revidiert, doch scheint eine Spaltung der ČSSD nur eine Frage der Zeit.

Es sieht so aus, als ob diese Wahl nur einen Sieger hat: Präsident Miloš Zeman. Je länger es keine parlamentarisch legitimierte Regierung gibt, desto weitreichender kann er das politische Leben beeinflussen. Dabei geht es ihm nicht etwa um eine kommissarische Weiterführung der Regierungsgeschäfte – im Gegenteil: Zeman ist auf dem besten Weg, die tschechische Demokratie nach seinen Vorstellungen umzuformen. Er trägt gezielt zur Demontage der Parteien und des Parlaments bei und baut so die Macht des Präsidentenamts rücksichtslos aus – und das, obwohl die von ihm gegründete Partei SPOZ mit nur 1,5 Prozent der Stimmen mehr als deutlich den Einzug ins Parlament verpasste.

Zeman fackelte nicht lange. Am Tag nach der Wahl riet er der SPOZ öffentlich, sich von ihm zu lösen und bitteschön auch ihren Namen zu ändern. Gleichzeitig mobilisierte  er seine Anhänger in der ČSSD zur Verdrängung Bohuslav Sobotkas. Als bekannt wurde, dass Zeman hinter diesem Vorgang stand, sorgte dies für Empörung in Medien und Gesellschaft.

Zeman überschreitet nicht die Grenzen der Verfassung, aber er sucht gezielt nach Spielräumen, die ihm die Verfassung lässt und legt sie eigenwillig aus. Dabei bricht er vielfach mit etablierten Verfahren im Umgang des Präsidenten mit Exekutive und Legislative und zerstört weiter das Vertrauen in politische Routinen.

Die Ernennung wichtiger Funktionsträger beispielsweise – eigentlich ein rein formaler Akt – macht Zeman offen abhängig von seiner persönlichen Gunst. Als im Juni 2013 Premier Nečas zurücktrat, wählte Zeman keinen der beiden üblichen Wege: Statt die gewählte Regierungskoalition oder die Opposition mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen, sollte sein alter Weggefährte Jiří Rusnok eine „Expertenregierung“ bilden – selbstredend, dass diese überwiegend aus Vertretern der Zeman-Partei SPOZ bestand. Obgleich das Parlament diesem Kabinett das Vertrauen versagte, ließ Zeman es bis heute kommissarisch im Amt.

Rusnok nutzte die Zeit, um umfassende personelle Veränderungen in Ministerien und staatlichen Unternehmen vorzunehmen. Seit Juli sind mehrere Dutzend Funktionäre und Manager ausgetauscht worden. Die Schwierigkeit der nun anstehenden Regierungsbildung kann Zeman daher nur Recht sein, wie seine Intervention in der sozialdemokratischen Führung zeigt: Zeman spaltet und lähmt gezielt die einzige in der Tschechischen Republik noch verbliebene etablierte Partei.

Die tschechische Zivilgesellschaft hat bislang kaum reagiert. Und auch das europäische Ausland kritisiert bislang nicht öffentlich, wie weit Zeman seine Kompetenzen interpretiert und dass er dadurch die parlamentarische Demokratie schwächt. Zeman wird weithin unterschätzt; er gilt als drolliger älterer Herr, der regelmäßig peinliche Auftritte liefert – sei es unter Alkoholeinfluss, sei es durch rhetorische Fehlleistungen.

Doch Europa sollte nicht übersehen, mit welchem Scharfblick Zeman die Schwächen seiner politischen Gegner und des politischen Systems für sich zu nutzen weiß. Die Politiker und Institutionen des Landes können momentan kein Gegenwicht zu Zeman darstellen. Daher ist es an der Zeit, dass die Regierungen der EU-Staaten Zeman signalisieren, dass sie seine Politik kritisch beobachten. Eine fortdauernde Störung demokratischer Routinen, wie Präsident Zeman sie in Prag betreibt, kann in der Mitte Europas zu einem beunruhigenden, destabilisierenden Faktor werden.


Dieser DGAP-Standpunkt von Dr. Jennifer Schevardo erschien auch bei ZEIT ONLINE.

Bibliografische Angaben

Schevardo, Jennifer. “Schluss mit lustig!.” November 2013.

DGAPstandpunkt 6, 8. November 2013, 2 S.

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