Past Publications

19. Aug. 2012

Romneys zweiter Mann

Paul Ryan verleiht dem republikanischen Wahlkampf mehr Profil ― doch seine Sparpläne bieten viel Angriffsfläche

Die Nominierung der Vizepräsidentschaftskandidaten wird stets mit Spannung erwartet, sie sind ein wichtiges Element im Kampf um den Wahlsieg. Mit der Entscheidung für den radikalkonservativen Finanzpolitiker Paul Ryan hat sich Romney jemanden ins Boot geholt, der den Wahlkampf entscheidend mitprägen dürfte. Doch Ryan sieht drastische Kürzungen im Sozialhaushalt vor, vor allem bei Medicare, der staatlichen Krankenversicherung für Rentner – das könnte die Republikaner entscheidende Wählerstimmen kosten.

PDF

Share

Wofür steht Paul Ryan?

Vor allem wegen seines alternativen Budgetentwurfs (das sogenannte „Ryan budget“) gilt er in Sachen Finanzpolitik als Vertreter des radikalkonservativen Flügels der Republikaner – er steht für freien Markt, Steuersenkungen und Sozialstaatsabbau. Ryan, einer der profiliertesten Wirtschafts- und Finanzpolitiker seiner Partei und Vorsitzender des Haushaltsausschusses des US-Repräsentantenhauses, steht für eine konservative Fiskalpolitik, gilt aber auch als wertkonservativ: So stimmte er gegen die Aufhebung des Ausschlusses von Homosexuellen aus der US-Armee und gegen Adoptionsrechte für homosexuelle Paare, ebenso ist er ein rigider Abtreibungsgegner. Sein Politikstil ist eher ideologisch als lösungsorientiert, auch wenn ihn die Republikaner gerne anders darstellen. Es gibt bislang wenig Hinweise darauf, dass er an Kompromissen mit dem demokratischen Lager interessiert wäre. Romney selbst ist weniger dogmatisch.

Was beinhaltet das „Ryan budget“?

Ryans Budgetvorschlag sieht einen dramatischen Umbau der staatlichen Steuer- und Ausgabenpolitik vor. Selbst der Republikaner und vormalige Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich, der gegen Mitt Romney den Kürzeren zog und der kaum in dem Verdacht stehen dürfte, sich mit den „staatsfreundlichen“ Demokraten gemeinzumachen, verurteilte Ryans Budgetplan als „right wing social engineering“.

Konkret beinhaltet der Budgetplan massive Kürzungen der heimischen Ausgaben u.a. für Infrastruktur, Landwirtschaft und Bildung, die zurzeit etwa 15 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen. Für die Verteidigungsausgaben, aktuell ca. 20 Prozent der Gesamtausgaben, sieht der Budgetentwurf dagegen keinerlei Kürzungen vor. Weitere wichtige Maßnahmen wären eine Senkung des Spitzensteuersatzes und der Körperschaftssteuer sowie – dies ist eine der umstrittensten und politisch riskantesten Forderungen – eine Abschaffung von Medicare, der staatlichen Krankenversicherung für Rentner. Anstelle der staatlichen Leistungen sollen Rentner dem Entwurf zufolge Gutscheine für private Krankenversicherungen bekommen.

Welche Wählergruppen spricht Ryan besonders an?

Die republikanischen Stammwähler dürften in jedem Fall begeistert sein ― beziehungsweise, um genau zu sein, beide republikanische Stammwählergruppen: Da wären zunächst die eher elitären Wähler des Großunternehmermilieus, die „aufgeschlossenen Reichen“. Sie waren John McCain-Wähler und sind nun Mitt Romney-Anhänger. Die andere Gruppe ist stark wertkonservativ, entstammt meist den ländlichen Regionen der USA und steht der Elite und „Washington“, also dem Staat, feindselig gegenüber. Heute würde man von Tea-Party-Anhängern sprechen, allerdings ist dieses Wählerreservoir älter als die Tea-Party-Bewegung. Im Gegensatz zu Sarah Palin, die 2008 das republikanische Lager spaltete, und als Mitt Romney, der bei den Anhängern der Tea-Party-Bewegung nicht besonders beliebt ist, erhält Paul Ryan aus beiden Lagern viel Zuspruch. Er verleiht dem bei vielen als politischer "Wendehals" ("flip-flopper") verschrieenen Romney ein schärferes politisches Profil.

Worin liegt für Mitt Romney das Risiko dieser Nominierung?

Das wichtigste Schlagwort hier lautet: Medicare. Mit der Nominierung Ryans hat Romney die Medicare-Debatte ins Zentrum des Wahlkampfes gerückt. Das staatlich finanzierte Sozial- und Krankenversicherungsprogramm für Rentner war mit der republikanischen Idealvorstellung eines schlanken Staates noch nie vereinbar. Doch aus Angst, Wählerstimmen in der älteren Bevölkerung zu verlieren, äußerten sich die Republikaner in vergangenen Wahlkämpfen zurückhaltend, wenn diese unter ihren älteren Wählern geschätzten Privilegien zur Disposition standen. Nicht so Ryan: Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Rücknahme von Medicare anstrebt. Für die Republikaner ist das riskant. Ohne die Stimmen der älteren Bevölkerung können sie das Präsidentenamt nicht gewinnen.

Wenige Tage nach der Verkündung der Nominierung zeigten Blitzumfragen im US-Bundesstaat Florida, dass viele Amerikaner Ryan skeptisch gegenüberstehen. Florida ist ein wichtiger „swing state“, ein wahlentscheidender Bundesstaat mit einem hohen Anteil an älterer Bevölkerung. Entsprechend zielten Obamas Wahlkämpfer direkt auf die Frage der Gesundheitsversorgung, und bisher scheint diese Strategie aufzugehen – Umfragen zeigten, dass Obama kurz nach der Verkündung der Vizekandidatur Ryans um einige Prozentpunkte zugelegt hatte. Eine Umfrage von USA Today/GALLOP zeigte außerdem, dass Ryan die schlechtesten Umfragewerte bekam, die ein frisch nominierter Vizekandidat in den vergangenen 20 Jahren je erhalten hatte. Ein Grund dürfte allerdings auch darin liegen, dass Ryan in der breiteren Bevölkerung bisher wenig bekannt war. 

Wie wird die Nominierung die Wahltaktik der Demokraten beeinflussen?

Bevor er Ryan ins Boot holte, war Romneys Wahlkampf im Kern eine Anti-Obama-Kampagne: Die Entscheidung des Wählers würde nicht für Obama oder für Romney, sondern für oder gegen Obama fallen – also für oder gegen die derzeitige Wirtschaftspolitik. Mit der Nominierung Paul Ryans hat sich das geändert. Das Duo Romney/Ryan steht nun für eine wirtschaftspolitische Idee, die einen radikalen Gegenentwurf zur Vision des amtierenden Präsidenten darstellt.

Für Obamas Wahlkämpfer dürfte die Nominierung deshalb durchaus gelegen kommen. Sie wollen die grundlegenden inhaltlichen Fragen ins Zentrum ihrer Kampagne rücken: Wünscht sich die Mehrheit die Wähler wirklich eine konservative Steuerreform – auch, wenn sie unbequeme Einschnitte bei an sich populären Unterstützungsleistungen mit sich bringen würde? Wollen die Amerikaner auch dann noch einen schlanken Staat, wenn sie die Konsequenzen ernsthaft zu spüren bekommen? Die Demokraten sind sich sicher, dass die Antwort auf diese Fragen „Nein“ lautet, und Meinungsumfragen zu Medicare und anderen staatlichen Unterstützungsleistungen sprechen dafür, dass sie richtig liegen. Laut einer aktuellen CBS News-Umfrage finden 61 Prozent der Amerikaner, das Medicare-Programm sei seine Kosten wert; darunter 57 Prozent der Wechselwähler und immerhin 45 Prozent der republikanischen Wähler (gegenüber 78 Prozent der Demokraten). Einer Erhebung von ABC News zufolge sind 65 Prozent der Amerikaner gegen eine Privatisierung von Medicare, wie sie in Ryans Budgetentwurf vorgesehen ist.

Doch vor allem Mitt Romney wird es den Demokraten nicht allzu leicht machen. Hatten die meisten Beobachter zunächst geglaubt, dass die Nominierung ein Bekenntnis zum Ryan-Budgetplan war, scheint es nun, als wolle Romney beides haben: Einerseits will er von Ryans klarer Positionierung profitieren und mit dessen Image als entschlossenem und kompromisslosem Konservativen punkten, andererseits will er mögliche Negativfolgen der Medicare-Debatte vermeiden. In einem Interview mit CBS News wenige Tage nach der Nominierung versuchte Romney, sich von Ryans Kürzungsplänen bei Medicare zu distanzieren. Andererseits versuchen beide nun, offensiv für einen Umbau von Medicare zu werben: Sie würden lediglich neues Geld in das Sozial- und Krankenversicherungsprogramm stecken, nachdem Obama zuvor selbst massiv gekürzt habe. Allerdings ist ihre Argumentation wenig glaubwürdig, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sie die Wechselwähler davon überzeugen können, ihre Versicherungen ernst zu nehmen. Romneys taktischer Schwenk in dieser Frage ist eine Enttäuschung für alle, die geglaubt hatten, mit der Nominierung Paul Ryans werde der Wahlkampf substanzieller und ehrlicher geführt. 

Bibliografische Angaben

Herp Tausendfreund, Rachel. “Romneys zweiter Mann.” August 2012.

Verwandter Inhalt