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30. Juli 2012

Regierungswechsel in Serbien

Die Zeichen stehen auf Kontinuität, Belgrad gibt sich weiter proeuropäisch

Serbien hat eine neue Führung. Zum Staatsoberhaupt wurde der frühere Ultranationalist Tomislav Nikolić gewählt. Seine Fortschrittspartei ist auch stärkste Kraft im Parlament geworden und bildet nun mit den Sozialisten eine Koalition. Mit Ivica Dačić stellen die Sozialisten erstmals seit dem Fall des Milošević-Regimes den Regierungschef. Gerät die serbische Politik damit wieder in nationalistisches Fahrwasser? Bleibt das größte Land des Westlichen Balkans auf EU-Kurs?

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Bedeutet der Machtwechsel in Serbien die Rückkehr zu einer nationalistischen Politik?

Als der bisherige Staatspräsident Boris Tadić und sein Herausforderer Tomislav Nikolić 2008 in der Stichwahl gegeneinander antraten, vertrat Tadić das proeuropäische Lager, während Nikolić, der damals noch der Serbischen Radikalen Partei angehörte, für eine Orientierung Richtung Moskau stand. Mit der Abspaltung von den Radikalen und der Gründung der Serbischen Fortschrittspartei schlug Nikolić im Herbst 2008 jedoch einen moderateren Kurs ein und wechselte in das Lager der Befürworter eines EU-Beitritts.

Vier Jahre später bedeuten der Wahlsieg von Nikolić und die Regierungsbeteiligung seiner Partei daher keinen grundlegenden Kurswechsel für Serbien. Auch die Sozialisten unter Ivica Dačić waren bereits in der Vorgängerregierung vertreten. Wie tiefgehend der Wandel vom Ultranationalisten in der Radikalen Partei des in Den Haag inhaftierten Vojislav Šešelj zum nationalkonservativen Proeuropäer ist, wird Nikolić in den kommenden Monaten unter Beweis stellen müssen.

Zwar ermöglicht der Regierungswechsel vielen ehemaligen Unterstützern des Milošević-Regimes wichtige Staatsämter einzunehmen. Gleichzeitig bekennt sich die neue Führung aber zu demokratischen Werten und der EU-Integration des Landes.

Wohin steuert das Land außenpolitisch?

Auch in der Außenpolitik der neuen Regierung stehen die Zeichen auf Kontinuität. Wie die Vorgängerregierung verfolgt sie das Ziel einer raschen EU-Annäherung Serbiens. Sie will den im März 2011 begonnenen Dialog mit Kosovo fortführen und alle bisher erzielten Vereinbarungen umsetzen; die Anerkennung Kosovos als unabhängigen Staat schließt aber auch die neue  Führung dezidiert aus. Das Credo „sowohl EU, als auch Kosovo“ wird also beibehalten.

Besonders sensibel ist die Frage, wie sich die Beziehungen Serbiens zu seinen Nachbarländern entwickeln. Die Amtseinführung von Nikolić wurde von den Präsidenten Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas, Sloweniens und Mazedoniens wegen seiner provokanten Äußerungen zu den Konflikten der Neunziger Jahre boykottiert. Zwar haben die  Nachbarn angekündigt, mit dem neuen Präsidenten in Dialog treten zu wollen. Sein Vorgänger Tadić hatte insbesondere durch seine Besuche in Vukovar und Srebrenica wichtige Zeichen gesetzt. Ob Nikolić die Versöhnungspolitik in dieser Weise fortführen wird, ist allerdings zweifelhaft.

Slowenien ist seit 2004 EU-Mitglied, das Nachbarland Kroatien soll am 1. Juli 2013 beitreten. Auch Montenegro hat im Juni dieses Jahres Beitrittsverhandlungen mit Brüssel eröffnet. Wie steht es um die EU-Annäherung Serbiens?

Im März dieses Jahres hat die EU Serbien zum Beitrittskandidaten erklärt. Die Weichen hierfür wurden durch die Festnahme und Auslieferung der Angeklagten Radovan Karadžić und Ratko Mladić an das Haager Tribunal gestellt. Zentrale Hürde im Beitrittsprozess wird für die neue Regierung nun die Kosovo-Statusfrage sein. Damit Belgrad die Beitrittsverhandlungen eröffnen kann, muss es zunächst eine Normalisierung der Beziehungen mit Kosovo erreichen. Auch wenn die EU eine Anerkennung Kosovos nicht zur Bedingung macht, muss Serbien im Dialog mit Pristina, der durch die EU vermittelt wird, viel Kompromissbereitschaft zeigen.

Kosovo – von Deutschland und den meisten EU-Ländern als selbständiger Staat anerkannt, von Belgrad aber als abtrünnige Provinz betrachtet. Wie kommt man aus der diplomatischen Sackgasse?

Die Kosovo-Frage wird in den kommenden Monaten erneut für Diskussionsstoff sorgen. Die EU – und Deutschland, das von Belgrad den Abbau serbischer Parallelstrukturen im Norden Kosovos fordert – werden das Zeitfenster bis zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen nutzen, um Serbien und Kosovo zu einer schrittweisen Verbesserung ihrer Beziehungen zu bewegen. Serbien wird dabei einige Erfolge vorweisen müssen, wenn es auf dem Weg in Richtung EU vorankommen will.

Für die Lösung des Kosovo-Konflikts bedeutet der Machtwechsel in Serbien eine Chance. Die Verhandlungsergebnisse der konservativen Regierung könnten innerhalb Serbiens auf eine höhere Akzeptanz stoßen. Zum einen, weil sie nicht a priori in den Verdacht gerät, Serbiens nationale Interessen auszuverkaufen; zum anderen, weil es keine gewichtigen Hardliner in der Opposition gibt, die der Regierung den „Verrat“ nationaler Interessen vorwerfen könnten. Die Demokratische Partei Serbiens von Ex-Premier Vojislav Koštunica kam auf einen Stimmenanteil von sieben Prozent, während die Radikale Partei unter fünf Prozent der Stimmen blieb und nicht ins Parlament einziehen konnte.

Deutschland und die EU haben Serbien bei seinen politischen und wirtschaftlichen Reformen in den vergangenen Jahren mit Know-how und über 3,5 Mrd. Euro unterstützt. Wo liegen die aktuellen Reformschwerpunkte?

Die EU-Kommission hat Serbien im Hinblick auf seine politischen und wirtschaftlichen Reformen ein gutes Zeugnis ausgestellt. Im Fokus stehen, wie auch für die anderen Länder der Region, Reformen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Die neue Regierung hat angekündigt, dass sie mit null Toleranz gegen Korruption vorgehen will, auch in den eigenen Reihen. Ob sie dieses Versprechen halten wird, muss sich zeigen.

Priorität hat für die Regierung die wirtschaftliche Erholung des Landes. Serbien wurde von der Wirtschaftskrise hart getroffen. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei knapp 25 Prozent, während ein durchschnittliches Monatsgehalt rund 350 Euro beträgt. Viele Serben versprechen sich von der EU-Annäherung ihres Landes auch eine Verbesserung ihres Lebensstandards – bisher ist davon aber wenig zu spüren. Für die Verluste der Demokratischen Partei in den Parlamentswahlen war dies ein wichtiger Faktor.

Bibliografische Angaben

Töglhofer, Theresia. “Regierungswechsel in Serbien .” July 2012.

Fünf Fragen, 30. Juli 2012

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