In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung Ende September versprach Außenminister Heiko Maas eine „nachhaltige Außenpolitik“. Krisenprävention nehme darin eine besondere Stellung ein, sagte er. Am gleichen Tag stellte die Bundesregierung drei neue Konzepte vor, die zeigen sollen, wie präventives Engagement aussehen kann. Bei der ersten Jahrestagung des Beirats zivile Krisenprävention in Berlin stießen diese auf ein weitgehend positives Echo. Den Strategien sollten jedoch Aktionspläne mit konkreten Zielen für Personal, Ausstattung und Koordinationsmechanismen folgen.
Seit 2014 hat die Bundesregierung ihr Engagement in fragilen Staaten deutlich gesteigert. Allein die Projektmittel des Auswärtigen Amts für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung haben sich seitdem etwa vervierfacht – auf 396 Millionen Euro im aktuellen Haushalt. 2017 verabschiedete das Kabinett die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern.“ Ein Ergebnis dieser Leitlinien sind drei themenspezifische Dokumente, die ressortgemeinsam abgestimmt und von einem öffentlichen Konsultationsprozess begleitet wurden. Diese beschäftigen sich mit Sicherheitssektorreformen (SSR), Rechtstaatsförderung sowie Vergangenheitsarbeit und Versöhnung.
Diese drei Bereiche prägen gesellschaftliche Transformationsprozesse. Heike Thiele, Beauftragte der Bundesregierung für Zivile Krisenprävention und Stabilisierung im Auswärtigen Amt, nannte den Übergangsprozess im Sudan bei der Jahrestagung als aktuelles Beispiel: Die Richterbänke sind besetzt mit Leuten des alten Regimes. Armee, Polizei und Milizen müssten sich das Vertrauen der Bevölkerung erst verdienen und massive Gewaltanwendungen aus dreißig Jahren Diktatur müssten aufgearbeitet werden. Nur so könnten die Menschen in Sudan wieder anfangen, den staatlichen Institutionen zu vertrauen.
Gute Konzepte, zu wenig Strategie
In den Dokumenten sind zentrale Konzepte, Instrumente und Handlungsfelder aufgelistet. Damit wird das deutsche Verständnis für die Herausforderungen präventiver Arbeit in drei zentralen Bereichen aufgelistet. Um wirklich ihren Anspruch als Strategien zu erfüllen, muss jedoch noch jeweils klarer werden, wie sich die Arbeit der Ressorts in absehbarer Zukunft messbar ändern soll – außer einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe.
Ein effektiver und bei allen Bevölkerungsgruppen legitimierter Sicherheitssektor ist Voraussetzung für langfristige Stabilität. In der SSR-Strategie erkennt die Bundesregierung an, dass es sich bei der Reform von Polizei und Militär nicht nur um technische, sondern machtpolitische Prozesse handelt. Denn die Sicherheitskräfte sind ein zentrales Instrument der Unterdrückung und Herrschaftssicherung in autokratischen Staaten. Unter ihnen gibt es zahlreiche Gegner von mehr Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit.
Internationale Hilfe für SSR ist stets mit dem Risiko verbunden, durch einseitige Unterstützung neue Vorbehalte zu schüren, wie auch die SSR-Strategie erwähnt. Allerdings legt die Bundesregierung nicht dar, welche genauen Mechanismen sie einsetzt, um diese Risiken zu managen. Dazu sollte auch die Überprüfung des menschenrechtlichen Hintergrunds der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an von Deutschland finanzierten Maßnahmen zählen. Ein allgemeiner Hinweis auf konfliktsensibles Handeln reicht nicht. Die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren wie Selbstverteidigungsmilizen stellt die Strategie allerdings zu Recht unter einen hohen Vorbehalt.
Die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft beruhen auf Regeln. Die transparente, gleichmäßige und konsequente Einhaltung dieser Regeln berührt das Rechtsstaatsprinzip. Auch hier erkennt die Bundesregierung an, dass eine rein technische Unterstützung von Gerichten, Strafvollzug und Rechtspflege nicht ausreicht, sondern politisch flankiert werden muss. Hilfreich ist auch, dass die Strategie auch nichtstaatliche Quellen von Recht anerkennt und Bedingungen für deutsche Unterstützung von informellen, traditionellen oder religiösen Rechtssystemen nennt. Zu diesen Bedingungen zählt ihre Ausrichtung an Frauen- und Minderheitenrechten.
Gleichwohl liest sich die Strategie wie eine Liste von Instrumenten und Handlungsfeldern, deren jeweiliges Ambitionsniveau die Bundesregierung nicht ausreichend reflektiert. So nennt sie die Zusammenarbeit mit China und Vietnam als Beispiele für Rechtsstaatsdialoge. Während einzelne Gesetzesvorhaben durch die Dialoge entschärft werden können, bleibt das von Staatsparteien kontrollierte System jedoch bestehen.
Die stärkste Reflexion findet sich in der Strategie zu Vergangenheitsarbeit und Versöhnung. Nach Krieg und Gewaltherrschaft kann schwelendes Unrecht Auslöser neuer Konflikte sein. Wahrheitskommissionen, Sondertribunale oder Entschädigungskommissionen können einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Die Strategie der Bundesregierung spricht dabei offen mögliche Spannungen zwischen Wahrheitsfindung, Strafrecht und Versöhnung als auch zwischen den Erwartungen verschiedener Opfergruppen, staatlicher Stellen und internationalen Akteuren an.
Deutlich wird, dass die Bundesregierung auf internationalen Lehren im Bereich Vergangenheitsarbeit aufbaut. Die Strategie konzentriert sich nicht allein auf strafrechtliche Aufarbeitung, sondern betont die Bedeutung des jeweiligen Kontexts und die Beteiligung von Opfergruppen. Allerdings verwundert, dass die Arbeit von deutschen Strafverfolgungsbehörden unerwähnt bleibt, die nach dem Weltrechtsprinzip Verbrechen in Drittstaaten aufklären können. Zu Verbrechen in Syrien, Irak und der Demokratischen Republik Kongo hat es bereits Prozesse in Deutschland gegeben.
Deutscher Mehrwert und nächste Schritte
Deutschland bewegt sich in keinem der drei Bereiche allein. Umso wichtiger ist eine klare Vorstellung davon, welchen Mehrwert deutsche Unterstützung im Vergleich zu nationalen und anderen internationalen Akteuren leisten kann, und wo die Bundesregierung ihre eigenen Prioritäten sieht. Hier unterscheiden sich die drei Strategien stark.
Die Strategie zur Vergangenheitsarbeit zeigt die größte Kohärenz. Sie identifiziert vier Bereiche für eine eigene Schwerpunktsetzung und ordnet ihr einzelne Maßnahmen unter. Die Bundesregierung will Vergangenheitsarbeit in eine „Präventionsagenda“ von politischen Reformen einbetten, Opfergruppen stärken und einbeziehen, Geschlechtergerechtigkeit in diesen Prozessen fördern und die spezifischen Erfahrungen Deutschlands beim Umgang mit der eigenen Erfahrung aus NS- und DDR-Unrecht nutzbar machen.
Im Bereich der Rechtsstaatsförderung erwähnt die Strategie, dass die Rechtsbindung von Verwaltungen im Vordergrund stehen soll. Allerdings wird dies nicht weiter erläutert oder als ordnendes Prinzip genutzt. Die SSR-Strategie kommt sogar ganz ohne Schwerpunktsetzung aus. Dies überrascht insofern, da sich die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte und das Prinzip der inneren Führung in der Bundeswehr als Erfahrungen anbieten würden.
Nach dieser konzeptionellen Ausarbeitung sollte der nächste Schritt darin bestehen, Aktionspläne zu jedem der drei Handlungsfelder aufzustellen. Denn noch wird kaum klar, wie die Dokumente die Arbeit der Bundesregierung in Zukunft tatsächlich verändern werden und wie sich die Ziele zum gesetzten Datum 2025 überprüfen lassen. Gesellschaftliche Transformationsprozesse sind stets von Unsicherheit und Rückschlägen gekennzeichnet, aber zumindest für die eigene Arbeit sollte die Bundesregierung messbare Indikatoren aufstellen.
Die Bundesregierung sollte ihre Prioritäten klären, diese mit Mitteln unterlegen und ihr Personal weiterbilden und ausreichend ausstatten. Deutsche Auslandsvertretungen in fragilen Staaten verfügen oft über zu wenig politische Referentinnen und Referenten. Sie müssen aber in die Lage versetzt werden, die deutschen Stabilisierungsprojekte zu verfolgen, wie es die Strategien vorsehen. Die beteiligten Ressorts sollten weiterhin eng mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten, die häufig seit Jahrzehnten in der Krisenprävention tätig sind. Über Indikatoren und Aktionspläne hinaus sollte der „gemeinsame Lernprozess“ weitergehen, wie bei der Jahrestagung des Beirats zivile Krisenprävention deutlich wurde.
Zudem muss die Bundesregierung auf ihre eigene Glaubwürdigkeit achten. Eine globale Handels-, Wirtschafts-, Klima- und Rüstungspolitik ist oft struktureller Konflikttreiber. Eine präventive Außenpolitik, die den Namen verdient, braucht nicht nur überprüfbare Strategien, sondern auch eine ganzheitliche Ausrichtung.