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18. Juli 2016

Neustart für die NATO-EU-Beziehungen

Hat der Warschauer Gipfel eine neue Phase der Zusammenarbeit eingeläutet?

Wieder einmal haben NATO und EU erklärt, dass sie sich besser abstimmen wollen. Das ist auch höchste Zeit. Denn der Brexit und die zahlreichen internationalen Konflikte machen eine verstärkte Kooperation und Koordinierung dringend erforderlich.

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Die Frage, wie ein konstruktives und partnerschaftliches Verhältnis zwischen EU und NATO zu erreichen ist, hat seit den Anfängen einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Ende der neunziger Jahre ganze Heerscharen von Politikwissenschaftlern und Diplomaten in Lohn und Brot gehalten. Doch weit ist man nicht gekommen. Obwohl nur 7,5 Kilometer Luftlinie zwischen beiden Institutionen liegen, entspricht die gefühlte Distanz immer noch der Entfernung zwischen Mars und Venus. Der ehemalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bezeichnete das Verhältnis beider Institutionen einmal treffend als „eingefrorenen Konflikt“.

Glaubt man der gemeinsamen Erklärung von EU und NATO kurz vor dem Warschauer Gipfel, soll sich dies nun endlich ändern: Die Rede ist u.a. von mehr abgestimmten Militärmanövern, der gemeinsamen Bekämpfung illegaler Migration und einem koordinierten Vorgehen bei der Bewältigung von hybriden sicherheitspolitischen Herausforderungen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonten einheitlich, wie sinnvoll es sei, deutlich enger als bislang zusammenzuarbeiten. Stoltenberg sprach gar von einer „historischen Entscheidung“. Zuvor hatte bereits die neue Globale Strategie der Europäischen Union proklamiert, die EU werde die Zusammenarbeit mit der NATO vertiefen und dabei besonderes Augenmerk auf „Komplementarität und Synergien“ richten. Hoffnungsvoll stimmt auch das besondere Gewicht, dass Juncker, Tusk und Stoltenberg auf die zugige Implementierung der beschlossenen Maßnahmen legen. Bis Dezember 2016 sollen erste Optionen für eine konkrete Umsetzung des Beschlossenen auf dem Tisch liegen.

Doch Achtung! Es ist nicht das erste Mal, dass beide Institutionen auf höchster Ebene Kooperationsbereitschaft signalisieren und ihre strategische Partnerschaft beschwören. Schon die „Berlin Plus“-Vereinbarung von 2003 wurde als Meilenstein in den beiderseitigen Beziehungen gefeiert. In der Praxis erwies sich „Berlin Plus“ allerdings eher als ein Dokument, das weitergehende Kooperation verhinderte, anstatt zu vereinfachen. Weitere Annäherungsbemühungen blieben seitdem ohne Ergebnis. De facto beschränkte sich die Zusammenarbeit vor allem auf den Bereich der Rhetorik. Skepsis ist also auch bei diesem neuerlichen Versuch angebracht, den andauernden Wettbewerb zwischen den Institutionen zu beenden.

Die USA haben ihre anfänglich ablehnende Haltung (no decoupling, no duplication, no discrimination) gegenüber einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik schon lange aufgegeben. Seit Jahren wären sie heilfroh über mehr europäisches Engagement, das die Europäer zum Krisenmanagement an der eigenen Peripherie befähigen und die amerikanischen Verteidigungslasten in Europa mindern würde. Sogar die Franzosen haben ihre traditionelle Skepsis gegenüber den USA zumindest zum Teil überwunden und sind 2009 in die militärische Struktur der NATO zurückgekehrt. Dennoch hat die Entspannung im Verhältnis USA–EU und Paris–Washington noch nicht zu einer engeren EU-NATO-Kooperation geführt. Zu viele Hürden und nationale Egoismen bleiben bestehen, zu denen auch der ungelöste Zypern-Konflikt gehört. Warum also sollte gerade jetzt ein Durchbruch möglich sein?

Zwei Punkte sprechen dafür: Erstens ist es nach dem Brexit-Referendum notwendig, die Briten im Zentrum der europäischen Sicherheit zu halten. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs verliert die EU einen außen- und sicherheitspolitischen Akteur, der zu den einflussreichsten der Welt gehört. Neben Frankreich verfügt das Land über den höchsten Wehretat und die größten militärischen Fähigkeiten innerhalb der EU. Das Vereinigte Königreich ist zudem sowohl Nuklearmacht als auch Vetomacht im UN-Sicherheitsrat. Schon jetzt ist absehbar, dass das Vereinigte Königreich nach dem Brexit weiter stark im Rahmen der NATO engagiert bleiben wird. Sollte sich künftig die geplante Zusammenarbeit zwischen EU und NATO intensivieren, beispielsweise bei der Bekämpfung illegaler Migration im Mittelmeer, könnte das Vereinigte Königreich als NATO-Mitglied genau das zugunsten der europäischen Sicherheit einbringen, was die europäische Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit durch den Austritt des EU-Mitglieds ansonsten verliert. Eine enge Kooperation zwischen EU und NATO könnte so die negativen Folgen des Brexit abmildern und zudem transatlantische Stärke und Geschlossenheit nach außen demonstrieren – gerade auch gegenüber Russland.

Zweitens fordern die vielen unterschiedlichen Krisen und Konflikte, bei denen innere und äußere sowie harte und weiche Bedrohungen miteinander verschmelzen, dringend eine Bündelung der Kräfte. Das gilt für den russischen Hybridkrieg, der mit Propaganda, dem Protestpotenzial der Bevölkerung und Cyberattacken operiert, ebenso wie für den sogenannten Islamischen Staat, der die Flüchtlingskrise zur Entsendung von Terroristen nutzt und mit Terroranschlägen die offenen Gesellschaften des Westens attackiert. Die Antwort auf diese diversen Bedrohungen muss ebenso hybrid sein wie die Bedrohungen selbst. NATO und EU sollten aufgrund ihrer unterschiedlichen Stärken als sich ergänzende, in konkreten Fällen miteinander verzahnte Organisationen operieren. Bei der Bewältigung der Ukrainekrise hat dies mit der militärischen Rückversicherung der ost- und mitteleuropäischen Bündnispartner durch die NATO und der Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die EU schon gut geklappt.

Leider war es in der gemeinsamen Geschichte von EU und NATO bis dato selten der Fall, dass das, was sinnvoll erschien, auch tatsächlich umgesetzt wurde. Man kann nur hoffen, dass der Warschauer Gipfel endlich eine neue Phase in den Beziehungen zwischen beiden Institutionen eingeläutet hat. NATO und EU können es sich in Zukunft schlichtweg nicht mehr leisten, aufeinander zu verzichten.

Bibliografische Angaben

Puglierin, Jana. “Neustart für die NATO-EU-Beziehungen.” July 2016.

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