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03. Apr. 2024

Neue Risikolandschaften – Klimawandel und internationale Sicherheit

Abbildung: Soldat steht vor einer Wüste
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Das von Wetterextremen geprägte Jahr 2023 hat gezeigt, alle Krisen und Konflikte der Gegenwart finden bereits in einem veränderten Weltklima statt. Dies stellt fragile, aber auch stabile Staaten vor wachsende Herausforderungen. So wurden tausende Menschen Opfer massiver Überflutungen durch einen Sturm in Derna, Libyen, als die von Missmanagement marode gewordenen Dämme schließlich barsten. Auch in westlichen Industriestaaten, wie den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada oder Griechenland erzeugten durch den Klimawandel begünstigte schwerste Waldbrände eine Überlastung der Krisenreaktionsinstrumente im vergangenen Jahr. Auch dort gab es Todesopfer und Vertriebene.

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Durch die zunehmenden Extreme entstehen zugleich große ökonomische Schäden und der Verlust natürlicher Ressourcen. Dies kann Konfliktkonstellationen herbeiführen oder verschärfen. Diese Interessenskonflikte müssen jedoch nicht in gewaltsamen Konflikten münden. Insbesondere in demokratischen Staaten stehen eine Reihe von Instrumenten zum Interessensausgleich zur Verfügung. Dazu gehören Grundrechte, der Minderheitenschutz und nicht zuletzt auch eine intakte Streitkultur. Zudem können soziale, landwirtschaftliche und Elementarschäden-Versicherungen die Resilienz erhöhen, sodass Schadensereignisse nicht sofort in existentielle Not führen. 

Doch manche gewaltsamen Konflikte werden in ihrer Entstehung oder in ihrem Verlauf von Extremwetterereignissen beeinflusst. So etwa in Syrien, wo eine rekordbrechende Dürre von 2007 bis 2010 dem Bürgerkrieg vorausging. Dem Assad-Regime gelang es nicht, die Auswirkungen der Dürre durch politische Maßnahmen im Landwirtschafts- und Wassersektor abzufedern. Im Gegenteil, ihr Missmanagement trug dazu bei, dass ein Großteil der Viehherden im Land verendete. Einkommensverluste im Landwirtschaftssektor lösten Binnenmigrationsbewegungen aus. Sie führten in syrische Städte, wo es einen Mangel an adäquatem Wohnraum gab und Brotpreise durch die Dürre in die Höhe schnellten. Der Unmut gegen das diktatorische Assad-Regime wuchs und Proteste, die auch im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings aufkeimten, wurden blutig niedergeschlagen. Der Konflikt eskalierte. 

Was die Geschichte Syriens jedoch auch zeigt, ist, dass Gewalthandlungen schlussendlich immer menschliche Entscheidungen sind und keine zwingende Konsequenz einer Naturkatastrophe. Dies bedeutet, dass die Verantwortung für den Ausbruch des Konflikts bei den handelnden Akteuren verbleibt, auch wenn sich die Risikolandschaft durch globale Treibhausgasemissionen verändert. Seit 2021 herrscht in Syrien wieder Dürre, was die Situation der ländlichen Zivilbevölkerung in dem vom Krieg gezeichneten Land weiter verschlechtert. Die Austrocknung des fruchtbaren Halbmonds, der Region in der auch Syrien liegt, entspricht den Trends der langfristigen Klimaprojektionen.

Wie zukünftig mit Vertreibung und Migration im Kontext des Klimawandels umgegangen wird, könnte vielerorts entscheidend für die gesellschaftliche Kohäsion werden. Schon im Jahr 2022 wurden laut dem Internal Displacement Monitoring Center weltweit über 32 Millionen Menschen durch Naturkatastrophen innerhalb ihrer Länder vertrieben. Insbesondere wetterbedingte Extremereignisse, wie etwa die zerstörerischen Überflutungen in Pakistan, zwangen Menschen zur Migration. Zwar stehen nicht alle Wetterextreme im Zusammenhang mit dem Klimawandel, doch die Intensität und Frequenz vieler Extreme steigt und durch das Bevölkerungswachstum ebenso auch die Zahl der Menschen, die in exponierten Gebieten leben. Gelingt der globale Ausstieg aus den fossilen Energien nicht rasch, drohen mehr und mehr Gebiete langfristig unbewohnbar zu werden. Ein Hochemissionsszenario würde zu massiven humanitären Notlagen führen, in denen Menschen nur durch Migration ihr Überleben sichern könnten. Zwar verläuft der überwiegende Teil der klimabedingten Migration innerhalb von Ländern und kann dort auch zur effektiven Anpassungsstrategie werden, jedoch würde bei hohen Temperaturanstiegen der Druck auf Außengrenzen weniger betroffener Staaten wachsen. 

Die ungleiche Verteilung der Verursachung und der Folgen des Klimawandels zwischen Industriestaaten und Ländern mit niedrigem Einkommen führt auch zu Herausforderungen für die internationale Ordnung. Je mehr Länder in ihrer Entwicklung durch zunehmende Klimafolgen zurückgeworfen werden, desto akuter werden Fragen um die internationale Finanzierung für Klimaanpassung und Verantwortungsübernahme für Verluste und Schäden. Wie bereits der ungenügende Zugang zu Covid-19-Impfstoffen für Entwicklungsländer gezeigt hat, birgt die unzureichende Bekämpfung der Klimakrise der Industriestaaten die Gefahr, dass andere normative Rahmen in Frage gestellt und Allianzen brüchig werden.

Deutschlands erste Nationale Sicherheitsstrategie, die 2023 verabschiedet wurde, verweist auf drei Säulen von Sicherheit: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Damit werden Klimafolgen, Biodiversitätsverlust und Ernährungsunsicherheit in der dritten Säule als Teil eines erweiterten integrativen Sicherheitsbegriffs als Handlungsfelder identifiziert. Auch im Kapitel zur Resilienz werden die Implikationen der Nachhaltigkeitstransformation sichtbar. Denn die Versorgung mit kritischen Rohstoffen über zuverlässige Lieferketten ist entscheidend für die Implementierung der Energiewende und die übergeordneten Zielen des Europäischen Green Deals. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine legte die bestehenden tiefgehenden Abhängigkeiten von Lieferanten fossiler Energien offen, die zu rasanten Energiepreisanstiegen führte. Durch die Diversifizierung von Lieferketten kritischer Rohstoffe und Technologien sowie der Nutzung von Umgebungsenergie über die Erneuerbaren sollten diese Verwundbarkeiten unseres Versorgungssystems mittelfristig reduziert werden und eine größere strategische Autonomie ermöglichen.

Im März 2024 veröffentlichte das Bundesministerium der Verteidigung die „Strategie Verteidigung und Klimawandel“, die anhand von acht verschiedenen Handlungsfeldern identifiziert, wie sich Ministerium und Bundeswehr auf die verschiedenen Folgen des Klimawandels vorbereiten sollen. Zwar befasste sich das Ministerium bereits in unterschiedlicher Weise mit den Folgen des Klimawandels, doch durch die Strategie erfolgt eine Verortung dieser Bemühungen in das breite Aufgabenfeld des deutschen Verteidigungssektors und eine Konkretisierung der noch groben Konturen der nationalen Sicherheitsstrategie im Hinblick darauf, was die Klimakrise für die Wahrung der Sicherheit in Deutschland bedeutet.

Zielsetzung des Dokuments ist, die militärische Einsatzbereitschaft auch unter veränderten Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Fest steht, dass diese schwieriger werden, denn in allen Emissionsszenarien des Weltklimarats (IPCC) wird die globale Mitteltemperatur in naher Zukunft erstmal weiter ansteigen. Die 1,5°-C-Erwärmungsgrenze, das untere Limit, das im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde, wird damit in jedem Fall erreicht und wahrscheinlich mittelfristig auch überschritten. Damit einher gehen gravierendere und häufigere Extremereignisse, aber auch erhöhte Eintrittswahrscheinlichkeiten von folgenschweren Veränderungen im Erdsystem, wie etwa das Auslösen bestimmter Kippprozesse. Dazu gehören zum Beispiel das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds, das sich auch auf das Zirkulationssystem im Ozean auswirken kann; oder der Verlust von tropischen Korallenriffen, welcher die Biodiversität in den Meeren und damit die Fischerei gefährden würde.

Während eine graduelle und moderate Zunahme von Extremereignissen als möglicherweise mittelfristig bewältigbar erscheint, sind es gerade disruptive, nichtlineare Ereignisse mit globalen Konsequenzen, die deutlich schwerer zu antizipieren und noch schwieriger zu managen wären. Deswegen ist es folgerichtig, dass die Strategie des Bundesministeriums der Verteidigung als erstes Handlungsfeld die Stärkung von Vorausschau und Krisenfrüherkennung nennt.

Deutschland ist dabei nicht das erste Land, dessen Sicherheitssektor sich mit Klimarisiken beschäftigt. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde etwa in der Nationalen Verteidigungsstrategie 2022 darauf eingegangen. Dies steht in langer Tradition verschiedener Berichte des US-Militärs zu den sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels, wie etwa den publizierten Klima-Strategien der US-Armee, Marine und Luftwaffe, und des Klimaanpassungsplans sowie der Klimarisikoanalyse des Verteidigungsministeriums von 2021. 

Um die Kooperation zwischen NATO-Staaten in diesem Bereich auszubauen und Fachexpertise im Bündnis zu teilen wurde 2023 in Montréal, Kanada, das NATO Climate Change Security Centre of Excellence eröffnet, an dem sich auch Deutschland beteiligt.

Ein bisher unzureichend adressiertes Thema bleibt die Frage der Emissionen, die durch das Militär entstehen und damit zu den destabilisierenden Folgen des Klimawandels signifikant beitragen. Zwischen 1 und 5 % der globalen Emissionen sind auf das Militär zurückzuführen. Dies ist vergleichbar mit der Höhe der Luftverkehrsemissionen. Die Datenlage ist in vielen Ländern dürftig und wird mit Sicherheitsbedenken begründet, wobei strittig ist, ob Emissionsbilanzen tatsächlich detaillierte Rückschlüsse auf die Verteidigungsfähigkeit zulassen.

Während der Einsatz erneuerbarer Energien die Treibstofflogistik in Auslandseinsätzen vereinfachen und die nationale Infrastruktur resilienter machen könnte, birgt das Festhalten an fossilen Energieträgern und die Unterfinanzierung von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich Risiken. Diese betreffen nicht nur die daraus resultierenden Schäden an der Atmosphäre, sondern auch die zukünftige Kompatibilität der militärischen und zivilen Energie- und Transportinfrastruktur, denn diese muss insbesondere in Krisenzeiten gewährleistet sein. Auch der Katastrophenschutz könnte langfristig von ressourcenschonenderen Instrumenten als etwa den üblichen Dieselgeneratoren zur Notversorgung profitieren. Diesem Aspekt wird auch die neue Strategie des Bundesministeriums der Verteidigung nur in Teilen gerecht, denn sie delegiert diese Fragen weitestgehend an ihre bereits existierende „Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie“. Die strategischen Synergien von Emissionsminderung und Klimaanpassung bedürfen zukünftig noch weiterer Betrachtung.

Insgesamt ist die neue Strategie ein wichtiger Schritt nach vorn, um den veränderten Rahmenbedingungen durch den Klimawandel sicherheitspolitisch Rechnung zu tragen. Wegen regional unterschiedlich ausgeprägten Klima-Risikoprofilen braucht es dringend ein umfassendes operationelles Verständnis der Schnittstellen von Klimawandel und Sicherheit. Um dem gerecht zu werden, muss vermehrt eine Bündelung von Kapazitäten, etwa in der NATO oder EU erfolgen und langfristige Ziele sollten mit kurzfristigen Zwängen in Einklang gebracht werden. Gelingt dies, könnte die Zeitenwende im Sicherheitssektor auch Signalwirkung für zivile Transformationsprozesse entfalten.

Bibliografische Angaben

Vinke, Kira. “Neue Risikolandschaften – Klimawandel und internationale Sicherheit.” German Council on Foreign Relations. April 2024.

Dieser Artikel wurde zuerst in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit & Technik" am 3. April 2024 veröffentlicht. 

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