Kommentar

27. Sep 2017

Nationalismus dient nicht der Nation

Deutschland sollte auf Macrons Europainitiative offen und entschieden reagieren

Frankreich ist zurück. Staatspräsident Emmanuel Macron hat sein Land in seiner Rede an der Universität Sorbonne als zupackende und visionäre Führungsmacht in Europa positioniert. Das ist eine sehr gute Nachricht für Deutschland. Paris packt die Weiterentwicklung der Europäischen Union an und dies mit einem Erneuerungsgeist, der für die EU eine große Chance ist – gerade in Zeiten herber Kritik von Rechts- wie Linkspopulisten.

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Souveränität gemeinsam zurückgewinnen

Die wohl wichtigste Botschaft für die Bürgerinnen und Bürger Europas war seine realistische Einschätzung, wie wenig Nationalstaaten in einer Welt, die von Krisen, Umbrüchen und Provokationen gekennzeichnet ist, heute noch leisten können – und warum wir ein stärkeres Europa brauchen, um Schutz, Stabilität und Gestaltungsfähigkeit zu sichern. Dies gilt offensichtlich für den Klimaschutz und Umweltfragen, genauso aber für die Sicherheit im umfassenden Sinne, für unsere Wirtschafts- und Finanzstabilität und in Bezug auf Europas noch unzureichende Antwort auf die anhaltende Migration.

Wie begrenzt die Handlungsfähigkeit einzelner Nationen und damit ihre nationale Souveränität angesichts der grenzüberschreitenden Herausforderungen heute sind, ist eine essentielle politische Botschaft. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund einer von zunehmend nationalistischen und populistischen Tönen gekennzeichneten Diskussion, die Illusionen nationaler Handlungsfähigkeit pflegt. Dass diese Einschätzung in dieser Klarheit gerade aus Frankreich kommt, ist bemerkenswert. Denn immer wieder wurde an der Seine nationale Souveränität als Grenze oder gar Gegenkonzept zu weiterreichenden europäischen Einigungsvorschlägen postuliert, etwa im Juni 2000 vom damaligen Staatspräsident Jacques Chirac in seiner Antwort auf die Humboldt-Rede, in der Außenminister Joschka Fischer im Monat zuvor seine Vision einer Europäischen Föderation vorgestellt hatte.

Pragmatismus in den Vorschlägen

Selten gab es eine Europarede, die politische Ambition und historisches Bewusstsein mit so konkreten und rasch umsetzbaren Initiativen verband. Das gilt etwa für Macrons Vorschlag einer europäischen Grenzpolizei, einer EU-Asylbehörde und eines gemeinsamen Programms zur Finanzierung und Ausbildung von Flüchtlingen. Die von ihm vorgeschlagenen Initiativen für eine europäische Geheimdienst-Akademie, eine engere Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der EU-Staaten und eine EU-Zivilschutzbehörde zur Bekämpfung der Folgen von Naturkatastrophen dürften ohne Öffnung der EU-Verträge möglich sein.

Macrons Vorstoß, größere Integrationsbemühungen auf die Eurozone zu konzentrieren, ist richtig und pragmatisch. Die Währungsunion ist weder krisensicher, noch funktioniert sie heute – in Zeiten relativer Erholung – zufriedenstellend. Der gemeinsamen Währung und Volkswirtschaft müssen weitere Instrumente gegeben werden, um ihre Nachhaltigkeit und die demokratische Legitimation der Währungsunion zu steigern. Selbstverständlich muss dabei eine akzeptable Balance zwischen nationaler Eigenverantwortung und gemeinsamer Handlungsfähigkeit gefunden werden. Dies wird keine einfache, aber notwendige Kompromissfindung zwischen unterschiedlichen Vorstellungen – auch zwischen Berlin und Paris – sein.

Doch hier, wie auch im Bereich der Sicherheit und Innen- und Justizpolitik, gilt: Die europäische Integration ist unvollständig und daraus ergeben sich Risiken, die Bürgerinnen und Bürger zu Recht wahrnehmen und kritisieren. Renationalisierungsschritte vorzuschlagen als Antwort darauf, dass eine unvollständige Integration Gefahren birgt und nicht ausreichend Schutz und Gestaltungskraft gewährleistet, ist zweifelsohne kurzsichtig. Doch kann sich diese Haltung weiter ausbreiten, wenn die EU und vor allem die Eurozone nicht in die Lage versetzt werden, bessere Ergebnisse zu liefern.

Führungswillen bewiesen

Macron hat mit seiner Rede nicht nur eine Vision aufgezeigt, sondern er hat auch Frankreichs Beitrag dazu konkret vorgezeichnet. Die Aufgabe beginnt im Inneren: Keinen Zweifel hat Macron im Wahlkampf und in den ersten Monaten seiner Amtszeit daran gelassen, dass die Grundvoraussetzung für mehr Europa ist, Frankreich zu reformieren und zukunftsfähig zu machen. In der Sorbonne sprach kein Präsident, der sich in Europa selbst bedienen möchte, sondern bereit ist, fürs große Ganze auch zu geben, im ureigenen, nationalen Interesse. Die wohl mutigste politische Aussage in diesem Zusammenhang war, dass die Gemeinsame Agrarpolitik auf den Prüfstand müsse – immerhin Europas ausgabenintensivte Politik, die einst geschaffen wurde, um Frankreichs Zustimmung zur Weiterentwicklung des Binnenmarkts zu sichern. Gemeinsam können Berlin und Paris nun beginnen, den EU-Haushalt zu einem wirksamen Instrument zu entwickeln und an den politischen Prioritäten der EU auszurichten. Dabei sollte auch die Konditionierung von Ausgaben durchdacht werden, etwa indem Zuwendungen an die Einhaltung von Reformvorgaben oder Prinzipien der Rechtstaatlichkeit geknüpft werden.

Was Europa jetzt braucht, ist eine Infragestellung von Strukturen und Politiken, die nicht zukunftsweisend sind, – und ein Abweichen von harten, nationalen Positionen, die genau diese notwendigen Reformen in der Vergangenheit verhindert haben. Und Europa braucht auch eine Öffnung nationaler Institutionen. So ist Macrons Vorschlag bemerkenswert, die französische Armee für Soldaten aus allen anderen EU-Ländern zu öffnen in der Hoffnung, dass andere Staaten diesem Beispiel folgen.

Die deutsche Antwort

Emmanuel Macron hat der Europadiskussion eine neue Dynamik verliehen. Entscheidend wird sein, dass diese Diskussion in den kommenden Monaten engagiert weitergeführt wird, unter Einbezug der Bevölkerungen und der nationalen und regionalen Parlamente. So wird sich herauskristallisieren, welche Vorschläge aus Macrons Feuerwerk Mehrheiten finden und welche hinzu kommen. Deutschland wird aufgrund der ausstehenden Regierungsbildung zunächst nicht konkret reagieren können. Das ist in Ordnung so, sofern Gesprächsbereitschaft gezeigt wird – und sofern Berlin hörbar die so wichtige Einsicht teilt, dass unser Haus Europa vervollständigt werden muss, damit es stehen bleibt.

Dabei ist es wichtig, jetzt keine roten Linien im Koalitionsvertrag zu ziehen, und die politische Aufmerksamkeit nicht auf die Ablehnung von Einzelvorschlägen, wie etwa ein Eurozonenbudget, zu konzentrieren. Beides würde von unseren Partnern so interpretiert werden, dass Deutschland sich unter dem Eindruck der AfD von einem starken Europa abkehrt. Berlin würde damit Mobilisierungs- und Gestaltungskraft verspielen.

Die Bundestagswahl hat nichts daran geändert, dass es im deutschen politischen und wirtschaftlichen Interesse liegt, Europa in Zeiten des Brexit zusammen zu halten und angesichts globaler Verwerfungen und wachsender Sicherheitsrisiken zu stärken. Deutschland muss jetzt mit Frankreich die Führungsrolle annehmen und mit den Staaten arbeiten, die diese Einsicht teilen. Das bedeutet, die historische Chance zu ergreifen und mit aller Kraft einen europäischen Konsens über die Politikfelder Sicherheit und Wohlfahrt hinweg zu zimmern. Er wird uns in einer unübersichtlichen Welt Stabilität und Souveränität zurückgewinnen lassen.

Bibliografische Angaben

Schwarzer, Daniela . “Nationalismus dient nicht der Nation.” September 2017.

DGAPstandpunkt 11, 27. September 2017, 3 S.

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