Gut zwölf Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes zum zivilen Solidaritätspakt (PaCS) scheinen die großen und leidenschaftlich geführten politischen Debatten in Frankreich zur rechtlichen Gleichberechtigung von homosexuellen Partnerschaften der Vergangenheit anzugehören. Dass eine zivilrechtliche Partnerschaft unabhängig von der sexuellen Orientierung möglich geworden ist, wird nicht mehr in Frage gestellt. So erscheint heute der Pathos der fünfstündigen Rede der christlichen Politikerin Christine Boutin, die verbalen Ausfälle des rechts-katholischen Abgeordneten Philippe de Villiers oder der herzzerreißende Auftritt der gaullistischen Roselyne Bachelot, die den Zivilpakt schluchzend gegen die Position ihrer eigenen Partei verteidigte, wie aus einer längst vergangenen Epoche.
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2012 hat keiner der Kandidaten eine Träne zu diesem Thema vergossen, zumal die engagierte Christine Boutin ihre Kandidatur zugunsten von Nicolas Sarkozy bereits Anfang des Jahres zurückgezogen hat. Angesichts der leisen Töne lässt sich auch weniger von einer Gesellschaftsdebatte sprechen, als vielmehr von mehreren Teildiskursen, die sich insgesamt dem Kampf gegen Diskriminierung zuordnen lassen. Das Sprechen über Gender im weiteren Sinne sowie über sexuelle Minderheiten beschränkt sich im Wahlkampf auf die gleichgeschlechtliche Ehe und auf den Umgang mit „Regenbogenfamilien“.
Frankreich im Rückstand
Angesichts der politischen Mehrheiten in den letzten zehn Jahren mag es kaum verwundern, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Frankreich auch weiterhin diskriminiert bleiben. Im europäischen Vergleich hinkt die französische Gesetzgebung hinterher. Zwar wurde der zivile Solidaritätspakt bis heute unter anderem im Steuerrecht teilweise der Ehe angepasst, doch abgesehen davon hat sich in der Amtszeit Nicolas Sarkozys entgegen mehrerer rühmlicher Ankündigungen des Präsidenten nichts getan. So versprach er in einem Interview bereits 2007 die Schaffung einer Zivilunion, ohne dass im Anschluss etwas Konkretes geschah.
Dabei schienen sich Anfang des letzten Jahres Veränderungen abzuzeichnen. Das Verfassungsgericht in Paris prüft seit November 2010, ob die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen sei. Am 28. Januar 2011 gab es bekannt, dass es zwar nicht gegen die Verfassung verstößt, gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe zu verwehren. Gleichzeitig sei dem Gesetzgeber aber freigestellt, ob er gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe ermöglichen will. Für einen kurzen Moment bestand daher die Chance einer Angleichung der rechtlichen Situation. Doch die Regierung unter Sarkozy sprach sich dagegen aus. Im Sommer 2011 dann lehnte seine konservative Regierungsmehrheit in der französischen Nationalversammlung entsprechend einen Gesetzentwurf der sozialistischen Opposition ab, der die Ehe von gleichgeschlechtlichen Partnern legalisieren wollte. Weite Teile des linken Lagers hatten diesen Antrag unterstützt, in der rechten Ablehnungsfront dagegen machten sich Abweichler bemerkbar. Einige Abgeordnete der bürgerlichen Regierungsmehrheit stimmten für die Einführung einer Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, andere enthielten sich. Zeichen eines Paradigmenwechsels bei den Rechten?
Der Kampf um homosexuelle Wähler
Etwa zeitgleich zur Parlamentsabstimmung am 26. Juni 2011 veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Ifop Zahlen, die auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung Frankreichs hindeuteten. So befürworteten in den neusten Umfragen 63 Prozent der Befragten die Einführung einer Ehe für homosexuelle Partner, während es 1996 lediglich 48 Prozent waren. Am 18. Januar 2012 veröffentlichte das Forschungsinstitut Cevipof eine Studie, die das Wahlverhalten Homosexueller zum Gegenstand hatte. Sie bescheinigte jenen Bürgern Frankreichs, die sich zu ihrer Homosexualität bekannten, dass sie bei den kommenden Präsidentschaftswahlen vermutlich eher links als bürgerlich rechts wählen werde. Eine Überraschung? Wohl kaum. Eine kleine Überraschung verbarg sich jedoch hinter der Aussage, dass sich etwa 17 Prozent der homosexuellen Wähler von den Wahlversprechen der extremen Rechten angezogen fühlten.
So kann sich das linke Lager bei der kommenden Wahl wohl der Mehrheit der schwul-lesbischen Wählerstimmen sicher sein. Was angesichts der seit Jahren bestehenden, relativ klaren Positionierung für eine rechtliche Gleichbehandlung von sexuellen Minderheiten eigentlich auf der Hand lag: Die wichtigsten Kandidaten des linken Spektrums sind sich weitestgehend einig. Der PS-Kandidat Hollande unterstreicht gern die Tatsache, dass er mitverantwortlich dafür war, dass die Ehe zwischen homosexuellen Partnern in das Programm des PS anlässlich der letzten Präsidentschaftswahl 2007 einfloss. Und auch die Grünen plädieren für eine Öffnung der Ehe und des Adoptionsrechts. Die Präsidentschaftskandidatin der Partei Eva Joly verspricht, binnen der ersten 100 Tage einer möglichen Amtszeit beide Punkte umzusetzen. Jean-Luc Mélenchon engagiert sich seit langem für die rechtliche Gleichstellung Homosexueller. Der Kandidat des Parti de Gauche formulierte bereits 1990 – also neun Jahre vor der Verabschiedung des Zivilen Solidaritätspakts (PaCS) – in seiner Funktion als PS-Senator den Gesetzesvorschlag eines „contrat de partenariat civil“, der sich an hetero- und homosexuelle Paare ebenso wandte wie an Personen, die in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen. So setzt er sich auch im Rahmen der aktuellen Kampagne sowohl für die Öffnung der Ehe als auch für die Gleichstellung im Adoptionsrecht ein.
Doch inzwischen schielt auch so manches UMP-Parteimitglied auf die Wählerstimmen der sexuellen Minderheiten. Wenige Tage vor Veröffentlichung der Ergebnisse der Cevipof-Studie titelte die Tageszeitung Libération feierlich, das Sarkozy über ein Ja zur Homoehe nachdenke, was solch heftige Reaktionen im Regierungslager verursachte, dass Sarkozy (ob aus Überzeugung oder nicht) die brisante Meldung dementieren ließ. Nach wie vor diskutiert die UMP über Teillösungen der rechtlichen Angleichungen, wie beispielsweise eine Zivilunion oder die Stiefkindadoption. Auch rechtsaußen bemüht man sich um schwul-lesbische Wählerstimmen. So spricht sich Marine Le Pen zwar gegen eine Öffnung der Ehe und gegen das Adaptionsrecht aus, befürwortet aber den PaCS und versucht immer wieder, einen gemeinsamen Feind heraufzubeschwören – nämlich die vermeintlich homophobe muslimische, arabische und schwarze Bevölkerung.
Traditionelles Unwohlsein bei Minderheitenpolitiken
Nicht erst die Debatten, die der Verabschiedung des PaCS im Jahr 1999 vorausgingen, haben gezeigt, dass man sich in Frankreich von jeher mit Partikularinteressen und der mit ihr einhergehenden Minderheitenpolitik schwer tut. Eine Lösung wie in Deutschland – eine eingetragene Lebenspartnerschaft eigens für Homosexuelle – wäre kaum möglich gewesen. So ist es löblich, dass nun zwölf Jahre später neben der Aufforderung zum Kampf gegen Homophobie, zur rechtlichen Neuregelung im Bereich der Transsexualität und zur Öffnung der künstlichen Befruchtung für „alleinlebende Frauen“ auch die „großen“ Themen Homoehe und Adoption ihre Befürworter finden. Die Hysterie hingegen wird wohl ausbleiben. Doch dies ist angesichts des alles beherrschenden Themas Wirtschafts- und Finanzpolitik wohl auch wenig verwunderlich.
Carsten Främke ist Associate Fellow am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und war von 2009 bis 2011 Mitarbeiter im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen.