27. Jan. 2025

Mehrheit der Deutschen unterstützt Änderungen an der Schuldenbremse

Schuldenbremse Grafik 1

Lange Zeit war die Zustimmung der Deutschen zur Schuldenbremse unbestritten. Doch eine neue Forsa-Umfrage im Auftrag der DGAP zeigt, dass nun eine Mehrheit der Deutschen, einschließlich CDU-Anhänger, eine Reform der Schuldenbremse wünscht, um Berlin die Aufnahme zusätzlicher Schulden für Investitionen zu ermöglichen. 

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Die Deutschen sind fiskalisch konservativ und parteiübergreifend starke Befürworter der 2009 eingeführten Schuldenbremse: Diesen Eindruck vermittelten eine Reihe von Umfragen in den letzten 10 Jahren.  

Die Haltung der deutschen Wähler zur verfassungsmäßigen Schuldenbremse scheint sich jedoch spürbar zu verändern. Laut einer neuen repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) spricht sich erstmals eine Mehrheit der Deutschen für eine Anpassung der Schuldenbremse aus. 

Laut der der im Januar 2025 durchgeführten Umfrage sind 55 Prozent der Deutschen dafür, die Schuldenbremse zu reformieren, damit Berlin mehr Schulden aufnehmen kann, um höhere Investitionsausgaben zu finanzieren, oder sie gar ganz abzuschaffen. Eine Minderheit von 41 Prozent spricht sich dafür aus, die Schuldenbremse unverändert beizubehalten. 

Unterstützung über Parteigrenzen hinweg 

Zwei Ergebnisse der Umfrage sind besonders bemerkenswert: 

Erstens zeigt die Umfrage, dass 55 Prozent der CDU-Wähler aus dem Mitte-Rechts-Lager und sogar 41 Prozent der FDP-Wähler eine Lockerung oder Abschaffung der Schuldenbremse befürworten. 

Zwar ist die Unterstützung für eine Reform bei den Wählern der SPD (66 Prozent) und der Grünen (85 Prozent) deutlich höher, doch zeigt sich, dass das Thema keine reine Links-Rechts-Frage ist – auch wenn es häufig so dargestellt wird. 

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Zweitens: Die 55 Prozent, die sich in der Januar-Umfrage für eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse aussprechen, stellen eine deutliche Verschiebung gegenüber November 2024 dar. Vor zwei Monaten unterstützten laut eine älteren Forsa-Umfrage lediglich 44 Prozent eine Änderung der Schuldenbremse. Im Juli 2024 lag dieser Anteil sogar nur bei 32 Prozent. 

Deutsche wollen mehr öffentliche Investitionen 

Der Meinungsumschwung der Deutschen in Bezug auf die Schuldenbremse lässt sich möglicherweise durch die Debatte über die Finanzpolitik erklären, die während der Amtszeit der scheidenden Regierung geführt wurde. 

Ein zentrales Element des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 war der außerbudgetäre Klima- und Transformationsfonds, der eingerichtet wurde, um die Schuldenbremse zu umgehen. Im November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Fonds jedoch für verfassungswidrig. Dieses Urteil führte zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition, was letztlich die FDP dazu veranlasste, die Koalition wegen des Haushalts 2025 zu verlassen. 

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die anhaltende Stagnation der deutschen Wirtschaft seit fünf Jahren haben auch eine umfassende Debatte in der Bundes- und Landespolitik über die Notwendigkeit einer Reform der Schuldenbremse angestoßen. Im vergangenen Jahr haben der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Deutsche Bundesbank und mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute zahlreiche Ideen und Vorschläge zur Modernisierung der Schuldenbremse präsentiert. 

Abgesehen von der Debatte über die Schuldenbremse könnte die veränderte Einstellung der deutschen Wähler auch durch einen breiten Konsens über die Notwendigkeit höherer öffentlicher Investitionen erklärt werden. 

Laut der Umfrage wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen mehr Investitionen in Bildung (87 Prozent), Verkehr (67 Prozent), Gesundheit (65 Prozent), innere Sicherheit (63 Prozent), Verteidigung (57 Prozent) und Energieinfrastruktur (53 Prozent). Im Gegensatz dazu befürwortet nur eine Minderheit erhöhte Ausgaben für Klima- und Umweltschutz (40 Prozent) sowie soziale Sicherheit (39 Prozent). Dies deutet auf eine klare Rangfolge der Prioritäten für eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben hin. 

Bemerkenswert ist, dass die Unterstützung für höhere Investitionen parteiübergreifend besteht. So spricht sich eine Mehrheit der CDU-Wähler für mehr Investitionen in Bildung (89 Prozent), innere Sicherheit (67 Prozent), Verteidigung (67 Prozent), Verkehr (65 Prozent), Gesundheit (52 Prozent) und Energieinfrastruktur (53 Prozent) aus. Gleichzeitig befürwortet nur eine Minderheit der CDU-Wähler erhöhte Ausgaben in den Bereichen Energie (46 Prozent), Klima (35 Prozent) und soziale Sicherheit (27 Prozent). 

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Schulden aufnehmen statt auf Investitionen verzichten 

Frühere Umfragen haben häufig die Frage nach einer Reform der Schuldenbremse zu stark vereinfacht, indem sie sie binär und ohne Berücksichtigung der zugrunde liegenden politischen Kompromisse gestellt haben. 

In unserer Umfrage haben wir daher auch versucht, die Zielkonflikte deutlicher herauszuarbeiten, indem wir die Befragten gefragt haben, wie sie die von ihnen als notwendig erachteten zusätzlichen Investitionen am liebsten finanzieren würden. Die Ergebnisse zeigen, dass 59 Prozent der Deutschen Einsparungen in anderen Haushaltsbereichen bevorzugen, 21 Prozent mehr Schulden aufnehmen würden und 13 Prozent bereit wären, die Steuern zu erhöhen. 

Das Problem liegt jedoch darin, dass der Spielraum für Ausgabenkürzungen in Deutschland begrenzt ist. Laut dem Bundesrechnungshof sind 90 Prozent des Bundeshaushalts 2024 für „feste Ausgaben“ wie Renten und Gehälter vorgesehen. Nur 10 Prozent (etwa 47,7 Milliarden Euro oder 1 Prozent des BIP) entfallen auf Ermessensausgaben, bei denen mittelfristig Einsparungen möglich wären. 

Die DGAP-Forsa-Umfrage zeigt zudem, dass es in keinem der untersuchten Bereiche Mehrheiten für Ausgabenkürzungen gibt. Am ehesten wären die Deutschen bereit, bei Klima und Umwelt (21 Prozent) zu sparen, gefolgt von sozialen Sicherungssystemen (19 Prozent), Verteidigung (14 Prozent) und Energie (7 Prozent). Es scheint kaum möglich, breite Mehrheiten für Kürzungen bei Sozialausgaben oder Renten zu finden – Maßnahmen, die jedoch notwendig wären, um substanzielle finanzpolitische Spielräume zu schaffen. 

Wir haben die Deutschen daher gefragt, was der Staat tun sollte, wenn Investitionen nicht allein durch Einsparungen finanziert werden können. Eine deutliche Mehrheit von 56 Prozent würde dann neue Schulden aufnehmen wollen, während 38 Prozent lieber auf Investitionen verzichten würden. 

Die Ergebnisse nach Parteizugehörigkeit verdeutlichen erneut, dass es kein klares Links-Rechts-Gefälle gibt. So würden 64 Prozent der CDU-Wähler neue Schulden befürworten, während nur 32 Prozent auf Investitionen verzichten möchten. Ähnlich verhält es sich bei den SPD-Wählern, von denen 70 Prozent für mehr Schulden und 25 Prozent für den Verzicht auf Investitionen sind. 

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Eine fiskalische Zeitenwende 

Die deutsche Politik und Wirtschaft durchlaufen derzeit eine Phase tiefgreifenden Wandels. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Jahr 2022 und dessen Folgen und der Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump steht Deutschland vor der dringenden Aufgabe, mehr Verantwortung für seine Sicherheit zu übernehmen und die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. 

Das traditionelle, exportorientierte Wirtschaftsmodell Deutschlands stößt zunehmend an seine Grenzen, da Handelspartner protektionistischer agieren und sich Geschäftsmodelle weltweit wandeln. Um das Wachstum in Deutschland neu anzukurbeln, sind weitreichende Veränderungen notwendig – von der Unterzeichnung neuer Freihandelsabkommen bis hin zur Liberalisierung starrer Arbeitsgesetze. Gleichzeitig sind jedoch Investitionen in die Infrastruktur und den Energiesektor unverzichtbar, um das Produktivitätswachstum zu steigern und die Binnennachfrage zu stützen. 

Der in der Umfrage ermittelte zusätzliche Ausgabenbedarf betrifft zahlreiche Bereiche, von Verkehr bis Verteidigung. Dies legt nahe, dass eine umfassende Reform der Schuldenbremse erforderlich sein könnte – statt lediglich neue Investitionen durch außerbudgetäre Fonds wie das 2022 beschlossene 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Verteidigung zu ermöglichen. Viele der identifizierten Investitionsbedarfe fallen zudem in die Zuständigkeit der Bundesländer oder Kommunen. Experten betonen, dass gerade im Verteidigungsbereich ein langfristiger Ausgabenhorizont von mindestens zehn Jahren nötig ist, um Planungssicherheit zu gewährleisten und Kapazitäten nachhaltig auszubauen. 

Die Deutschen scheinen selbst zu erkennen, dass die Welt der alten Gewissheiten nicht mehr existiert. Ihre Politik und damit auch die Finanzpolitik muss sich entsprechend ändern. Dass mittlerweile eine Mehrheit der Deutschen eine Reform der Schuldenbremse unterstützt, um mehr Investitionen zu ermöglichen, zeigt ihre Bereitschaft für eine finanzpolitische Zeitenwende. Die nächste Bundesregierung kann auf die Unterstützung der Öffentlichkeit zählen, wenn sie einen „großen Kompromiss“ verfolgt, der Einsparungen bei bestehenden Ausgaben mit einer Modernisierung der Schuldenbremse verbindet. 

Hinweis: Die Forsa-Umfrage wurde zwischen dem 10. und 14. Januar 2025 mit einer repräsentativen Stichprobe von 1.001 Deutschen ab 18 Jahren durchgeführt. Die vollständigen Ergebnisse sind hier abrufbar. 

Bibliografische Angaben

Vallée, Shahin, and Joseph de Weck. “ Mehrheit der Deutschen unterstützt Änderungen an der Schuldenbremse .” German Council on Foreign Relations. January 2025.

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