In der Corona-Krise stehen viele Staaten unter Druck. Wie unter einem Brennglas geschärft werden Risiken für Gewalt, Instabilität, staatliche Machtlosigkeit und Repression sichtbar. Die Situation im Sudan, wo massenhafte Proteste im vergangenen Jahr Präsident Bashir nach 30 Jahren Diktatur stürzten, zählt dazu. Deutschland wird Ende Juni eine internationale Partnerschaftskonferenz für den Sudan ausrichten. Im Sinne einer strategischen Außenpolitik sollte die Bundesregierung dabei internationale Erfahrungen berücksichtigen und ein Leitmotiv definieren: Krisenprävention.
Sudans Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Bashir hatte versucht, sich mit massenhaften Ausgaben und Privilegien für den Sicherheitssektor an der Macht zu halten – am Ende vergeblich.
TIEFE WIRTSCHAFTSKRISE NAGT AN DER ÜBERGANGSREGIERUNG
Die Not ist groß. Die Hyperinflation frisst die zu geringen Löhne auf, viele Sudanesen können sich selbst die hochsubventionierten Güter des täglichen Gebrauchs nicht mehr leisten. Fast ein Viertel der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der sudanesische Staat kann die sich ausbreitende Krise nicht abwenden: Die Staatskasse ist leer. Die letzten Devisenreserven wurden für teure Subventionen von Kraftstoffen, Weizen, Medizin und andere Güter ausgegeben, die zum Großteil importiert werden. Corona verschlimmert die Krise. Sudan hat 90 bestätigte Covid-19 Todesfälle, aber für die über 42 Millionen Sudanesen gibt es weniger als 200 Intensivbetten. Es droht der Kollaps des Gesundheitssystems. Anhänger des alten Regimes und Mitglieder der Sicherheitskräfte bringen sich in Stellung, um die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung auszunutzen.
Die Übergangsregierung hat in den vergangenen Wochen begonnen, ein weitgehendes wirtschaftliches Reformprogramm auszurollen. Löhne in der öffentlichen Verwaltung wurden um über 500 % erhöht, Zollschlupflöcher geschlossen und Planungen für ein soziales Sicherungssystem begonnen. Zur Finanzierung dieser Reformen braucht die Regierung internationale Unterstützung. Diese zu besorgen, wird im innersudanesischen Machtgefüge weitgehend als Verantwortung des international gut vernetzten Premierministers Abdalla Hamdok gesehen. Eine Geberkonferenz, begleitet von glaubwürdigen Reformen, würde die zivile Seite gegenüber dem Sicherheitssektor stärken, auch wenn sie nicht alle Probleme des Übergangsprozesses lösen kann.
EINE GEBERKONFERENZ IST FOLGERICHTIG
Eine Geberkonferenz zur Finanzierung des Reformprogramms im Sudan ist bereits seit längerem geplant, doch bislang konnte sich kein Gastgeber finden. Deutschland hat eine herausragende Rolle für den Übergangsprozess gespielt. Es hat die diplomatische „Friends of Sudan“ Gruppe mitgegründet, aufbauend auf Mediationsbemühungen in Darfur. Außenminister Maas war der erste hochrangige internationale Besucher bei der Übergangsregierung im September 2019, gefolgt von Entwicklungshilfeminister Müller und Bundespräsident Steinmeier Anfang 2020. Es ist folgerichtig, eine Partnerschaftskonferenz auszurichten - zusammen mit der EU, den UN und Sudan.
INTERNATIONALE LEHREN
Die Bundesregierung muss jedoch Acht geben, die von ihr selbst geschürten Erwartungen auch zu erfüllen. Vier Aspekte gilt es dabei besonders in den Blick zu nehmen.
Erstens sollte die Geberkonferenz der Komplexität der Situation im Sudan Rechnung tragen. Humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Friedenskonsolidierung und makroökonomische Stabilisierung müssen miteinander als „Nexus“ vereinbart werden, trotz unterschiedlicher Finanzierungs- und Steuerungsmechanismen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Ressorts nur nach den jeweiligen Logiken dieser Mechanismen arbeiten. Ein übergreifender Fokus auf Krisenprävention würde beispielsweise untermauern, dass Sudans Wirtschaft dringend Stabilisierungsmaßnahmen braucht, damit der Übergangsprozess ein Erfolg wird.
Mangelnde Transparenz und Mitsprache könnten die Legitimität des Konferenzergebnisses gefährden.
Zweitens sollte die Bundesregierung zusammen mit ihren internationalen Partnern wie den Vereinten Nationen eine möglichst breite Konsultation zur Begleitung der Konferenz sicherstellen. Während der Austausch auf zwischenstaatlicher Ebene bereits eng verzahnt ist, kommt es darauf an, auch zivilgesellschaftliche und andere nicht-staatliche Akteure im Sudan und in der sudanesischen Diaspora zu berücksichtigen. Mangelnde Transparenz und Mitsprache könnten die Legitimität des Konferenzergebnisses gefährden. Statt weitreichender Reformen finanziert durch die Geber droht dann die nächste Staatskrise.
DEUTSCHLANDS BEITRAG
Drittens muss Deutschland seine eigenen Ansätze stärker bündeln und vernetzen, sind doch die eigenen diplomatischen Kapazitäten knapp. Die Botschaft in Khartum verfügt über einen exzellenten Ruf, das gesamte Führungspersonal wird die Botschaft jedoch im Rahmen der Rotation im Sommer verlassen. Gleichzeitig haben Goethe Institut und Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihren Büros in Khartum hervorragende Kontakte in die Protestbewegung. Die deutsche staatliche Entwicklungshilfe ist in mehreren Regionen des Sudan mit insgesamt über hundert Mitarbeitern aktiv. Die Max-Planck-Stiftung unterstützt die Bemühungen zu einer neuen Verfassung. Siemens investiert in den Energiesektor im Sudan. Hier braucht es mehr Austausch und Koordination in Vorbereitung der Geberkonferenz.
Zuletzt wird die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung als Gastgeberin von ihrem eigenen finanziellen Beitrag abhängen. Auch hier kommt es auf vernetztes Denken an. Bereits im Februar versprach Entwicklungsminister Müller 80 Millionen Euro, um Landwirtschaft, Good Governance, Energie und Ausbildung zu fördern. Diese Mittel werden aber erst mittel- bis langfristig wirken. Zuerst muss die Wirtschaftskrise gestoppt werden. Deutschland sollte Wege finden, sich substanziell an einem Geberfonds zur Stabilisierung der sudanesischen Wirtschaft insbesondere durch ein Familienunterstützungsprogramm zu beteiligen.
Die Corona-Krise scheint innersudanesische Entscheidungsprozesse beschleunigt zu haben. Deutschland hat die Chance, einen gewichtigen Beitrag für Sudans Weg zu nachhaltiger Stabilität und einer offenen Gesellschaft zu leisten. Das dafür nötige vernetzte Handeln wäre auch ein Zeichen für eine strategischere deutsche Außenpolitik.