Die Infrastruktur des Internets ist das Rückgrat unserer digitalen Welt. Auf ihr fußt das Internet als „Netz der Netze“ , welches weltweit Voraussetzungen für gesellschaftliche Vernetzung und wirtschaftliche Entwicklung schafft. Als eines der am meisten globalisierten Länder der Welt profitiert Deutschland in besonderem Maße von dieser Infrastruktur. Sie ist die Basis für den Onlinehandel, der 2019 rund €100 Milliarden zum BIP beitrug, und Deutschlands führende Rolle in der Industrie 4.0.
Doch die Internet Governance – das heißt die Verwaltung und Entwicklung dieser Infrastruktur – steht vor wichtigen Weichenstellungen. Sie befindet sich im Spannungsverhältnis zweier Visionen des Internets – eine offen und dezentral, eine nationalstaatlich und zentralisiert – sowie machtpolitischer Risse, vor allem zwischen den USA und China. Diese Dynamiken drohen den Kern des Internets als globales öffentliches Gut zu untergraben – und damit ein Kerninteresse Deutschlands ernsthaft zu tangieren.
Rahmenbedingungen
Ein Internet, zwei Visionen, viele Akteure
Ein offenes und globales Internet ermöglicht jedem Gerät, Datenpakete mit jedem anderen Gerät weltweit auszutauschen. Voraussetzung dafür ist seine logische (z. B. TCP/IP-Protokollfamilie, DNS) und physische (z.B. Unterseekabel) Infrastruktur. Die Governance dieser Infrastruktur – also „des“ Internets – tritt häufig hinter inhaltliche und gesellschaftliche Fragen „im“ Internet, etwa der Regulierung von Internetdiensten zurück.
Die Internet Governance fußt auf dem Multistakeholder-Modell. In diesem treiben Akteure aus technischer Community, Wirtschaft, Zivilgesellschaft sowie Regierungen gemeinsam die Entwicklung des Internets in spezialisierten Institutionen voran, in der Regel beruhend auf „grobem Konsens“. Die Internet Engineering Task Force (IETF) etabliert beispielsweise einheitliche Protokolle und Standards. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) verwaltet wiederum zentrale Funktionen wie das Domain Name System (DNS) – das Telefonbuch des Internets. Die Internet Society (ISOC), eine NGO, steuert die Pflege und Weiterentwicklung des Internets.
Doch politische Kräfte wirken mit zunehmender Vehemenz auf dieses Institutionengefüge ein. Im Kern stehen sich zwei Visionen des Internets gegenüber. Deutschland und die EU treten gemeinsam mit den USA für ein Internet ein, das dezentral durch Multistakeholder-Institutionen verwaltet wird. Durch die Entstehungsgeschichte des Internets besetzen westliche Teilnehmende bis heute wichtige Positionen in diesen Institutionen.
Dagegen strebt eine Gruppe von Staaten, darunter China und Russland, eine Verlagerung der Internet Governance in die Internationale Fernmeldeunion (ITU) an, wo Entscheidungen nationalstaatlich bestimmt werden. Dort stellt China zurzeit den Generalsekretär, während Russland das Ziel hat, diesen Posten 2022 zu übernehmen. Im Mai betonte US-Außenminister Antony Blinken daher die globale Bedeutung personeller Entscheidungen an der ITU-Spitze.
Herausforderungen
Das Fundament des globalen Internets wackelt
Technische Entwicklungen, politische Ziele und kommerzielle Interessen sind im Internet eng verflochten. Eine Kernherausforderung ist es, der Ausweitung von Fragmentierungstendenzen „im“ Internet in das Fundament „des“ Internets entgegenzuwirken.
Die logische Infrastruktur ist bereits Teil des Strebens nach einem nationalstaatlich organisierten Internet. Russland baut ein nationales DNS auf und plant noch dieses Jahr darüber autonom Anfragen abwickeln zu können. Chinas Absicht, seine Kontrolle über das Internet auszubauen, schließt ebenfalls das DNS ein. Mit „NewIP“ bringt ein chinesisches Unternehmen (Huawei) zudem eine Initiative zur Erneuerung der Internet-Protokollfamilie in die ITU ein, die staatliche Kontrollmöglichkeiten – so die Befürchtung – tief in das Herz des Internets tragen könnte.
Die physische Infrastruktur droht sich entlang der strategischen Rivalität zwischen den USA und China auszurichten. Die Warnungen der USA vor dem Peace-Kabel, das China über Pakistan mit Europa verbindet, zeigen, dass dies auch Europas Konnektivität unmittelbar berührt. Insgesamt besteht in diesem Bereich eine hohe Abhängigkeit von Betreibern außerhalb der EU und dem Zugriff anderer Staaten auf diese. Bereits 2018 besaßen oder leasten allein Amazon, Facebook, Google und Microsoft mehr als die Hälfte der weltweiten Untersee-Bandbreite. Bei der fortschreitenden Vernetzung durch LEO-Satelliten zeichnet sich eine ähnliche Dominanz außereuropäischer Firmen ab.
Empfehlungen
Prioritäten für eine deutsche Internet-Außenpolitik
Die Bundesregierung sollte die außenpolitische Bedeutung der Internet-Infrastruktur hervorheben. Zusammenhänge zwischen Heraus- forderungen „des“ Internets und „im“ Internet sollten greifbar gemacht und in der Ressortarbeit (v. a. BMWi, AA und BMI) gespiegelt werden.
Zur Unterstützung des Multistakeholder-Modells sollte sich der Bundestag für eine Stärkung des Internet Governance Forums (IGF) als zentralen Ort für politischen Austausch einsetzen, etwa durch Ausbau des Parlamentarier-Tracks. Weitere Orientierung bietet ein Bundestagsbeschluss anlässlich des IGF 2019 in Deutschland und ein deutsch-emiratisches Options Paper für ein IGF „Plus“.
Um offene Flanken für die Einbettung politischer Ziele zu schließen, sollte Deutschland die technische Weiterentwickelung des Internets fördern, unter anderem durch Unterstützung der technischen Community. Dabei sollten Leistungsfähigkeit, Resilienz und Sicherheit, etwa des DNS (z.B. DNSSEC), Routing (z.B. BGPsec) und physischen Netzes, stets im Sinne eines interoperablen Internets vorangetrieben werden. Das BELLA-Kabel ist als EU-Initiative beispielhaft.
Mittelfristig ist ein breiter Konsens für ein offenes und globales Internet entscheidend. Der Dialog mit Partnern, etwa innerhalb der EU, im EU-US Trade and Technology Council und während der deutschen G7-Präsidentschaft 2022, bleibt zentral. Zudem sollte die Bundesregierung Entwicklungschancen durch ein offenes Internet betonen und „digitale Entscheider-Staaten“ des globalen Südens priorisieren. Die bilateralen Cyber- und Digital-Dialoge des AA und BMWi (z.B. mit Brasilien & Indien) und die Entwicklungszusammenarbeit des BMZ mit Afrika sind hierbei wichtige Instrumente.