Wenn fehlende staatliche Rahmensetzung ursächlich dazu beigetragen hat, dass die Finanzmärkte nicht mehr richtig funktionieren und diese mittlerweile politische Krisen auslöst, dann gibt es nur einen Ausweg aus dem Teufelskreis: Die Anstrengungen müssen sich darauf konzentrieren, sukzessive Handlungsfähigkeit auf nationaler und insbesondere auch auf internationaler Ebene wiederzugewinnen.
Zwar lag mit dem Aktionsplan des nach Ausbruch der Krise ins Leben gerufenen internationalen Financial Stability Forum (FSF) ein umfassender Katalog an Reformmaßnahmen vor, um die Eigenkapitalvorschriften, Liquiditätsregeln, Derivate- und Verbriefungsmärkte neu zu regeln. Doch die in vielen Ländern getroffenen Maßnahmen standen unter dem Eindruck vermeintlicher Finanzinteressen und sind in ihrer Wirksamkeit umstritten.
Bei diesen Auseinandersetzungen sollten wir jedoch die internationalen Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren: nämlich die Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtbalance zugunsten der Schwellenländer. Dass in einer internationalen Organisation wie dem Internationalen Währungsfonds nunmehr die Stimmquoten zugunsten bislang unterrepräsentierter Schwellenländer neu verteilt wurden, ist nur ein Beispiel dieser Machtverschiebung.
Doch nicht nur die westlichen Staaten, sondern auch die asiatischen Schwellenländer haben unter anderem auch wegen der sinkenden Nachfrage aus den Industriestaaten gelitten, wie die Analysen der einzelnen Länder im aktuellen Jahrbuch zeigen. Die Finanzkrise führte zu starken Einbrüchen im Handel, bei den Direktinvestitionen sowie den Finanzströmen. Die Liquiditätsklemme an den Finanzmärkten hat sich negativ auf den Handel ausgewirkt.
Wie die Fallstudien des Jahrbuchs verdeutlichen, besteht weiterhin für viele Länder die Versuchung, sich mit protektionistischen Maßnahmen kurzfristige Erleichterungen für die eigene Volkswirtschaft zu verschaffen. Die Welthandelsorganisation (WTO) steht bereits heute Exportrestriktionen, etwa auf Agrarprodukte, Mineralien und Metalle, wegen eines unzureichenden Regelwerks machtlos gegenüber.
Ebenso wenig kann die WTO gegen Diskriminierungen bei staatlichen Aufträgen und Wechselkursmanipulationen ausrichten. Problematisch sind auch mittelbar protektionistisch wirkende Maßnahmen: diskriminierende staatliche Interventionsprogramme, die die Nachfrage in bestimmten Sektoren stützen sollen oder selektiv wirksame Investitionsanreizsysteme.
Deutschland gewinnt vor allem im EU-Rahmen Stärke und das nötige Gewicht, wenn es darum geht, mit größeren Handelsblöcken in Verhandlungen zu treten. „Die Europäische Union ist das Mittel, den Europäern in der Welt eine Stimme zu geben“, fordert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in seinem Jahrbuch-Beitrag. Die Anforderungen und Erwartungen an Deutschland als stärkste Wirtschafts- und politische Führungsmacht der EU sind gestiegen. Nach anfänglichem Zögern hat die Bundesregierung diese Rolle auch akzeptiert. Gleichwohl gibt es zwei Beschränkungen: Die eine, innere, besteht in der Frage, wo die Belastungsgrenzen für Deutschlands Volkswirtschaft und Gesellschaft bei der Übernahme von europäischen und internationalen Verpflichtungen liegen; politische Führung hieße hier, vor allem die Bevölkerung zu überzeugen.
Die andere Selbstbeschränkung – aufgrund äußerer Vorbehalte – ist der Tatsache geschuldet,dass aufgrund historischer Erfahrungen einige Partner Befürchtungen und Ängste vor einer deutschen Hegemonie hegen. Wenn der polnische Außenminister Radosław Sikorski jedoch (am 28. November 2011 in seiner Rede bei der DGAP) sagt: „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit“, dann sollten wir intensiver über unsere Rolle in Europa und in der Welt nachdenken. Die problemorientierten Analysen und Perspektiven des aktuellen Jahrbuch Internationale Politik der DGAP, sprich die darin gebündelten Expertisen von 80 renommierten Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien, wollen dazu einmal mehr einen Beitrag leisten.