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17. Apr. 2012

Integrationspolitik: Zwischen Populismus und Enthaltung

Integration ist ein heikles Thema, erst recht zu Wahlkampfzeiten. Standen die Themen Migration und Integration bereits im letzten französischen Präsidentschaftswahlkampf ganz oben auf der politischen Agenda, so nehmen sie auch 2012 wieder eine zentrale Rolle ein, wobei sich eine klassische Rechts-Links-Polarisierung in den Debatten feststellen lässt.

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Während die rechten Parteien und insbesondere die Kandidatin der rechtsextremen Partei Front National (FN), Marine Le Pen, mit populistischen Äußerungen gegen Immigration und Integration versuchen zu punkten, verfolgen die Linken eine deutlich moderatere Strategie.

Die Anschläge in Toulouse und Montauban haben das politisch-soziale Unbehagen der französischen Gesellschaft gegenüber dem Islam verschärft und zu der unheilvollen Verknüpfung der Themen innere Sicherheit und Integration im Wahlkampf beigetragen. Frankreich zweifelt schon seit Jahren an seiner Integrationskraft, bangt um seine nationale Identität und seine republikanischen Werte, insbesondere um die Laizität. Der Islam wird dabei immer wieder als Bedrohung für den Zusammenhalt der Gesellschaft angeführt. Auch der Gleichheitsanspruch, der das Fundament des französischen Integrationsmodells bildet, scheitert immer wieder an ethnisch bedingter Diskriminierung und sozialräumlicher Ausgrenzung, die in den Banlieues ihre spektakulärste Form annimmt. Welche Lösungsansätze präsentieren die Parteien zur Behebung dieser Probleme? Welche Positionen werden zu den Themen, Islam, Laizität und Banlieues bezogen?

Islam als Bedrohung

Frankreich ist mit schätzungsweise fünf Millionen Muslimen das europäische Land mit der größten muslimischen Gemeinde. Im Anschluss an die Attentate in Toulouse und Montauban verband Marine Le Pen den Islam unmittelbar mit Terrorismus und einer nicht gelingenden Assimilation der Migranten: „Wie viele Mohamed Merahs befinden sich unter den Kindern dieser nicht assimilierten Immigranten?“, fragte sie kurz nach den Ereignissen. In einem zweiten Schritt forderte sie die Abschaffung der Union der islamischen Organisationen in Frankreich (UOIF) mit der Begründung, man müsse eine Radikalisierung des Islam verhindern.

Die Islam-Angst vieler Franzosen tritt jedoch nicht nur in Diskussionen um die innere Sicherheit zu Tage sondern zeigt sich auch dann, wenn es um die nationale Identität und die republikanischen Werte geht. Laut einer im Dezember 2010 durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP sehen 42% der befragten Franzosen den Islam als eine Gefahr für die nationale Identität. Dabei wird die Einstellung der Muslime zu ihrer Religion oft als Bewertungsmaßstab für die Integration herangezogen. Diese an Werte orientierte Auffassung der Integration wird auch in den Wahlkampfdebatten reflektiert.

So versuchten die rechten Parteien im Februar, eine Diskussion um rituelle Schlachtungen zu nutzen, um gegen unerwünschte Einwanderung und mangelnden Integrationswillen zu polemisieren. Angezettelt wurde die Debatte über Halal-Fleisch von Marine Le Pen, die, um Ängste vor Überfremdung und einer muslimischen Unterwanderung zu schüren, am 18. Februar behauptete, dass das im Großraum Paris produzierte Fleisch ohne Wissen der Verbraucher zu 100% Halal-Fleisch sei. Nachdem Nicolas Sarkozy (UMP) diese Behauptungen zunächst zurückgewiesen hatte und von einer unnützen Polemik sprach, vollzog er wenige Tage später eine Kehrtwende: Entgegen der Verkündungen so gut wie aller Meinungsforschungsinstitute, verkündete der Präsident: „Das wichtigste, dass die Franzosen bewegt, ist Halal-Fleisch“. Er versprach eine Kennzeichnungspflicht für rituell geschlachtetes Fleisch und sanitäre Regeln. Innenminister Guéant ging noch einen Schritt weiter und warnte davor, dass Schulkinder im Falle einer Durchsetzung des kommunalen Wahlrechts für außereuropäische Ausländer bald dazu gezwungen seien, Halal-Fleisch zu essen. Im Gegensatz zur UMP und dem FN plädieren nämlich alle Kandidaten für ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländer, welches für Sarkozy nach wie vor eine „Bedrohung für die Republik“ darstellt, mit dem Argument, dass es den Kommunitarismus fördere. Diesen beurteilen auch alle anderen Kandidaten, die sich für das kommunale Wahlrecht aussprechen, als Fehlentwicklung.

Die Linke reagierte in der Debatte mit äußerster Zurückhaltung. François Hollande (PS) bekräftigte lediglich, dass eine derartige Polemik in einem laizistischen Land nicht zum großen Wahlkampfthema werden dürfe. Bereits im Jahr 2010 enthielt sich der PS bei der Abstimmung über das nun geltende  Burka-Verbot. Jedoch nicht, weil sich die Partei gegen das Verbot stemmte, sondern mit dem Hinweis auf Befürchtungen, das Gesetz des Präsidenten könne verfassungswidrig sein. So gewinnt man den Eindruck, dass sich die Linken in der Islam-Debatte nicht recht positionieren wollen.

Konsens Laizität?

Ganz anders verhält sich die Linke bei der Laizität, wobei sich die diesbezügliche politische Konstellation im Lauf der Zeit in Frankreich verschoben hat. War das Thema jahrzehntelang den Linken vorbehalten, ist es mit der Zeit zu einem allgemeinen Wert aller Parteien avanciert, allerdings mit unterschiedlicher Interpretation. Während die Laizität auf linker Seite generell gegen alle Religionen und damit auch gegen den christlichen Glauben gerichtet ist, bezieht sie sich auf rechter Seite mehr oder weniger explizit auf Immigranten, insbesondere auf Muslime, bleibt jedoch dem christlichen Glauben gegenüber relativ offen.

So bezieht sich Le Pen bezüglich der Laizität explizit auf den Islam, warnt vor Kommunitarismus und Islamisierung und möchte dementsprechend das Kopftuchverbot auf alle Lebensbereiche ausweiten. Auch Nicolas Sarkozy, der mit seinem Prinzip der „positiven Laizität“, wonach die Religionen zum Schutz vor Fundamentalismus stärker in die öffentliche Verantwortung genommen werden sollen, hat mehrfach betont, dass die französischen Wurzeln im Wesentlichen christlich seien, die es gegenüber dem Kommunitarismus zu verteidigen gilt. Die linken Parteien, die diese Positionierung Sarkozys stark kritisieren, betonen hingegen die Bedeutung der Laizität als Chance für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Inklusion der Migranten.

François Hollande plädiert in diesem Sinne für eine Übernahme des Gesetzes von 1905 über die Trennung von Kirche und Staat in die Verfassung, mit Ausnahme Elsass-Lothringens, obgleich die Laizität bereits im französischen Gesetz verankert ist. Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der extremen Linkspartei Front de Gauche, wünscht sich sogar eine Aufhebung des Konkordats. Auch die Grüne (EELV) Eva Joly, spricht sich für eine explizite Gleichbehandlung aller Religionen aus und schlägt die Einführung eines staatlichen Feiertages für Juden und Muslime vor, nämlich Kippour und Aid-el-Kébir.

Die vergessenen Vororte

Obgleich die nach wie vor prekäre Situation in den Banlieues an den Rändern der französischen Großstädte zu den gravierensten Gesellschaftsproblemen Frankreichs zählt und die Integrationskraft der Republik immer wieder in Frage gestellt hat, hat das Thema, im Gegensatz zu 2007, erst relativ spät Einzug in die Wahlkampfdebatten gehalten. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen meiden die Parteien die Banlieue gerne, zum anderen und mit ersterem verknüpft sind die Aussichten, hier Stimmen zu gewinnen, überaus gering, da die Wahlbeteiligung seit Jahren besonders niedrig ist. Die Bewohner der Vorstädte mit besonderem Entwicklungsbedarf und überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit, den sogenannten „Zones urbaines sensibles“, zu denen im Übrigen auch der Attentäter von Toulouse gehörte, machen rund 7% der französischen Bevölkerung aus. Davon hat mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund.

Das im Anschluss an die Unruhen von 2005 gegründete Bürgerrechtskollektiv AC Le Feu, welches bei der letzten Wahl besonders die jüngeren Einwohner mobilisierte, sich in die Wählerlisten einzutragen, ist auch in diesem Wahlkampf wieder aktiv geworden. Hollande, Joly und Zentrumspolitiker Bayrou (MoDem) kamen einer Einladung des Kollektivs im Februar entgegen. Amtsinhaber Sarkozy kam nicht. Jedoch wird er ohnehin kaum mit Wählern aus den Vororten rechnen. Bei der Wahl 2007 hatten sich viele Wähler in die Wahllisten eingetragen, um eine Präsidentschaft Sarkozys zu verhindern, nach dem Motto „Alles außer Sarkozy“. Dieser hatte während der Unruhen 2005 angekündigt, die Vororte mit dem „Hochdruckreiniger“ säubern zu wollen.

Die Vorschläge der beiden Favoriten für die Problemgebiete konzentrieren sich überwiegend auf städtebauliche Maßnahmen und Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Den von Sarkozy im Jahr 2008 initiierten Marshallplan „Hoffnung Banlieue“ bezeichnete Hollande als Plan „Hoffnungslosigkeit Banlieue“. In Bezug auf die hohe Arbeitslosigkeit, schlägt der Kandidat des PS Steuervergünstigungen für Unternehmen vor, die einen Jugendlichen aus der Banlieue einstellen. Gegenüber dem bisherigen Prinzip, sei dies ein Vorteil, weil es sich an alle Unternehmen auch außerhalb der Banlieue richte. Sarkozy, der seinen Marshallplan, trotz negativer Bilanz, in hohen Tönen lobt und eine Aufstockung der Mittel für die kommenden Jahre vorsieht, schlägt in Bezug auf die Arbeitslosigkeit eine Erhöhung des Prozentsatzes, welcher die in den Vororten ansässigen Unternehmen dazu verpflichtet, junge Bewohner einzustellen, von 5 auf 15 Prozent vor.

Hollande möchte darüber hinaus auch die Kategorisierung der Vororte als „Zones urbaines sensibles“ abschaffen, mit der Begründung, dass diese zu einer Stigmatisierung der Banlieue als minderwertig geführt habe und damit auch die Integration der Bewohner erschwere. Zudem verspricht er die Gründung eines „Ministeriums für territoriale Gleichheit“. Auch die unter Mitterand eingeführte bürgernahe Quartierspolizei soll wieder etabliert werden. Einen Vorschlag, den Bayrou und Mélenchon begrüßen. Letzterer möchte auch ethnisch bedingte Polizeikontrollen, dadurch reduzieren, dass künftig für jede durchgeführte Identitätskontrolle Belege eingereicht werden müssen. Bayrou und Mélenchon fordern ähnlich wie Hollande die Gründung eines „Ministeriums für Gleichheit“, welches gerade in den Banlieues eine bessere Integration, mehr Chancengleichheit und weniger Diskriminierung garantieren soll.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Auseinandersetzung mit der Integrationsfrage im Wahlkampf weitestgehend auf populistische Debatten über den Islam und die Wahrung der französischen Werte beschränkt bleibt. Dabei liegt der Fokus auf Zuwanderungsfragen. So glaubt Nicolas Sarkozy, die Integrationsproblematik mit der Reduzierung der Einwanderungszahlen lösen zu können. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung über integrationsfördernde Maßnahmen, vor allem in den Banlieues, bleibt aus. Nicht zuletzt auch, weil das republikanische Gleichheitsideal eine Minderheiten anerkennende Politik nicht zulässt. Keine der Parteien stellt dieses Prinzip grundlegend in Frage.

Simona Gnade ist Programmassistentin im Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Bibliografische Angaben

Gnade, Simona. “Integrationspolitik: Zwischen Populismus und Enthaltung.” April 2012.