Memo

01. März 2023

Frauenproteste in Iran

Feministische Außenpolitik als Chance für einen Wandel der deutschen Iran-Politik
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Die deutsche und europäische Iran-Politik steckt in einem Dilemma. Seit Jahren dominiert das Atomabkommen die Beziehungen zur Islamischen Republik. Die systematischen Menschenrechtsverletzungen durch das Regime sind dabei zur Nebensache geworden. Aber diese, besonders die massiven Verletzungen von Frauenrechten, sind seit Monaten Auslöser von Massenprotesten im Land. Die am 1. März vorgestellten Leitlinien einer feministischen Außenpolitik durch das Auswärtige Amt sollten Anlass sein, eine Wende in der deutschen Iran-Politik einzuleiten.

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Der Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini nach Festnahme durch die iranische Sittenpolizei im September 2022 hat landesweite Proteste zur Folge gehabt, die bis heute nicht abgerissen sind. Seitdem demonstrieren Frauen und Männer unter dem Motto „Frauen, Leben und Freiheit“ gegen den Machtapparat. Sie fordern ein Ende der systematischen Unterdrückung, besonders von Frauen, und einen demokratischen Wandel. Dass das Aufbegehren dieses Mal existenzgefährdend für das Regime werden kann, zeigt die Brutalität, mit der es die Bewegung zu zerschlagen versucht. Menschenrechtsorganisationen sprechen von rund 20.000 Inhaftierten, über 500 Tötungen sowie mehreren Hinrichtungen und aktuell über 100 von der Todesstrafe bedrohten Demonstrant:innen. Dies hat zwar dazu geführt, dass die Bewegung leiser geworden ist, aber nicht, dass sie verstummt. Nach einer repräsentativen Befragung der GAMAAN Research Foundation von Dezember 2022, an der 200.000 Personen teilgenommen haben (davon 158.000 in Iran und 42.000 außerhalb des Landes), lehnen 81 Prozent der Iraner:innen das Regime ab, unter den Exil-Iraner:innen sind es 99 Prozent. Darüber hinaus werden die Proteste von 67 Prozent der innerhalb und 90 Prozent der außerhalb des Landes lebenden Iraner:innen getragen. 

Eine Situation, die auch die internationale Gemeinschaft herausfordert, vor allem die EU und Deutschland, die in der Kritik stehen, bisher zu zurückhaltend auf die Proteste zu reagieren. Deutschland steht unter einem besonderen Druck, da die amtierende Ampelregierung erstmalig eine feministische Außenpolitik,  eine Feminist Foreign Policy (FFP), im Koalitionsvertrag verankert hat. Am 1. März hat das Außenministerium die angekündigten Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vorgestellt.

Daher stellt sich die Frage, ob dies nicht die geeignete Gelegenheit wäre, wenn doch Frauen auf den Straßen Irans die Revolution anführen und ihr Leben riskieren, FFP auch praktisch umzusetzen und eine grundlegende Wende in der deutschen Iran-Politik einzuleiten.

Die feministische Außenpolitik im Kontext der iranischen Revolution

Gegner:innen einer solchen Forderung führen an, dass dieser Reflex zu kurz greifen würde, da die FFP sich auf weit mehr als die Rechte und Proteste von Frauen bezieht. In der Tat zielt eine feministische Außenpolitik auf die dahinterliegenden strukturellen Ungleichheiten in einer Gesellschaft und ihre Machtverhältnisse. Ausgehend von einem umfassenden Verständnis menschlicher Sicherheit fordert sie den Schutz von Menschen- und Frauenrechten. Problematisch ist dabei, dass, seitdem sich die schwedische Regierung 2014 als erste Regierung weltweit zu einer FFP verpflichtete, es zwar ein theoretisches Grundgerüst, aber wenig gelebte feministische Außenpolitik in der Praxis gibt.

Dies spricht allerdings erst recht dafür, die Situation in Iran entlang der Prinzipien einer deutschen FFP neu zu bewerten. Denn ein abstraktes Prinzip ist – auch in der Außenpolitik – nur so viel wert, wie es auch den Praxistest besteht. Insofern erscheinen die aktuellen Proteste in Iran und der dramatische Ruf der Protestbewegung nach mehr internationaler Unterstützung geradezu wie ein Lackmustest für eine feministische Außenpolitik: Deren Prinzipien im Sinne einer wertegeleiteten Politik ernst zu nehmen, ist auch eine Chance, die bisherige deutsche und europäische Iran-Politik generell auf den Prüfstand zu stellen.

Vieles spricht dafür, die Situation in Iran entlang der Prinzipien einer deutschen FFP neu zu bewerten

Konkret basiert die feministische Außenpolitik des Auswärtigen Amtes auf dem sogenannten 3R+D-Ansatz, sprich Rechte, Repräsentanz, Ressourcen und Diversität. Das heißt, eine feministische Außenpolitik setzt erstens auf die Wahrung und Förderung der Menschen- Frauenrechte, zielt zweitens darauf ab, die Interessen betroffener Menschen vor Ort einzubeziehen und stellt drittens entsprechende Ressourcen zum Schutz von Frauen und marginalisierten Gruppen zur Verfügung. Ergänzt wird dieser Ansatz durch die Förderung der Diversität in allen drei Bereichen. In Iran sind wir mit massiven Menschenrechtsverletzungen durch das Regime gegenüber Kindern, Frauen, Männern und Minderheiten, wie etwa Kurden, Belutschen und Bahai konfrontiert. Ein aktuelles Beispiel ist die Verhängung eines Todesurteils gegen den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd. Die EU und der Bundestag haben daher umfangreiche Beschlüsse, einschließlich Sanktionen gegen einzelne Personen und Organisationen des Regimes gefasst. Ein wichtiger Erfolg war die gemeinsame deutsch-isländische Initiative vor dem UN-Menschenrechtsrat im November 2022, die zum Beschluss der Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission bezüglich der Menschenrechtsverbrechen des iranischen Regimes führte.

Außenpolitisches Dilemma: zwischen Nuklearfrage und Menschenrechtsschutz

Dennoch steckt die deutsche und europäische Politik in einem Dilemma. Denn seit Jahren dominiert das sogenannte Nuklear-Dossier die internationalen Beziehungen zu Iran. Die Konsequenz ist, dass die systematischen Menschenrechtsverletzungen, die das Regime seit jeher regelmäßig begeht, zur Nebensache geworden sind. Verhandlungen über das Iran-Atomabkommen von 2015 – der Gemeinsame umfassende Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) –, das die Regierung von Präsident Trump 2018 einseitig aufgekündigt hatte, waren erst im April 2021 durch die Administration von Joe Biden und die weiteren beteiligten Staaten wieder aufgenommen worden. Ziel war es, Iran wieder zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Abkommen zu bewegen.

Sicher war das Abkommen von 2015 ein wichtiger diplomatischer Meilenstein. Es sollte verhindern, dass der Iran hochangereichertes waffenfähiges Uran produziert, und somit zur nuklearen Bedrohung für die Region und darüber hinaus würde. Auch aus Sicht einer feministischen Außenpolitik sind ein atomwaffenfreies Leben sowie nukleare Non-Proliferation als wichtige Menschenrechte anzusehen. Gleichzeitig ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, wo das Iran-Atomabkommen heute steht und ob es eine Chance auf Erfolg hat.

Problematisch ist zum einen, dass das iranische Regime bereits seit 2019 nicht mehr bereit ist, seinen Verpflichtungen aus dem Deal nachzukommen. Allein 2022 hat es zweimal die vorgelegten Kompromisse zurückgewiesen, zuletzt im September. Außerdem wiegt schwer, dass die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) erst diesen Februar hochangereichertes Uran gefunden hat, das einen Reinheitsgrad von 83,7 Prozent hat und somit fast waffenfähig ist. Auch wenn Iran das bestreitet und der Fund noch untersucht wird, so haben Offizielle im Juli 2022 offen zugegeben, bereits zu 60 Prozent angereichertes Uran zu besitzen, obwohl im Abkommen nur 3,67 Prozent erlaubt sind. Iran hat gedroht, dass es ein Leichtes sei, auf 90 Prozent anzureichern. Auch die weiteren politischen Ziele des JCPOA, etwa die Stärkung der Reformer innerhalb Irans, scheinen gescheitert. Zudem hat der regionale Rüstungswettlauf längst begonnen.

Zum anderen wäre selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Kehrtwende des Regimes um 180 Grad schwer vorstellbar, dass gerade jetzt die internationale Gemeinschaft auf öffentlicher Bühne die Hände der Mullahs schüttelt, an denen das Blut tausender Demonstrant:innen klebt. Auch eine Abschwächung der Sanktionen, die die Mullahs im Gegenzug fordern würden, sowie die Streichung der Revolutionsgarden von der Terrorliste ist kaum vorstellbar. Das würde Präsident Joe Biden politisch nicht überleben, ebenso wenig wie die Bundesregierung.

Das Iran-Atomabkommen offiziell für beendet erklären

Angesichts der Tatsache, dass die ursprünglichen Ziele des JCPOA somit nicht erreicht werden konnten und auch auf absehbare Zeit mit diesem Regime nicht umsetzbar sind, muss konstatiert werden, dass der Versuch, Irans Atomprogramm einem internationalen Kontrollregime zu unterwerfen, endgültig gescheitert ist. Kurz: Der Iran-Deal ist heute politisch tot. Selbst IAEO-Chef Rafael Grossi hat bereits erklärt, dass das Abkommen nur noch eine leere Hülle sei.

Vor allem bei der Demokratiebewegung Irans stößt das Zögern der internationalen Gemeinschaft auf Unverständnis. Sie befürchtet, wohl zu Recht, dass diese sich eine Hintertür offenhalten will – für den Fall, dass die Bewegung, wie schon 2009, 2017 und 2019, ein weiteres Mal scheitert. Die Weltgemeinschaft und somit auch die Bundesregierung und die EU nehmen somit in Kauf, dass die eigene Politik einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust erleidet und die iranische Demokratiebewegung politisch geschwächt wird.

Wenn klar ist, dass man mit diesem Regime auch in ferner Zukunft keine Verhandlungen mehr führen kann, weil seine Akteure vor den Internationalen Strafberichtshof gehören, dann ist es gerade im Sinne einer wertegeleiteten Außenpolitik wie der FFP an der Zeit, das Atomabkommen auch offiziell für beendet zu erklären. Der Bericht der IAEO im März etwa, der wohl kritisch ausfallen wird, könnte für einen solchen Rückzug den Anlass bieten.

Es ist gerade im Sinne einer wertegeleiteten Außenpolitik wie der FFP an der Zeit, das Iran-Atomabkommen offiziell für beendet zu erklären

Gerade aus einem feministischen wertegeleiteten Ansatz heraus ist es geboten, dass die internationale Gemeinschaft, allen voran die EU und Deutschland, das islamische Regime auf allen internationalen Ebenen isoliert, die Sanktionen gezielt verschärft, die Zivilgesellschaft nach Kräften auch finanziell unterstützt und politisch alles auf die Demokratiebewegung setzt – selbst, wenn offen ist, ob sie gewinnt. Auch mit Blick auf das FFP-Prinzip der Repräsentation, sprich das, was die betroffenen Menschen vor Ort wollen, muss die deutsche Außenpolitik handeln. Die oben erwähnte Gamaan-Studie zeigt klar, was die Erwartungen der Menschen in Iran an den Westen sind: 61 Prozent befürworten ein Ende der Atom-Verhandlungen. Über 70 Prozent fordern ernsthaften Druck auf das Regime und gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen sowie dass die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste gesetzt werden. Unter den Exil-Iraner:innen werden alle diese Forderungen sogar mit über 90 Prozent befürwortet.

Auch wenn Kritiker:innen anführen, dass ein offizieller Rückzug aus dem JCPOA nur Symbolpolitik wäre: Abgesehen davon, dass Symbolik in der Außenpolitik einen wichtigen Stellenwert hat, sollte die internationale Gemeinschaft den Willen der Menschen in Iran ernst nehmen und ein starkes Zeichen der politischen Solidarität setzen. Sicher, eine solche Entscheidung muss im europäischen Konzert und international abgestimmt erfolgen, vor allem auch mit den USA, und nicht im Alleingang wie es seinerzeit Donald Trump tat. Doch wenn sich die Bundesregierung an die Spitze einer solchen Initiative stellen würde, könnte sie damit nicht nur eine Wende in der deutschen, sondern auch in der europäischen und internationalen Iran-Politik bewirken – geleitet von der feministischen Erkenntnis, dass die beste Garantie für ein nuklearwaffenfreies Iran von morgen ein demokratisches Iran von heute ist.

Bibliografische Angaben

Müller, Kerstin. “Frauenproteste in Iran.” March 2023.

Dieses DGAP-Memo wurde am 1. März 2023 publiziert.

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