Externe Publikationen

25. März 2012

Eurokrise: Die Politik in Schockstarre

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Der Wahlkampf 2012 findet unter besonderen Bedingungen statt: keine intellektuell fundierte Debatte in Wirtschaftsfragen, keine neuen Visionen für die französische Gesellschaft und ihre ökonomischen Grundlagen. Statt dessen steht die Schuldenkrise wie ein drohendes Gewitter über den Akteuren.

PDF

Share

Die teilweise Aufhebung der Lager

Die nachfrageorientierte Politik, die dem französischen Wirtschaftsmodell zu Grunde liegt, hat offensichtlich das Recht verwirkt, in der europäischen wirtschaftspolitischen Debatte genannt zu werden. Mit einem unbehaglichen Gefühl sehen sich die zwei großen Parteien UMP und PS gezwungen, ähnliche Positionen im Hinblick auf die Haushaltsdisziplin zu beziehen. Zwar hat sich François Hollande mit seiner Absicht, im Falle seiner Wahl den unter deutschem Einfluss entstandenen europäischen Fiskalpakt nachzuverhandeln, von Nicolas Sarkozy abgesetzt und damit den Zorn der europäischen Staats- und Regierungschefs auf sich gezogen. Doch sind die Unterschiede zwischen der UMP und dem PS kaum sichtbar, wenn es um die Frage nach den Ursachen der Krise und einem tragfähigen Zukunftsmodell geht.

Die strukturelle Diskrepanz zwischen dem europäischen Zentrum und der Peripherie wird kaum berücksichtigt, obwohl hier eines der zentralen Probleme der Eurozone liegt, das momentan sogar ihre Existenz bedroht. Auch wenn die Einführung der Gemeinschaftswährung von Beginn an als Mittel der politischen Einigung angesehen wurde, hat die Aufhebung der Wechselkurseanpassung zwischen sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften ein Auseinanderdriften der Euro-Staaten mit sich gebracht. Zwar werden im Wettbewerb um die Wählergunst von den Parteien Vorschläge zur kurzfristigen Krisenbewältigung unterbreitet, doch gibt es bislang keine langfristige Strategie, um den Teufelskreis von haushaltspolitischen Anpassungen, wirtschaftlicher Rezession und einer Vertiefung der Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu durchbrechen. Erschwert wird die Debatte dadurch, dass Frankreich im Hinblick auf seine Wirtschaftsstabilität an der Grenze zur europäischen Peripherie liegt, deren Staaten in zunehmenden Maße unter ihrer Verschuldung und den Angriffen der Finanzmärkte leiden. 

Sparpolitik und Wirtschaftswachstum: der einzige Zankapfel zwischen Links und Rechts

Sowohl Nicolas Sarkozy als auch François Hollande haben verstanden, dass das Überleben der Eurozone kurzfristig lediglich durch eine gesteigerte Solidarität zwischen dem Zentrum und der Peripherie gesichert werden kann. Zentrale Maßnahme ist ein Notfallplan, der niedrige Zinssätze ermöglicht. Beide Kandidaten vertreten außerdem den Standpunkt, dass diese Solidarität als Gegenleistung eine restriktive Haushaltspolitik der Nehmerländer erfordert. Differenzen bestehen hingegen über die Frage, welche Sparvorstellungen der jeweiligen Länder akzeptabel erscheinen. Auch François Hollande hat inzwischen die Bedeutung der Finanzmärkte und die Hinfälligkeit des jahrzehtelang betriebenen Modells der Staatsverschuldung anerkannt. Seit Beginn des Wahlkampfs erklärt er daher den Wählern und der politischen Elite, dass er weder gegen Sparpolitik plädiere noch eine keynsianistisch inspirierte Wiederbelebungspolitk befürworte. Zugleich jedoch verleiht Hollande seinem Gefühl des Unwohlseins angesichts des katastrophalen Krisenmanagements der EU in Griechenland und der griechischen Wirtschaftskrise, die durch die von der EU diktieren Sparpläne verschärften wird, Ausdruck.

Zusätzlich zum ökonomischen Befund einer wirtschaftlichen Depression in Griechenland blockiert der Zustand des sozialen Klimas in Griechenland einen Prozess der europaweiten haushaltspolitischen Solidarität. Hollande befürwortet daher – ohne Details zu nennen – eine wachstumsorientierte Zusatzvereinbarung zum SKS-Vertrag. Dabei handelt es sich eher um eine Ergänzung der europäischen Krisenbewältigungsstrategie als um deren grundsätzliches Infragestellen. Weit entfernt von der Forderung, den Vertrag im Ganzen neu zu verhandeln, stellt er klar: „Wenn wir einen politischen Text zum Thema Wirtschaftswachstum brauchen, kann dieser auch als Ergänzung des Vertragswerks gestaltet werden.“ Es gibt also keine Anzeichen dafür, dass Hollande eine grundlegend andere Lösungsstrategie anstrebt. Er scheint angesichts des Ernsts der Lage und im Hinblick auf die Inkohärenz der europäischen Strategie, lediglich vorsichtiger zu sein als sein konservativer Konkurrent.

Auf eine etwas andere Weise befällt auch François Bayrou, Spitzenkandidat der Zentrumspartei Modem, angesichts der sozialen Auswirkungen der Griechenlandrettung ein gewisses Unbehagen. Dennoch sieht er sein politisches Projekt grundsätzlich bestätigt, da er bereits im letzten Präsidentschaftswahlkampf das Thema Staatsverschuldung zum zentralen Punkt seines wirtschaftspolitischen Programms gemacht hatte. Daher setzt er in diesem Wahlkampf eine Rückführung der öffentlichen Neuverschuldung auf null bis zum Jahr 2016 zum Ziel und geht damit sogar noch über die europäische Übereinkunft hinaus.

Euroskepsis: vernachlässigtes Thema und schlecht geführte Debatte

Bevor diese Meinungsverschiedenheiten aufkamen, herrschte bei Fragen rund um den Euro eine Art nationale Einigkeit, die traditionell als relevant für die Außenpolitik angesehene Themenbereiche prägt. Zwar findet das Thema Eurobonds nur im Wahlprogramm von François Hollande, nicht aber in dem von Nicolas Sarkozy Erwähnung. Dennoch scheint es so, als ob der Vorschlag in der französischen politischen Elite auf einhellige Zustimmung trifft, auch wenn es an Ideen mangelt, um die deutsche Regierung von dem Plan zu überzeugen. Auch über die Notwendigkeit eines größeren Einflusses der Europäischen Zentralbank (EZB) sind sich alle politischen Akteure einig, sei es beim Aufkauf von Staatsanleihen europäischer Staaten oder der Ausweitung der Schlagkraft der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). In politischen Kreisen, die zu radikaleren Vorschlägen neigen, wird sogar die Idee einer Monetarisierung der Staatsschulden erwogen, beispielsweise bei Marine Le Pen, Jean Luc Mélenchon oder dem gaullistischen Kandidaten Nicolas Dupont Aignan. Dabei bleibt jedoch unklar, ob sie für einen massiven Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB plädieren oder sogar vorschlagen, den Staatshaushalt direkt durch Geld von der Zentralbank zu decken.

Die entschlossene Grundhaltung und die Staatsgläubigkeit beziehen sich inzwischen über die nationale Wirtschaftsdebatte hinaus zumindest teilweise auch auf Fragen des Euro. So wird der Euro selbst von keiner der grossen Parteien in Frage gestellt, noch wird ein Auseinanderbrechen der Eurozone offen in Betracht gezogen. Der europäische Föderalismus bleibt auch weiterhin das Herzstück der europäischen Logik beider politischen Lager. Trotz der leicht divergierenden Meinungen über die Strenge des Sparkurses in Europa und in Frankreich bleiben damit die grundsätzlichen Differenzen den extremen politischen Parteien überlassen. In besonderem Maße hat Marine Le Pen versucht, ihre Kampagne auf einen Euroausstieg und das Thema der volkswirtschaftlichen Souveränität auszurichten. Doch ist es ihr nicht gelungen, die durchaus legitimen Fragestellungen mit einem kohärenten politischen Programm zu beantworten und konkrete Lösungsvorschläge zu entwickeln. Mehrmals befand sie sich in Erklärungsnot, als sie nicht wusste, wie sie den Ausstieg aus dem Euro konkret gestalten würde oder wie sie den kurzfristigen Auswirkungen eines Ausstiegs auf die Kaufkraft begegnen wolle. Obwohl ihre wirtschaftspolitischen Fragestellungen also eine gewisse Sprengkraft bergen, entsteht der Eindruck, dass ihre Lösungsansätze im Reich der Phantasie anzusiedeln sind.

Marine Le Pen hat sich zudem das Thema des „europäischen Protektionismus“ zu Eigen gemacht. Sie greift dabei Forderungen einer Bewegung auf, die im Verlauf der letzten zehn Jahre entstanden ist und sich auf den Ökonomen Friedrich List beruft. Sie schlägt eine Neuinterpretation des Konzepts des Zollvereins auf europäischer Ebene vor und verbindet damit die Hoffnung, durch den Schutz der europäischen Märkte vor der industriellen Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Produktionskosten eine Reindustrialisierung in Europa zu ermöglichen, die mit einer aktiven Nachfragepolitik verbunden wird.  Auch wenn die Wiedererrichtung von Zollschranken im strengen Sinne in kaum einem Präsidentschaftsprogramm vorkommt, so finden sich doch Ideen zum Schutz der heimischen Industrie bei allen Parteien wieder. Nicolas Sarkozy schlägt beispielsweise vor, dass die öffentlichen europäischen Märkte für ausländische Unternehmen lediglich auf der Grundlage des Prinzips der Reziprozität mit den jeweiligen Herkunftsländern der Unternehmen geöffnet werden sollen.

Am extremen linken Rand des politischen Spektrums kritisiert Jean Luc Mélenchon insbesondere das Management der Eurozone und unterstreich vor allem das Problem der Überbewertung des Euro. Allerdings verzichtet er auf die Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro. Er wirft den europäischen Behörden in erster Linie das Ausmaß der Sparpläne vor, ohne dabei jedoch eigene Lösungsansätze in Hinblick auf die Architektur der Eurozone oder die Reindustrialisierung Europas vorzulegen.

Die Wahlkampfdebatte um den Euro beschränkt sich somit auf einen nicht allzu tiefen Graben und viele Widersprüchlichkeiten. Die sozialistische Partei ist zerrissen zwischen ihrer Akzeptanz der notwendigen Haushaltsdisziplin und der Sorge vor deren sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Sie fürchten eine Rezession und weitere Verschuldung. Der Wille, dem europäischen Projekt eine wachstumspolitische Komponente beizufügen, stellt – jedenfalls bisher – noch keine Vision dar, die sich der grundlegenden Probleme der Eurozone annimmt, darunter vor allem der wirtschaftlichen Diskrepanz zwischen den Eurostaaten, die durch die Gemeinschaftswährung noch verstärkt wird. Die UMP hingegen wird im Wahlkampf durch ihre bedingungslose Akzeptanz einer rigorosen Sparpolitik behindert: Diese Haltung wird es ihr in der Endphase des Wahlkampfs erschweren, sich als republikanische Kraft zu positionieren, der es gelingt, die Wählerschaft unter einer Gleicheheitsvorstellung zu einen.

Rémi Bourgeot ist Wirtschaftswissenschaftler und Teilnehmer des Deutsch-französischen Zukunftsdialog 2010.

Übersetzung aus dem Französischen: Richard Probst. 

Bibliografische Angaben

Bourgeot, Rémi. “Eurokrise: Die Politik in Schockstarre .” March 2012.

Themen & Regionen