Kommentar

09. Juli 2018

Es geht nicht um Trump

Die NATO braucht mehr deutsches Engagement

Beim NATO-Gipfel droht ein Eklat mit US-Präsident Donald Trump über die Lastenteilung im Bündnis. Dieser Streit lenkt jedoch von den echten Problemen der Allianz ab: Nicht in Reaktion auf den polternden Trump, sondern im Blick auf das veränderte Sicherheitsumfeld, neue Instabilität etwa im südlichen Mittelmeerraum und die unzureichende Ausstattung der NATO sollte Deutschland mehr für die Verteidigungsbereitschaft ausgeben. Berlin sollte dies auch den Deutschen überzeugend kommunizieren.

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Die Vorzeichen für den NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in Brüssel sind ungünstig. Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs kündigt sich ein Zusammenstoß zwischen den USA und den europäischen Verbündeten an, angereichert mit einer Portion Drama, die der erratische US-Präsident seiner Diplomatie gern mitgibt. Für Sprengstoff sorgt vor allem die überfällige Erhöhung der Verteidigungsausgaben durch die europäischen Verbündeten: Die USA fordern diese schon lange ein, und Trump hat kurz vor dem Gipfel nochmals verärgerte Mahnschreiben an Deutschland und sieben weitere NATO-Mitglieder dazu nachgelegt. Denn knapp 72 Prozent der Verteidigungsausgaben des Bündnisses entfallen auf die USA. Dieses Missverhältnis, wie Trump findet, soll jetzt beendet werden. Deshalb pocht er auf die 2014 in Wales beschlossene Zielmarke, dass jedes NATO-Land zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Verteidigung und davon 20 Prozent für Neuanschaffungen ausgeben muss. 

Dabei hat er sich Deutschland als Hauptziel seiner Angriffe ausgesucht, das zwar inzwischen mehr für die Verteidigung ausgibt, aber weit unter dem Zwei-Prozent-Ziel bleibt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich bei ihrem Besuch in den USA im Juni zu einem höheren Wehretat bekannt und eine Beteiligung in Höhe von 1,5 Prozent bis 2025 versprochen – Bundeskanzlerin Angela Merkel will diesen Beitrag schon bis 2024 schaffen. Aktuell liegen die Verteidigungsausgaben bei 1,24 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Trump in Kämpferlaune

Die Europäer reagieren nervös auf die anhaltende Kritik von Trump. Denn es ist kaum damit zu rechnen, dass sich der US-Präsident beim Gipfel an diplomatische Gepflogenheiten hält und seinen Protest nur hinter verschlossenen Türen äußert. Aggressives Auftreten und wütende Verbündete sind Teil seiner Verhandlungsstrategie, die er zuletzt beim G7-Treffen in Kanada einsetzte. Auch für seine Wähler muss Trump in Brüssel auf die Pauke hauen, denn im Herbst stehen in den USA die wichtigen Zwischenwahlen an, die die Mehrheitsverhältnisse in Washington zu Gunsten der Demokraten ändern könnten. Auch der von Trump entfachte Handelsstreit mit Strafzöllen und ein drohender Austritt der USA aus der Welthandelsorganisation (WTO) überschatten den Gipfel. Folglich geht es für Trump in Brüssel nicht nur um die Allianz, sondern auch um handelspolitische Forderungen, die er mit der Sicherheitspolitik verknüpft. 

Dass sich europäische Staaten ihre Sicherheit von den USA aufrechterhalten lassen, diese aber gleichzeitig mithilfe vermeintlich „unlauterer“ Handelsbedingungen ausbooten, hält Trump für eine doppelte Ungerechtigkeit. Seinen Wählern hat er versprochen, Europa entschieden die Stirn zu bieten und diese Ungerechtigkeit zu beenden. Somit will Trump eine politische Hebelwirkung aus der sicherheitspolitischen Schwäche der Europäer erreichen. 

Auch Trumps Drohung, den Verhandlungstisch zu verlassen, wenn die Gespräche nicht in die von ihm gewünschte Richtung gehen, ist inzwischen einkalkuliert. Seine vor dem Gipfel lancierte Erwägung, amerikanische Soldaten aus Deutschland nach Polen oder zurück nach Hause zu verlegen, ist zwar wenig glaubwürdig, hat aber politisch für den gewünschten Paukenschlag gesorgt. Die US-Hauptquartiere in Deutschland sind derzeit für die internationalen Einsätze amerikanischer Streitkräfte zu nützlich, als dass sie wirklich abgebaut werden können. Die NATO-Botschafterin der USA, Kathryn Ann Bailey Hutchison, dementierte entsprechende Pläne inzwischen auch klar. Die Warnung sorgte trotzdem für Irritation, weil sie auf das Irrationale in Trumps Verhandlungspraxis hinweist. Trumps Drängen auf das Zwei-Prozent Ziel hat aber dafür gesorgt, dass es für die Europäer wie für die USA schwer geworden ist, ohne Gesichtsverlust aus dieser Lage herauszukommen.

Das schwierige Klima in den transatlantischen Beziehungen schädigt die Allianz und Deutschland gleichermaßen schon jetzt. Ihr mangelnder Zusammenhalt und die internen Konflikte werden offenbar, ebenso wie die Lücken im Verteidigungsdispositiv. Wenn der Streit lauter wird, geht auch aufgebautes Vertrauen verloren. Die Gefahr ist groß, dass Deutschland isoliert wird. Denn kleinere Staaten, die genug bezahlen, um die USA bei der Stange zu halten, wie z.B. Estland, können Deutschland für die amerikanische Kritik an der NATO verantwortlich machen. Denn Trumps Argument, Deutschland könne ein schlechtes Vorbild für andere Staaten sein, ihre Verteidigungsausgaben niedrig zu halten, ist ja zutreffend. Wenn Deutschland zudem als Rahmennation in der Verteidigungskooperation für kleinere Staaten ein zuverlässiger Partner sein will, kann es sich die ständigen Berichte über die maroden Systeme der Bundeswehr nicht leisten.

Deutscher Beitrag für das Bündnis

Deutschland hat dabei eine andere Strategie: Es benutzt seine Anstrengungen für den Fähigkeitsausbau im Bündnis, um den USA seine immer noch geringen Ausgaben als Erfolg zu verkaufen. Das ist nachvollziehbar, erinnert aber auch an traditionelle Strategien, gerade genug Engagement zu zeigen, um die USA bei der Stange zu halten. Außerdem geht es bei den deutschen Beiträgen um neue Kommandostrukturen, weniger um kämpfende Einheiten. 

Deutschland hat aber in Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage unter anderem nach der Ukraine-Krise eine Trendwende bei den Verteidigungsanstrengungen vollzogen. Das Budget wird aktuell von 35,1 Mrd. Euro im Jahr 2016 auf 42 Mrd. Euro im Jahr 2021 aufgestockt. Die Etaterhöhung wird dennoch für die eigenen Ambitionen kaum ausreichen. Ein Umbau der Bundeswehr in Richtung Verteidigung mit geplant drei operativ einsetzbaren Divisionen und umfangreichen Beschaffungen ist in die NATO-Planung eingebaut. Die NATO-Speerspitze VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) will die Bundeswehr in ihrer nächsten Rotation 2023 aus der eigenen Grundaufstellung bereitstellen. Außerdem wird Deutschland ein neues Kommando für Logistik und Mobilität in Ulm aufbauen, das Truppen- und Materialtransporte durch Europa koordinieren und schützen soll (Joint Support Enabling Command , JSEC). Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nutzt jede Gelegenheit, um vor der internationalen Presse auf diese geplanten Beiträge hinzuweisen. Allein für diese Planungen benötigt das Bundesverteidigungsministerium aber mehr Geld, das direkt für die Stärkung der NATO angesetzt würde. Die NATO-Zielmarke verfehlt Deutschland trotzdem.

Man kann lange diskutieren, ob die Zwei-Prozent-Ziellinie die Beiträge der Verbündeten tatsächlich gut abbildet. Zuletzt haben die Verbündeten diesen Wert 2014 in Wales politisch beschlossen, wenn auch weich als Bemühenszusage und mit Bezug auf die tatsächlichen NATO-Fähigkeitsziele. Deutschland bemüht sich schon lange um eine Darstellung des ‚Output‘, also der direkt der NATO zu Gute kommenden Beiträge aus den individuellen Verteidigungsausgaben. Schließlich stellen Staaten nicht alle Fähigkeiten der NATO bereit. Ineffizienz in den Streitkräften treibt Kosten hoch, aber nicht die Leistungsfähigkeit, und eine volatile Wirtschaft sorgt für Verzerrungen bei der Quote. Nicht nur in Deutschland, auch in der Allianz oder in amerikanischen Think-Tanks, wird über Wege nachgedacht, den Output nationaler Verteidigungsanstrengungen für die Allianz besser abzubilden. Solche Weiterentwicklungen der Zwei-Prozent-Metrik mögen erforderlich sein, doch bisher verfügt die NATO über keine alternative Messlatte.

Die Aufmerksamkeit für diesen Konflikt verdeckt die Verantwortung Deutschlands für die NATO insgesamt. Es geht nicht nur darum, sauber aus dem Streit mit der US-Regierung herauszukommen und eine Isolation zu vermeiden. Deutschland hat einige Erfahrung darin, sich auch bei einem Streit im Bündnis unbeirrt zu zeigen. Und natürlich wären alle erleichtert, wenn ein Eklat ausbleibt. Aber der Fokus muss jetzt auf der Handlungsfähigkeit der NATO liegen.

Die Zwei-Prozent-Ziellinie ist politische Realität und hat nicht nur für Trump hohe Symbolkraft: Sie sagt etwas darüber aus, wie wichtig dem einzelnen Verbündeten die Allianz ist. Sie bildet ab, wie Mitgliedsstaaten ihre militärischen Fähigkeiten ausbauen, die für die NATO oder insgesamt für die Verteidigung westliche Interessen in Stellung bringen können.

Nicht wegducken

Es ist jetzt wichtig, dass nicht der Streit über Trump das Narrativ dieser Krisensitzung prägt, sondern die Anforderungen aus der Allianz. Der Blick auf das Sicherheitsumfeld, die prekäre Lage der Verbündeten im Baltikum und Polen, die drohenden Instabilitäten im südlichen Mittelmeerraum und nicht zuletzt die unzureichende Ausstattung der NATO selbst sollten Grund genug sein, dass sich Deutschland bei seinen Bemühungen noch engagierter zeigt. Selbst die angekündigten Beiträge der Deutschen sind nur dann glaubwürdig, wenn die Bundesregierung auf dem Gipfel oder kurz danach die Bereitschaft für noch höhere Ausgaben in Aussicht stellt, vor allem für den Fall, dass eine höhere Wirtschaftsleistung die deutsche NATO-Quote wieder absacken lässt.

Auch sollte bedacht werden, dass US-Präsident Trump unbedingt Erfolge mit nach Hause bringen muss. Deutschland sollte offen auf die amerikanische Initiative 30-30-30-30 zuzugehen. Das ehrgeizige Ziel der USA, beschlossen beim letzten NATO-Verteidigungsministertreffen, ist es, 30.000 Soldaten bzw. 30 Bataillone, 30 Luftwaffenschwadrone und 30 Kampfschiffe innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit zu haben. Hierüber müssen noch viele Details verhandelt werden, aber Deutschland sollte diese Initiative unterstützen. Es könnte sogar seine eigene Planung eng mit dieser NATO-Richtlinie verknüpfen und dies schon auf dem Gipfel signalisieren.

Trumps Ausfälle bieten möglicherweise auch Chancen, denn sie haben die Debatte über die Verteidigungsausgaben in die Öffentlichkeit gerückt. Die Bundesregierung ist gezwungen, konkrete Beispiele der sich verschlechternden Sicherheitslage anzuführen und damit für einen erhöhten Nato-Beitrag zu werben. Dabei müssen auch der zögerliche Koalitionspartner SPD und vor allem deren Finanzminister Olaf Scholz Farbe bekennen. Die Bereitschaft der Bundesregierung, ihre Bündnisrhetorik mit substanziellen Mehrausgaben glaubwürdig zu machen, würde Vertrauen bei den Verbündeten schaffen, dass Deutschland seine Bündnisverpflichtungen ernst nimmt. Es geht im aktuellen Streit über NATO-Fähigkeiten nur vordergründig um Waffensysteme und einsatzbereite Streitkräfte. Die Frage ist, ob die NATO-Mitglieder im Ernstfall bereit sind, diese auch im Sinne der Stabilität, für die Verteidigung oder als Abschreckung einzusetzen.

Bibliografische Angaben

Riecke, Henning. “Es geht nicht um Trump.” July 2018.

DGAPstandpunkt 16, 9. Juli 2018, 3 S.

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