Dieser Policy Brief gibt einen umfassenden Überblick über Trends in der Tertiärprävention in Deutschland und anderen europäischen Ländern; zudem enthält er Empfehlungen für politische Maßnahmen. Er basiert auf den Ergebnissen des International Forum for Expert Exchange on Countering Islamist Extremism (InFoEx), einem gemeinsamen Projekt der DGAP und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 2018 bis 2021. InFoEx versammelte Praktiker, Forscher und politische Entscheidungsträger aus mehr als zwölf Ländern in einem einzigartigen Format, um über Herausforderungen und bewährte Praktiken zu diskutieren. Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind zum einen, dass die europäischen Länder größtenteils mit gleichen oder ähnlichen Problemen konfrontiert sind, und zum anderen, dass es auf diese Trends eine gemeinsame Antwort geben muss, zu der Praxis, Forschung und Politik gleichermaßen beitragen sollten.
Das Projekt wurde finanziert durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) aus dem Nationalen Präventionsprogramm (NPP).
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Zentrale Empfehlungen |
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Tertiärprävention Neu DenkenDie Komplexität von Tertiärprävention nimmt zu: Die Profile der sich radikalisierenden Personen werden vielfältiger, die Zahl der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure, die zusammenarbeiten müssen, steigt, und die Wirksamkeit jeder Maßnahme muss nachgewiesen werden. Globale Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie, die zunehmende Bedeutung der Online-Dimension und das Verschwimmen von innerer und äußerer Sicherheit sorgen für zusätzlichen Druck. Die nationalen Regierungen und internationalen Institutionen müssen sich der wichtigsten Trends bewusst sein, um eine effektive und nachhaltige Präventionspolitik zu gewährleisten |
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Unter Tertiärprävention von (gewaltorientiertem) islamistischem Extremismus werden alle Maßnahmen verstanden, die (gewaltorientierte) Extremisten und Extremistinnen in der Haft und der Gesellschaft bei der Distanzierung aus ihren Milieus, der Deradikalisierung, Entkriminalisierung und Resozialisierung unterstützen und ermutigen sollen. |
Eine Vielschichtige Herausforderung
Eine wachsende Zahl weiblicher Klienten
Über 15 Prozent der Westeuropäer, die sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak angeschlossen hatten, waren Frauen. Diese Erkenntnis hat die Aufmerksamkeit auf Genderfragen und die Rolle von Frauen in extremistischen Strukturen gelenkt. Inzwischen versteht man besser, wie Radikalisierungs- und Deradikalisierungsprozesse bei Frauen ablaufen. Auch in der Finanzierung und Gestaltung von Ausstiegsprojekten wird anerkannt, wie wichtig es ist, genderspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Hier ist aber noch mehr Sensibilität erforderlich.
Die Mechanismen der Anwerbung, Bindung und Mobilisierung sind für Männer und Frauen ähnlich. Extremistische Organisationen sprechen Frauen aber eher mit Narrativen über Mutterschaft oder über Emanzipation von sozialen Erwartungen im Westen an. Sie rekrutieren Frauen auch eher über Online-Plattformen wie Chatgruppen als im öffentlichen Raum. Was Praktikerinnen und Praktiker außerdem Sorgen macht, ist eine zunehmende Tendenz zur Radikalisierung bei Mädchen, die gerade erst das Teenageralter erreicht haben.
Frauen werden seltener zu Haftstrafen verurteilt als Männer, und das gilt auch für Rückkehrerinnen. Dies kann die Präventionsarbeit erschweren: Praktiker berichten, dass es außerhalb des Gefängnisses oft besonders schwierig ist, Zugang zu Klientinnen zu erhalten. Aber auch wenn Frauen in die Haft kommen, haben Gefängnispersonal und Präventionsakteure offenbar weniger Erfahrung in der Arbeit mit potenziell radikalisierten weiblichen Häftlingen als mit Männern. Nach ihrer Entlassung sind diese Frauen in der Regel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie sind auch meist diejenigen, die sich um Sorgerechtfragen wegen ihrer Kinder kümmern müssen. Ehemalige Extremistinnen werden zudem stärker stigmatisiert als männliche Aussteiger, was ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft weiter erschwert.
Mehr Fälle von (zurückkehrenden) Minderjährigen
Neben der beträchtlichen Zahl von Frauen, die sich dschihadistischen Organisationen angeschlossen hatten, wurden mehr als 1.400 Minderjährige von ihren westeuropäischen Eltern nach Syrien und in den Irak mitgenommen oder dort geboren. Präventionsmitarbeiter verfügen zwar über Erfahrung im Umgang mit Minderjährigen, die in salafistischen Familien aufwachsen. Auch über Kinder, die bei extremistischen Eltern aufwachsen, oder über sich radikalisierende Jugendliche liegen Erkenntnisse vor. Die zurückkehrenden Minderjährigen werfen aber neue Fragen auf.
Unter dem Einfluss des IS wurden die Kinder oft schon in sehr jungen Jahren indoktriniert. Vor allem für Jungen gilt, dass sie möglicherweise an Waffen ausgebildet wurden und Gewalttaten verübt haben. Erschwerend kommt hinzu, dass zurückkehrende Mütter in manchen Fällen das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren, zum Beispiel während sie in Untersuchungshaft sitzen. Die meisten Gefängnisse verfügen nicht über genügend Mutter-Kind-Einheiten, oder es fehlt an Personal, um die Kinder zu regelmäßigen Besuchen zu begleiten. Die Trennung von der Bezugsperson kann zurückkehrende Minderjährige retraumatisieren und bestehende Instabilitäten verschlimmern. Für solche Kinder wird spezielles Fachwissen im Bereich der psychischen Gesundheit benötigt, zum Beispiel über Traumata, das aber häufig nicht verfügbar ist. Eine multidisziplinäre Untersuchung der psychologischen und sozialen Eigenschaften europäischer Jugendlicher, die sich radikalisiert haben, deutet darauf hin, dass zu den individuellen Risikofaktoren unter anderem frühe Erfahrungen von Verlassenwerden und Risikofaktoren im Mikroumfeld wie eine familiäre Dysfunktion gehören.
Eine Herausforderung mit vielen Dimensionen
Präventionsarbeit wird immer vielschichtiger. Die internationalen und technologischen Entwicklungen sorgen dafür, dass die Arbeit in den Grenzen nationaler Staaten und Institutionen noch komplexer wird. Von über 5.000 Personen, die Westeuropa nach 2012 verlassen haben, um sich dem IS und anderen dschihadistischen Organisationen anzuschließen, ist etwa ein Drittel zurückgekehrt. Angesichts der Schwierigkeit, Beweise aus einem weit entfernten Kampfgebiet zu beschaffen, ist die strafrechtliche Verfolgung der Rückkehrenden eine Herausforderung, und manche erhalten nur eine kurze oder gar keine Haftstrafe. In solchen Fällen haben Ausstiegsberater wenig oder keine Zeit, mit potenziellen Klienten im Gefängnis in Kontakt zu treten und eine Beziehung aufzubauen, die die Rehabilitation und Wiedereingliederung der Rückkehrenden erleichtern könnte. Da weitere Menschen im Irak oder in Syrien darauf warten, nach Westeuropa zurückkehren zu können, werden diese Fragen auch in den kommenden Jahren auf der Tagesordnung bleiben.
Zugleich zeigt sich sowohl durch wissenschaftliche Studien als auch in den Erfahrungen der Praktiker, welch wichtige Rolle das Internet bei Radikalisierungsprozessen spielen kann: „Ein erheblicher Teil der Radikalisierung [von Einzeltätern in den letzten Jahren] fand online statt,“ bestätigte Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London.
Eine Team-Leistung
Zusammenarbeit bleibt eine Herausforderung
Deradikalisierungs- und Ausstiegsprozesse verlaufen komplex und nicht-linear, insbesondere wenn es um minderjährige Rückkehrer geht. Für eine effektive Präventionsarbeit ist deswegen eine behördenübergreifende Zusammenarbeit erforderlich. Dies gilt nicht nur für Ausstiegsprogramme für radikalisierte Personen oder für Sicherheitsbehörden, sondern auch für eine Vielzahl von Akteuren aus dem Sozial-, Bildungs-, Justiz- und Gesundheitswesen, die ihren Klienten insbesondere nach der Entlassung aus dem Gefängnis bei der Suche nach Arbeit oder dem Zugang zu Gesundheitsdiensten helfen.
Der Trend geht deutlich zu mehr Multi-Agency-Kooperation. Doch gibt es eine Reihe von Herausforderungen, die in diesem Zusammenhang angegangen werden müssen. Dazu gehören in manchen Fällen Rollenkonflikte, unklare Zuständigkeiten, Schwierigkeiten beim Informationsaustausch, mangelnde Erfahrung mit dieser Art von Klienten und viele andere mehr.
Die Relevanz psychischer Probleme
Zwischen psychischen Erkrankungen und Extremismus wurde kein unmittelbarer kausaler Zusammenhang festgestellt. Dennoch sind sich Experten weitgehend einig, dass „extremistische Gruppen [in den vergangenen Jahren] deutlich mehr Menschen mit psychischen Problemen angezogen haben“. Studien deuten zudem darauf hin, dass allein agierende Terroristen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit an einer psychischen Erkrankung leiden als Terroristen, die sich in Gruppen zusammengeschlossen haben. Die jüngsten Anschläge in Europa bestätigen dies. Wissenschaftler weisen allerdings darauf hin, dass Praktikerinnen und Praktiker nicht nur berücksichtigen sollten, ob die Person ein psychisches Problem hat, sondern auch herausfinden sollten, ob psychische Probleme für den Radikalisierungsprozess der Person von Bedeutung sind.
In der Tertiärprävention müssen die Akteure in der Lage sein, auf die psychischen Probleme einer Person einzugehen, um ihren Ausstieg aus dem Extremismus zu unterstützen. Bei psychischer Gesundheit geht es jedoch nicht nur um bestätigte und aktuelle Diagnosen, sondern auch um die potenzielle Anfälligkeit und um subklinische Fälle. Die Bandbreite psychischer Probleme reicht von Depressionen bis hin zu schweren Pathologien wie Persönlichkeitsstörungen oder Schizophrenie. Ausstiegsberater sind nicht unbedingt dazu ausgebildet worden, potenzielle psychische Probleme zu erkennen oder zu behandeln. Psychotherapeuten und Psychologen wiederum haben oft lange Wartelisten.
Lokale Gemeinschaften einbeziehen
Angesichts des Trends zu mehr Zusammenarbeit wächst auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit, mit lokalen Akteuren, zum Beispiel muslimischen Verbänden und Migranten-Communities, zusammenzuarbeiten. Es ist klar, dass die Herauslösung von Extremisten aus ihrer Umgebung und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft nur als Teamleistung gelingen kann. Doch die Frage, wie die Beziehungen zwischen den verschiedenen Partnern organisieren werden sollten, kann sich als schwierig und sogar kontrovers erweisen. Eine der größten Herausforderungen für Beschäftigte in der Tertiärprävention besteht darin, potenzielle Kontaktpunkte zu ermitteln, einen funktionierenden Rahmen für den Informationsaustausch zu schaffen und langfristige Beziehungen aufzubauen. Bei Praktikerinnen und Praktikern gibt es allerdings die Befürchtung, dass es zu einer Stigmatisierung der Gesprächspartner führen könnte, wenn die Aktivitäten und die Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften „versicherheitlicht“ werden, es also vorrangig um Sicherheitsaspekte geht. Eine weitere Herausforderung für politische Entscheidungsträger und Praktiker besteht in der Frage, ob und wie mit islamistischen Akteuren im gesamten Spektrum vom gewaltfreien beziehungsweise legalistischen bis zum gewaltorientierten Extremismus umgegangen werden soll.
Nachhaltige Prävention
Risiken einschätzen und Rückfälle verhindern
Europol weist darauf hin, dass „die große Mehrheit der derzeit inhaftierten dschihadistischen Straftäter [in den EU-Ländern] bis 2023 entlassen wird“. An mehreren Anschlägen der letzten Jahre waren kurz zuvor entlassene Straftäter beteiligt, die auch im Kontakt mit Ausstiegsprogrammen standen. Dies wirft die Frage auf, wie potenzielle Risiken richtig eingeschätzt werden können und wie das Risiko eines Rückfalls vermieden oder zumindest deutlich verringert werden kann. Die Rückfallquoten bei islamistischen Extremisten sind zwar im Vergleich zu normalen Straftätern relativ niedrig. Doch gilt auch für viele von ihnen die Zeit unmittelbar nach der Entlassung aus dem Gefängnis als kritische Phase und entscheidend für die Verhinderung von Rückfällen. Um das von potenziellen Extremisten ausgehende Risiko einzuschätzen, wurden in den letzten zehn Jahren eine wachsende Zahl von Risikobewertungsinstrumenten entwickelt, darunter VERA-2R, ERG22+, TRAP-18 oder Radar-iTE. Diese Instrumente stoßen jedoch auf Kritik, weil sie nur eine geringe Evidenz- und Basisrate aufweisen, keinen ausreichenden Fokus auf Schutzfaktoren legen oder nicht geschlechts- oder altersspezifisch sind. Es besteht ein wachsender Bedarf, nicht nur potenzielle Sicherheitsrisiken wirksam bewerten zu können, sondern auch Schutzfaktoren zu ermitteln, um Rückfälle verhindern zu können.
Besonders effektive Maßnahmen identifizieren und finanzieren
Neben den repressiven Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung richten immer mehr Länder ihre Aufmerksamkeit auf die Extremismusprävention. Da beträchtliche Mittel für die Tertiärprävention aufgewendet werden, wächst die Einsicht, dass die Akteure in der Lage sein müssen, erfolgreiche Maßnahmen zu identifizieren und deren Wirksamkeit nachzuweisen.
Allerdings hat sich auch gezeigt, wie schwierig – oder sogar unmöglich – es ist, die Wirksamkeit der Unterstützung von Personen zu messen, die sich aus dem gewaltorientierten Extremismus lösen wollen. Ethische und praktische Fragen erschweren das Monitoring und die Evaluation der Ausstiegsarbeit: Ausstiegsprozesse können sich über mehrere Jahre erstrecken, was die normalen Finanzierungszyklen übersteigt. Dadurch wird es schwierig, die über die Zeit auftretenden Veränderungen zu verfolgen und ihre langfristige Wirkung zu messen. Darüber hinaus gibt es viele Faktoren, die diese Prozesse beeinflussen können. In Ermangelung von Kontrollgruppen ist es nicht immer möglich, die durch eine bestimmte Maßnahme verursachten Effekte eindeutig zu identifizieren. Diskussionen gibt es auch um die Frage, was Erfolg überhaupt ist, und wie man ihn messen kann. Schließlich zeigen Evaluationen, dass es schwierig sein kann, Zugang zu Daten über die Entwicklung der Klienten zu bekommen. Dennoch sind sie zentral, um die Präventionsarbeit effektiver und nachhaltiger zu gestalten.
Den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördern
Inzwischen steigt die Zahl der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu Deradikalisierungs- und Distanzierungsprozessen sowie zur Präventionsarbeit. Allerdings handelt es sich hierbei noch um ein recht neues Forschungsgebiet. Nur wenige Studien genügen strengen wissenschaftlichen Standards, beispielsweise was die Verwendung von Primärquellen oder die Einbeziehung von Autoren aus verschiedenen Disziplinen angeht. Hinzu kommt, dass Sozialarbeiter oft einfach nicht die Zeit haben, lange und komplexe Artikel zu lesen, die in Englisch abgefasst sind, was häufig nicht ihre Muttersprache ist. Viele haben gar nicht erst Zugang zu Fachzeitschriften. Praktiker und politische Entscheidungsträger sind zwar in der Regel an den neuesten Forschungsergebnissen interessiert, finden es aber oft schwierig, solche Erkenntnisse in ihrer täglichen Arbeit oder konkreten Politik zu berücksichtigen. Diese Herausforderungen müssen angegangen werden. Um die Präventionsarbeit langfristig effektiver zu gestalten, ist es unerlässlich, Forschungsergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen und gleichzeitig praktische Erfahrungen in die künftige Forschung einfließen zu lassen.
Empfehlungen an die Politik
Präventionsarbeit verbessern
Die Programme und Maßnahmen der Tertiärprävention müssen das Gender und das Alter der Klienten stärker berücksichtigen. So sollten Justizvollzugsanstalten den regelmäßigen Kontakt zwischen inhaftierten Eltern – Frauen, aber auch Männern – und ihren Kindern erleichtern. Akteure wie zum Beispiel Jugendhilfeeinrichtungen brauchen zusätzliche Schulungen und Ressourcen, um Fachwissen zur Extremismusprävention zu entwickeln. Verfahren, die sich auf Kinder auswirken, wie zum Beispiel die Untersuchungshaft oder Entscheidungen über das Sorgerecht, müssen beschleunigt werden. Zwar wird berichtet, dass kleinere Kinder, die aus Kampfgebieten oder Lagern zurückkehren, oft in der Lage sind, sich recht gut anzupassen und zu integrieren. Bei Traumata geht es aber um dynamische Prozesse. Die langfristigen Schutzfaktoren, insbesondere für Jugendliche in der Pubertät, müssen gestärkt werden. Schließlich brauchen Praktikerinnern und Praktiker Unterstützung und neue Formate, um vor allem in den lokalen Gemeinden, die entlassene terroristische Straftäter aufgenommen haben, über die jüngsten Online- und Offline-Trends Bescheid zu wissen. Dazu gehört zum Beispiel die Existenz salafistischer „Hot Spots“.
Zugang zu Klienten erleichtern und Zusammenarbeit verbessern
Die Tertiärprävention muss als Teamarbeit begriffen werden. Daher sollten die politischen Entscheidungsträger für einen Rechtsrahmen sorgen, der Partnerschaft und Informationsaustausch erleichtert. Die Präventionspolitik sollte auch Formate umfassen, die insbesondere bei den betroffenen Minderheiten das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen stärken. Hilfen beim Aufbau vertrauensvoller Beziehungen sind erforderlich, um die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten verschiedener Behörden und Organisationen zu stärken. Ausstiegsberatende sollten in die Lage versetzt werden, eine Kultur des Lernens aus Fehlern zu entwickeln und zum Beispiel gemeinsame Leitlinien zu erarbeiten. Praktiker aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen sicherstellen, dass die Klienten Zugang zu Psychologen und Psychotherapeuten erhalten. Gleichzeitig sollte auch ihr eigenes Personal geschult werden, psychische Probleme wie Traumata zu erkennen. Wichtig ist auch die Schaffung von lokalen und nationalen Netzwerken, um den Zugang zu spezifischem Fachwissen in der Tertiärprävention zu gewährleisten, zum Beispiel in Bezug auf psychische Gesundheit, Kinderschutz oder Datenschutzfragen. Schließlich sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es ein Fehler wäre, die Themen Migration und Integration nur unter dem Gesichtspunkt der Extremismusprävention zu betrachten.
Präventionsarbeit wirksamer und nachhaltiger gestalten
Damit die Tertiärprävention effektiver und nachhaltiger wird, sind gezielte Maßnahmen erforderlich. Um die Risikobewertung und das Risikomanagement zu verbessern, sollten gemeinsame Schulungen für Akteure angeboten werden, die an konkreten Fällen zusammenarbeiten, etwa während und nach der Haftzeit eines Klienten. Praktiker sowohl aus staatlichen als auch aus zivilgesellschaftlichen Institutionen sollten die Haftzeit von Straftätern nutzen können, um mit potenziellen Klienten in Kontakt zu treten und deren individuelle Bedürfnisse und Herausforderungen zu ermitteln. Darüber hinaus muss das Straftäter-Management gestrafft werden, sodass weniger Übergaben zwischen verschiedenen Akteuren erforderlich sind. Monitoring- und Evaluierungskomponenten – sowie angemessene Ressourcen dafür – müssen in die Konzeption und Umsetzung von Programmen und Projekten integriert werden. Insbesondere partizipative und formative Evaluierungskonzepte sind hilfreich, um unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen und laufende Projekte anzupassen. Entscheidend ist zudem die Verlängerung der Finanzierungszyklen auf mehrere Jahre, nicht nur, um den Aufbau von Vertrauensbeziehungen zu Klienten und Akteuren zu unterstützen, sondern auch den Evaluatoren die Möglichkeit zu geben, nach einer gewissen Zeit eine zweite Befragungsrunde durchzuführen.
Weitere Erfahrungen mit Monitoring und Evaluationen in den nächsten Jahren sollten es möglich machen, die Wirksamkeit von Maßnahmen der Tertiärprävention viel genauer als bisher zu beurteilen. Idealerweise sollten Forscher in Institutionen, die in der Praxis tätig sind, wie Beratungsstellen oder Strafvollzugs- und Bewährungsdienste, eingebunden werden, um deren Arbeit zu analysieren und auf diese Weise zu verbessern. Beispielsweise kann mehr Wissen darüber, warum manche Personen sich erneut extremistischen Gruppen anschließen und straffällig werden, während andere dies nicht tun, dazu beitragen, unnötige restriktive Maßnahmen zu vermeiden. Formate wie das Work Shadowing können ebenfalls dazu beitragen, den Wissensaustausch zwischen Forschung und Praxis zu fördern und evidenzbasierte Politik zu ermöglichen.
Eine nachhaltige Präventionspolitik muss in der Lage sein, sich an Veränderungen in der Zielgruppe anzupassen, eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten und die wirksamsten Maßnahmen zu finanzieren. Um aber wirklich den Überblick über künftige Trends und Entwicklungen zu behalten, ist eine vorausschauende und unabhängige Forschung auf nationaler Ebene erforderlich: Dazu sollte eine „Foresight-Kommission“ eingerichtet werden, in der Vertreter von Forschungseinrichtungen und Praktiker gemeinsam internationale und nationale sowie Online- und Offline-Trends im Bereich des gewalttätigen Extremismus analysieren und entsprechende Maßnahmen empfehlen.