Externe Publikationen

25. Apr. 2020

Drei Prinzipien für Europas Wiederaufbaufonds

Divergenzen reduzieren, Handlungsfähigkeit stärken, Rechtstaatlichkeit stützen

In der Krise steckt eine Chance für die EU. Sie kann zum Beispiel endlich Rechtstaatlichkeit zur Bedingung für Hilfsgelder machen.

Share

Bei ihrem Video-Gipfel am vergangenen Donnerstag haben die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten die Weichen für ein umfassendes wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm gestellt. Dies wird die Europäische Union brauchen, um sich von den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie zu erholen.

Es war ein wichtiges politisches Signal, dass dieser Gipfel ohne Eklat endete, nachdem in den vergangenen Wochen Streitigkeiten zwischen Nord- und Südeuropäern aufgebrochen waren, wobei sich Italien und die Niederlande diametral gegenüberstanden. Und doch steht die Europäische Union noch immer vor einer großen Bewährungsprobe, die sie zermalmen kann. Daher ist es jetzt so wichtig, den Wiederaufbaufonds als Teil des mehrjährigen Europäischen Finanzrahmens rasch aufzusetzen und dabei drei Prinzipien zu beachten.

Divergenzen reduzieren und Binnenmarkt zusammenhalten

Erstens müssen die nationalen und europäischen Maßnahmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung so koordiniert werden, dass sie die Divergenzen innerhalb der EU nicht noch weiter verschärfen. Die Ausgangssituationen zwischen den Mitgliedstaaten sind sehr unterschiedlich: Einige haben den haushaltspolitischen Spielraum, um Unternehmen und Beschäftigte zu subventionieren. Manche werden Unternehmen verstaatlichen. Das bringt den gemeinsamen Binnenmarkt nicht nur weg von Wettbewerbsprinzipien, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen fördern. Zu viel nationalstaatliche Unterstützung untergräbt die Idee gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen den EU-Mitgliedern und verstärkt Asymmetrien.

In den kommenden Wochen werden die Regierungen der Mitgliedstaaten zeigen müssen, ob sie wirklich bereit sind, die Kosten der Krise gemeinsam zu schultern und Euro und Binnenmarkt zusammen zu halten. Wenn ja, erfordert dies andere Maßnahmen, als diejenigen, die 2010 den Weg aus der Verschuldungs- und Bankenkrise gewiesen haben. Damals wurden Kredite mit strengen Auflagen vergeben, die vollständig zurückgezahlt wurden. Um durch die in den kommenden Monaten bevorstehende schwere Wirtschaftskrise zu kommen, ohne das Wirtschaftsgefüge erodieren zu lassen und die soziale und politische Stabilität in besonders betroffenen Staaten zu opfern, sind umfassendere Hilfen notwendig. Neben Krediten werden Transfers gewährt werden müssen, wie Finanzminister Olaf Scholz nach dem EU-Gipfel richtigerweise anerkannt hat. Europa braucht ein Instrument wie den Marshallplan um die Schwächsten zu stützen. Anders als in der Nachkriegszeit muss dieser allerdings in der Europäischen Union hausgemacht werden, da kein externer Akteur wie seinerzeit die USA aushilft.

Gemeinsame Anleihen als Finanzierungsinstrument

Unklar ist noch, wie das zusätzliche Geld bereitgestellt wird. Eine Erhöhung der nationalen Beiträge zum EU-Budget, die Bundeskanzlerin Angela Merkel unmittelbar nach dem Gipfel im Einklang mit dem geltenden Koalitionsvertrag bereits zugesagt hat, ist wichtig, wird aber nicht reichen. Die EU kann ihre Eigenmittel erhöhen und könnte sie, wenn große Schritte gewagt werden, sogar um eine Steuer ergänzen. Wichtig werden aber auch weitere europäische Anleihen sein. Anders als die teils sehr emotionale Diskussion um „Eurobonds“ vermuten lässt, gibt es in der EU längst gemeinsame Anleihen.

Seit den Römischen Verträgen von 1958 ist im Primärrecht verankert, dass die Europäische Kommission (nach dem heutigen Art. 146 AEUV) an den Märkten Geld aufnehmen kann, um sogenannte Zahlungsbilanzkredite zur Verfügung zu stellen. Auch das jüngst beschlossene Sure-Programm zur Unterstützung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen wird durch gemeinsame Anleihen finanziert. Auch für klar definierte Elemente des Wiederaufbauprogramms sind gemeinsame Anleihen sinnvoll. Dabei sollte das Modell von in ihrer Laufzeit unbegrenzten Anleihen (sogenannte Perpetual Bonds) in Erwägung gezogen werden, das etwa in Großbritannien über Jahrzehnte erfolgreich eingesetzt wurde um den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit mit zu finanzieren. Generell gilt: Wird die Kreditwürdigkeit der Mitgliedstaaten gepoolt, kann Geld unter besseren Zinskonditionen und damit in nachhaltigerer Art und Weise an den Märkten aufgenommen werden, als in die Krise geratene Staaten dies tun können. Dabei werden bestehende nationale Schulden nicht vergemeinschaftet.

Europa im globalen Machtwettbewerb stärken

Das zweite Prinzip, dass die Europäische Union in ihrem Ringen um den Erhalt ihrer Wirtschaftskraft und der sozialen Stabilität nicht aus dem Blick verlieren darf, ist ihre Wettbewerbsfähigkeit und eine Steigerung ihrer Unabhängigkeit und Resilienz - in einer Welt, die durch die Covid-19-Krise noch härter und unberechenbarer wird. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beschreibt diese Zukunftsaufgabe für Europa mit der Stärkung der „strategischen Autonomie“.

Überlegt werden sollte, wie die jetzt neu aufgesetzten bzw. neu ausgerichteten Finanzierungsinstrumente Europa dabei helfen können, im globalen Machtwettbewerb stärken zu werden und seine Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Daher dürfen gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Wiederaufbaus die digitale Transformation, Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel und Europas Nachholbedarf in Forschung, Entwicklung und Bildung nicht aus den Augen verloren werden. Das möglicherweise bis zu einer Billion schwere Wiederaufbauprogramm, das im Jahr 2020 gestaltet wird, und von dem der größere Teil in der frühen Phase der siebenjährigen EU-Budgetdauer ausgegeben wird, ist zwar aus der Not geboren. Es bietet aber die Chance, notwendige Transformationsprozesse zukunftsträchtig zu unterstützen.

Demokratie und Rechtstaatlichkeit zur Bedingung machen

Drittens sollte die Europäische Union bei allen Ausgabenprogrammen und Kredithilfen, die nun aufgelegt werden, darauf bestehen, dass diese nur Staaten zu Gute kommen, die grundlegende europäische Prinzipien wie Rechtstaatlichkeit und Demokratie beachten. Dies sollte in den europäischen Finanzrahmen insgesamt als Voraussetzung dafür aufgenommen werden, dass Mitgliedstaaten Mittel erhalten.

Diese Konditionalität wird seit längerem im EU-Rahmen diskutiert, da einige Regierungen wie die Ungarns und Polens in den vergangenen Jahren unter anderem durch Verfassungsreformen und Gesetze diese Grundprinzipien untergraben haben. In der Covid-19-Krise nutzen autoritäre Staatslenker in Europa und in der Welt nun die Gelegenheit, um ihre Macht auf Kosten der Demokratie weiter zu stärken. Mit den umfangreichen Wiederaufbauhilfen besteht die Chance, diese Prinzipien als Konditionalität für Transfers und Kredite zu definieren und ihnen damit in der EU wieder den Stellenwert zu geben, der ihnen seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft zugesichert ist und die jeder Mitgliedstaat bei seinem Beitritt anerkannt hat.

Bei der Gestaltung des Wiederaufbaufonds als Teil des Europäischen Finanzrahmens muss Deutschland seine eigenen Interessen klar im Blick behalten. Angesichts der weitreichenden Herausforderungen für den Binnenmarkt und die Eurozone, die durch die aktuelle Krise bestehen, darf dabei der Blick noch weniger als sonst nur auf Nettozahlerbilanzen liegen. Deutschland braucht nicht nur die politische Stabilität um sich herum, die die EU gebracht hat, sondern sein Wirtschaftsmodell braucht gerade in Zeiten zunehmender geopolitischer und geoökonomischer Konkurrenz den gemeinsamen Markt und die gemeinsame Währung, die Europa das nötige gemeinsame Gewicht geben, international auf Augenhöhe mitzuspielen. Ihr Erhalt und ihre Stärkung im Einklang mit liberal-demokratischen Grundprinzipien ist im sich verschärfenden globalen Systemwettbewerb eine besonders wichtige Aufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli 2020.

Bibliografische Angaben

Schwarzer, Daniela . “Drei Prinzipien für Europas Wiederaufbaufonds.” April 2020.

Der Text ist in leicht gekürzter Form am 25.4.2020 im Tagesspiegel erschienen.

Themen & Regionen