Memo

28. Jan. 2025

Die Zeit der Naivität beenden

Wie Deutschland seine China-Kompetenz stärken und nutzen kann
Olaf Scholz und Xi Jinping

Die geopolitischen Entwicklungen zeigen: Deutschlands nächste Regierung wird sich deutlich stärker mit China auseinandersetzen müssen als alle ihre Vorgängerinnen. Dazu gehört auch der Ausbau von Kapazitäten zur Analyse von China-bezogenen Fragen, wie die Einrichtung einer Forschungssicherheitsstelle und einer Expert:innen-Kommission im Bundestag. Dieser Prozess sollte mit einem Mapping der China-Analyse-Kapazitäten innerhalb der Bundesministerien und Bundesbehörden beginnen. Um also die vorhandenen China-Kompetenzen zu nutzen, müssen zunächst ausreichende China-Kapazitäten geschaffen werden. Dadurch ließen sich auch viele Ziele der deutschen China-Strategie weiter vorantreiben.

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Ziel: Umfassende und nachhaltige Analyse-Kompetenzen und -Kapazitäten rund um China etablieren

Auch wenn in Deutschland bereits viele China-Kompetenzen vorhanden sind, müssten diese wesentlich stärker eingesetzt werden, um Lücken zu füllen. Denn eng mit den „Kompetenzen“ hängen die „Kapazitäten“ zusammen. So mangelt es derzeit an China-Kapazitäten, sprich an genügend Personal und Stellen (u. a. Nachwuchsförderung) sowie an nachhaltigem Informationsfluss aus externen Forschungsinstituten in die Politik. Ziel sollte daher sein, umfassende und insbesondere nachhaltige Analyse-Kapazitäten zu China zu etablieren, um den geopolitischen Herausforderungen entgegentreten zu können.

Ausgangslage: die deutsche China-Kompetenz wächst – aber nicht genug

Die Bundesregierung ist sich der Notwendigkeit verbesserter China-Kompetenzen bewusst. So heißt es in ihrer 2023 publizierten China-Strategie: „Fundierte, aktuelle und unabhängige China-Kompetenz ist essentiell für das wechselseitige Verständnis und für die langfristig erfolgreiche Wahrnehmung und Durchsetzung deutscher Interessen.“

Gleichzeitig weist Deutschland besondere Lücken mit Blick auf fehlende China-Analysten im Deutschen Bundestag auf. Zudem gibt es einen Mangel an qualifizierten Dolmetschern für Verhandlungen in Ministerien.

Bereits vor rund zehn Jahren hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine China-Strategie verabschiedet, die die Problemlage – es mangele in Deutschland an China-Kompetenz – erkannte und dementsprechende Initiativen vorschlug, wie die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissen, Bildung, Sprache und Kultur, aber auch Technologie gefördert werden könnte. Dem folgten Papiere diverser Institutionen in Deutschland, die ein Bild von Lücken und Stärken in der deutschen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aufzeigten. Es entwickelte sich eine Debatte, die diverse Schwerpunkte wie die von Andreas Fulda hervorgehobene Autokratie-Kompetenz umfasste.

Während sich in der Folge die Vernetzung von China-Expertise verbesserte und neue Abteilungen in Ministerien etabliert sowie mehr Geld in Forschungsprojekte gesteckt wurden, blieben weitere Schwächen bestehen. Dabei wurden die Zielsetzung und der Einsatz der geforderten China-Kompetenz nicht ausreichend klar definiert. Wer soll in welchen Regierungsstellen in Deutschland China-Kompetenz aufbauen und anwenden? In welchen Schwerpunkten wird mehr Know-how benötigt? 

Nächste Schritte: Kapazitätslücken identifizieren und füllen

Die nächste Bundesregierung sollte ein umfassendes China-Kapazitäts-Mapping durchführen, um gezielt zu identifizieren, in welchen Bereichen China-Kompetenz benötigt wird und wie sie in relevante Prozesse integriert werden kann. Dieser Prozess muss ressortübergreifend organisiert werden, da die Herausforderungen im Umgang mit China in ihrer Vielfalt und Komplexität in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden.

Ein solcher Prozess könnte sich beispielsweise mit der Frage befassen, ob das Verteidigungsministerium zusätzliche China-Analysten benötigt, die regelmäßig Fachpublikationen der chinesischen Volksbefreiungsarmee auswerten und aufbereiten. Gleichzeitig stellt sich die Überlegung, ob auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ähnliche Quellen analysieren sollte, um ein umfassenderes Verständnis der zivil-militärischen Fusion in China zu entwickeln. Hinzu kommt, dass immer mehr Fragen zu China mit anderen Fragen – oft technologischer Natur – verflochten sind. Deshalb sollte ein China-Kapazitäts-Mapping Verknüpfungspunkte zu technologischer Expertise berücksichtigen. 

Ein solches Mapping ist bereits von Expert:innen auf verschiedene Weise durchdacht worden, unter anderem von der Sinologin Marina Rudyak. Es ist festzuhalten, dass es bereits einige Ansätze zum Aufbau der deutschen China-Kapazitäten gibt, die jedoch weiter vorangetrieben werden sollten. Die folgenden fünf Punkte sind somit nicht neu, jedoch besonders relevant. Sie befinden sich entweder bereits in der Entwicklung oder wurden in der Vergangenheit teilweise umgesetzt beziehungsweise diskutiert. 

Handlungsvorschläge für die nächste Bundesregierung 

1. Durchführung eines China-Kapazitäts-Mappings

Bundesministerien bemühen sich bereits, Personal mit China-Expertise einzustellen und externe Fachkenntnisse einzubinden. Derzeit fehlt ein regelmäßiger, ressortübergreifender Prozess, der an Legislaturperioden orientiert ist. Solch eine Aufgabe könnte Bestandteil einer erweiterten deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie sein. Sinnvoll wäre dies nicht nur, um ein Mapping anzustoßen, sondern auch um die sich ständig verändernde globale Sicherheitslage neu zu erfassen. Aber auch unabhängig von einer öffentlichkeitswirksam kommunizierten Strategie ist ein China-Kapazitäts-Mapping zu empfehlen, da es sich um ein vergleichsweise niederschwelliges Vorhaben handelt.

2. Beauftragung einer De-Risking Kommission im Bundestag

Im November 2023 wurde eine Kommission beauftragt, die sicherheitsrelevanten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China zu überprüfen. Ihr Ziel war es, Wertschöpfungsketten – insbesondere in den Bereichen Energie- und Rohstoffimporte sowie sicherheitsrelevante Technologien – auf Abhängigkeiten und Schwachstellen zu untersuchen, um daraus politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Obwohl der Vorschlag im Mai letzten Jahres von der Regierungskoalition abgelehnt wurde, wäre eine solche Kommission nach wie vor von großer Bedeutung. Sie würde den Wissensfluss zwischen der deutschen China-Expertise und der Politik stärken und somit zur Erhöhung der strategischen Handlungsfähigkeit Deutschlands beitragen. Ein neuer Antrag auf Einrichtung einer solchen Kommission wäre daher sinnvoll.

3. Ausbau eines China-Hubs im Auswärtigen Amt

Seit einigen Jahren bemüht sich das Auswärtige Amt, China-Expertise systematisch und abteilungsübergreifend zusammenzuführen. Diese Initiative sollte weiter ausgebaut und von der nächsten Bundesregierung aktiv unterstützt werden. In dieser Hinsicht besteht die Möglichkeit, interne Expertise zu bündeln und zu ergänzen (ähnlich dem „China House“ im US-Außenministerium) oder diese Expertise im Rahmen eines Fellowship-Programms auszubauen (wie etwa das IDEA-Programm der EU-Kommission).

4. Einrichtung einer Forschungssicherheitsstelle

Die deutsche Forschungslandschaft hat sich in den letzten Jahren intensiver mit China auseinandergesetzt, das als aufstrebende Forschungsnation sowohl Chancen bietet als auch Herausforderungen bedeutet. Insbesondere gilt es, die Forschungskooperation mit den zunehmend abweichenden Werten und Interessen beider Staaten in Einklang zu bringen. Derzeit wird im Rahmen eines vom BMBF initiierten Stakeholder-Prozesses ein Ansatz beziehungsweise eine Einrichtung entwickelt, die Forschende und Institutionen in Deutschland zum chinesischen Innovationssystem beraten soll. Ziel sollte es sein, ein konkretes Konzept für Struktur und Ansiedlung zu erarbeiten, das bei Bedarf mit Haushaltsmitteln gefördert wird. 

5. Einführung eines Nationalen Sicherheitsrats 

Der Bedarf an einem Koordinierungsorgan für außen- und sicherheitspolitische Themen ist seit langem bekannt und in vielen Ländern, insbesondere im angloamerikanischen Raum, sind solche Konzepte bereits etabliert. Die USA richteten 1947 eine solche Struktur ein, Großbritannien folgte 2010. In Deutschland scheiterten frühere Versuche oft daran, dass Außenminister:innen ungern Kompetenzen an das Kanzleramt abgeben – insbesondere, da sie häufig dem kleineren Koalitionspartner angehören. Will die nächste Bundesregierung einen Nationalen Sicherheitsrat schaffen, müsste sie vermutlich mit einer deutschen Tradition brechen: einen Koalitionsvertrag abschließen, in dem Kanzler:in und Außenminister:in derselben Partei angehören. Zuletzt war dies zwischen 1961 und 1966 der Fall, als Gerhard Schröder (CDU) Außenminister unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) und danach unter Kanzler Ludwig Erhard (CDU) war.

Danksagung: Mein besonderer Dank gilt Herrn Jan Stöckmann, der mich auf die Besonderheiten der deutschen Geschichte in Koalitionsverträgen aufmerksam gemacht hat.

Bibliografische Angaben

Laha, Michael. “Die Zeit der Naivität beenden .” DGAP Memo 8 (2025). German Council on Foreign Relations. January 2025.

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