Am 11. und 12. Januar wählen die Bürger der Tschechischen Republik erstmals per Direktwahl ihr Staatsoberhaupt. Die Änderung des Wahlmodus geht zurück auf das Unvermögen der politischen Elite, gemeinsam konstruktiv Politik zu machen. Bisher wurde der Präsident von beiden Kammern des Parlaments, Abgeordnetenhaus und Senat, bestimmt. Wie schon oft seit Beginn der 1990er Jahre verfügen auch aktuell Regierung und Opposition im Parlament über fast gleich viele Sitze – und blockieren sich gegenseitig. Bei den Präsidentschaftswahlen 2003 hatte diese Konstellation dazu geführt, dass an drei Terminen je drei Wahlgänge nötig waren, bevor sich Václav Klaus durchsetzen konnte. Eine solche Hängepartie wollte man dieses Mal vermeiden. Die Regierungskoalition um die bürgerlich-konservative ODS folgte darum der von den Sozialdemokraten (ČSSD) getragenen Initiative zu einer Verfassungsänderung an und beschloss im Februar 2012 die Direktwahl des tschechischen Präsidenten.
Ähnlich wie der deutsche Bundespräsident hat der Präsident der Tschechischen Republik vor allem repräsentative Funktionen. Das mag bei der Übergabe der Wahl des Staatsoberhauptes in Bürger-Hände eine Rolle gespielt haben. Jedoch haben die beiden bisherigen Präsidenten, Václav Havel und Václav Klaus, gezeigt, wie viel Raum das Amt für individuelle Ausdeutung bietet und wie sehr auch das Ausland den Präsidenten als Gesicht des Landes wahrnimmt.
Weite Teile der Bevölkerung sind enorm unzufrieden mit der politischen Lage
Die Wahl fällt jedoch in eine denkbar schlechte Phase für die politische Kultur Tschechiens. Der Zustand der Regierung ist desaströs und die Stimmung im Land entsprechend deprimiert. Die Regierung Nečas, in der 2010 die ODS mit zwei neuen Parteien, die frischen Wind versprachen, angetreten ist, hat weithin enttäuscht. Der eine Koalitionspartner hat sich derweil selbst zerfleischt und gespalten. Dadurch gingen wichtige Stimmen im Parlament verloren. Zur Beschwichtigung dauernden Streits innerhalb der Koalition vergibt der Premier Ministerposten nach Proporz, was zu einer schwindelerregenden Fluktuation im Kabinett führt. Einige Ressorts sind seit Regierungsantritt zwei-, manche sogar dreimal neu besetzt worden. Die Mitte Dezember 2012 ernannte Verteidigungsministerin blieb keine neun Tag im Amt. Medien und Öffentlichkeit diskutieren die Frage, ob der Premierminister überhaupt noch weiß, was er tut.
Die enorme Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung zeigte sich auch bei den Regionalwahlen im Oktober 2012, bei denen die kommunistische Partei KSČM deutliche Gewinne erzielen konnte. Dass diese Partei, die den Ruf hatte, nur von Alten und sozialen Verlieren gewählt zu werden, zu einem Sammelbecken des Protests werden konnte, ist ein Armutszeugnis für die gesamte Parteienlandschaft der Tschechischen Republik.
Zu hoffen bleibt eine hohe Wahlbeteiligung
Einige tschechische Politologen kritisieren die Direktwahl des Präsidenten als populistische Maßnahme. Eine solche Sicht greift indes zu kurz. Denn in der augenblicklichen Situation können von dieser Wahl klar positive Impulse für die politische Stimmung im Land ausgehen. Die Debatten rund um die Kandidaten sind lebendig und für tschechische Verhältnisse überraschend sachlich. Zu hoffen bleibt eine hohe Wahlbeteiligung. Welcher Kandidat letztlich gewinnt, ist fast zweitrangig. Wichtig ist, dass die Tschechen die Wahl als Chance ergreifen, ihrer Regierung zu zeigen, dass sie die Hoffnung in das demokratische System noch nicht verloren haben und dass sie den Anspruch auf Mitbestimmung erheben. Dadurch könnten sie ihre Regierung aufrütteln und dazu zwingen, endlich wieder sorgfältig Politik zu machen.
Dieser Standpunkt erschien auch im Handelsblatt, Donnerstag 10. Januar 2013, S. 13